Der inzwischen 77-jährige Hannes Heer studierte bis zum Staatsexamen 1968 unter anderem auch in Bonn Literatur- und Geschichtswissenschaft. Bereits seit den frühen Studientagen engagierte er sich aktiv in der linken Studentenbewegung und war 1966 Gründungsmitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Vielen wird er noch durch die von ihm Mitte der 1990er Jahre betreute Wanderausstellung zu den Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 bekannt sein. Sein autobiografischer Film »Mein 68 – Ein verspäteter Brief an meinen Vater« ist eine Auseinandersetzung mit dem Schweigen des Vaters in jenen Tagen einer bewegten Zeit.
Am 12. Juli 1968 erstattete der damalige Rektor der Bonner Universität Strafanzeige gegen Hannes Heer und zwei seiner Freunde. Der Vorwurf war Landfriedensbruch, Nötigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dem ging ein Geschehen zwei Tage zuvor voraus:
Die Universität hatte zur 150-Jahr-Feier ihres Bestehens zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland eingeladen. Den Ehrengästen sei der Zugang zum Festsaal verwehrt und dabei auch ein Transportwagen zum Einsatz gekommen. Die Polizei habe gerufen werden müssen und kam vor Ort zum Einsatz. Heer sei Rädelsführer gewesen. Die Hintergründe für das Handeln der jungen Leute wurden jedoch verschwiegen. Unabhängig davon, dass in jener Zeit bereits verschiedene politisch motivierte Protestaktionen des SDS den hiesigen Ereignissen vorausgegangen waren, wandten sich die Studenten unter anderem gegen die eingeladenen Rektoren der Universitäten Thessaloniki und Athen, die das damalige faschistische System in Griechenland aktiv unterstützten. Dazu waren der Universitätsleitung bereits im Vorfeld Beweise angeboten worden.
Als das nichts half, rief man unter den Studenten zu einer Art Protestempfang auf vor dem Eingang, den die Gäste passieren mussten. Ernsthaft behindert am Betreten der Universität wurde jedoch niemand, zumal die beiden Griechen schon durch einen Seiteneingang in den Festsaal geschleust worden waren. Bei dem Versuch der Studenten, selbst auch mittels eines Karrens in den Festsaal zu gelangen, wurde Hannes Heer durch die Polizei gestellt und festgehalten. Etwa ein Jahr verstrich, bis man ihn anklagte. Die Vorwürfe blieben im Wesentlichen bestehen und fanden Eingang in die 12-seitige Anklageschrift, wobei Heer zusätzlich wiederum der Rädelsführerschaft bezichtigt wurde. Von den politischen Hintergründen war keine Rede. So begann am 10. November 1969 die Hauptverhandlung vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Bonn. Für die erschienene, vor allem studentische Zuhörerschaft war der Gerichtssaal sichtlich zu klein. Es kam zu tumultartigen Szenen als Studenten, die auf dem Flur ausharren mussten, mehr oder weniger gewaltsam in den Saal eindrangen. Das rief die offenbar »in Bereitschaft« befindliche Polizei auf den Plan. Deren Eingreifen konnte dann jedoch durch den Einfluss des Verteidigers von Heer und seinem Freund abgewendet werden. Beide Angeklagte legten dem Gericht nun ihren persönlichen Werdegang dar, vor allem wie sie zur linken Studentenschaft beziehungsweise der Mitangeklagte zur erst kurze Zeit vorher gegründeten DKP gekommen waren. Hannes Heer machte keinen Hehl daraus, dass es ihm letztlich um die Beseitigung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung gehe. Es folgten Beweisanträge, welche darauf abzielten festzustellen, dass der studentische Protest sich »nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen die offenkundige Unterstützung des faschistischen Regimes in Griechenland durch die Repräsentanten der Bonner Universität gerichtet hatte und insofern rechtmäßig war«. Es ging nur um die anwesenden griechischen Gäste und dass der Protest deshalb friedlich gewesen ist. Dies umso mehr, als im Vorfeld der Einladung der Repräsentanten der studentische Gegenappell bereits zum Ausdruck gebracht worden war. Die Fortsetzung der Verhandlung war für den 12. November 1969 vorgesehen. Zu diesem Termin erschien Heer nicht. Es drohte der Erlass eines Haftbefehls. Das Gericht trennte das Verfahren gegen ihn ab und verhandelte zunächst gegen den zweiten Angeklagten weiter.
Besorgt um Heer und die neue Entwicklung, kontaktierte sein Verteidiger ihn. Es stellte sich heraus, dass die Vorstellungen über die Art der Verteidigung in diesem politischen Prozess nicht mehr in Einklang zu bringen waren. Heer sah den Gerichtssaal offenbar als eine Bühne für den Kampf gegen die herrschenden Gesellschaftsverhältnisse im Allgemeinen und deren Klassenjustiz im Besonderen an – anders kann man sein Verhalten nicht deuten –, was letztlich dazu führte, dass er mit seinen Freunden entschied, sich fortan von einem anderen Anwalt, einem des SDS, verteidigen zu lassen. Unabhängig davon machte er aber klarstellend später im Gerichtssaal deutlich, dass die Trennlinie durch den Gerichtssaal gehe, auf der einen Seite Gericht und Staatsanwaltschaft, auf der anderen er, die Demonstranten und sein bisheriger Verteidiger. Erneut kam Polizei zum Einsatz, die ohne Not auf die anwesenden Zuhörer, die sich im Übrigen friedlich verhielten, mit Schlagstöcken einprügelte. Vermutlich unter dem Eindruck der Geschehnisse gab das Gericht bekannt, es wolle nunmehr den Beweisanträgen der Verteidigung nachgehen, und vertagte die Sache auf unbestimmte Zeit. Auch ein rechtswidrig ergangener Vorführbefehl gegen Heer wurde aufgehoben. Eine Fülle weiterer Rechtswidrigkeiten auf gerichtlicher und polizeilicher Seite hatte sich vor Aussetzung des Verfahrens ereignet und gab Veranlassung, deren spätere Klärung, auch in strafrechtlicher Hinsicht, schon einmal seitens der Verteidigung anzukündigen. Zu einer neuen Hauptverhandlung in dieser Sache kam es aber nie, was neben den Peinlichkeiten des Gerichts auch der Tatsache geschuldet ist, dass eine Amnestie für sogenannte Demonstrationsdelikte vom Parlament verabschiedet wurde. So blieb Hannes Heer und seinem Mitstreiter eine weitere Strafverhandlung erspart.
Die Ereignisse liegen inzwischen fast ein halbes Jahrhundert zurück. Hannes Heer wurde ein anerkannter und geachteter Historiker, der noch immer für seine Auffassungen entschieden streitet, aber – wie viele seiner damaligen Kampfgefährten – mit anderen Mitteln. Sein damaliger Verteidiger war Friedrich Karl Kaul.