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Was kommt nach der Krise?  (Ulrich Sander)

Von Anfang an wurden nach dem 8. Mai 1945 Antifaschisten von Ämtern möglichst ferngehalten, und alte Nazis bekamen eine neue Perspektive. Adolf Hitler sah es voraus. Er hat in seinem Testament vom 29. April 1945 das »Opfer unserer Soldaten« als Kraftquell dafür bezeichnet, dass »in der deutschen Geschichte so oder so einmal wieder der Samen aufgehen [wird] zur strahlenden Wiedergeburt der nationalsozialistischen Bewegung und damit zur Verwirklichung einer wahren Volksgemeinschaft«. Josef Goebbels, der NS-Propagandachef, wusste gar, wann das sein wird. Er schrieb am 25. April 1945 in sein Tagebuch für die Zeit einer Niederlage: »… in fünf Jahren spätestens wäre der Führer eine legendäre Persönlichkeit und der Nationalsozialismus ein Mythos.«

 

Der »Samen« (Hitler) und »Mythos« (Goebbels) wird heute wieder beschworen. Der Sprecher der AfD Thüringen, Björn Höcke, sieht bereits das Nazi-Feuer sich neu entfachen: »Wir werden auf jeden Fall alles tun, um aus dieser Lebensglut, die sich unter vierzig Jahren kommunistischer Bevormundung erhalten hat und der auch der scharfe Wind des nachfolgenden kapitalistischen Umbaus nichts anhaben konnte, wieder ein lebendiges Feuer hervorschlagen zu lassen.« (Süddeutsche Zeitung, 27.3.2020) Nicht so salbungsvoll hatten sich im Herbst 1944 die Vertreter der SS und großer Konzerne auf einem Geheimtreffen in Straßburg ausgedrückt: Wir legen eine Kasse an, damit die Fortführung der Nazi-Partei eine Perspektive hat. (Julius Mader: »Der Banditenschatz«, Berlin 1966) Noch reicht Höcke nicht der Deutschen Bank und Rheinmetall die Hand – oder umgekehrt. Doch wenn die umfassende Krise anders nicht überwunden werden kann, ist auch das Bündnis der ökonomischen Eliten mit den Rechtsaußen wieder denkbar.

 

Was steht dem »lebendigen Feuer« Höckes entgegen? Hoffentlich vieles. Allerdings sind die demokratischen Feuerwehren zurzeit geschwächt, und niemand weiß, wie es nach der Corona-Krise weitergehen soll. Sie fällt zusammen mit einer tiefgehenden ökonomischen Krise, die nicht nur Corona geschuldet ist, mit der weltweiten Energiekrise und Klimakrise und der Krise der internationalen Beziehungen mit ihren drohenden Kriegsgefahren und daraus resultierenden Migrationsbewegungen – das macht ein ungeheures Konglomerat von Gefahrenquellen aus. Vor nahezu 100 Jahren gab es das schon einmal. Da lohnt es sich, auf jene Zeit zurückzublicken.

 

Und zwar auf den Tag, da Vertreter der ökonomischen Eliten sich mit Hitler verbanden. Da hätte Hitler gestoppt werden müssen. Emil Kirdorf, der führende Industrielle der Kohle- und Stahlindustrie, traf am 27. April 1927 mit Hitler zusammen, dieser referierte ihm sein Programm, und Kirdorf zahlte eine dicke Spende, vor allem aber verbreitete er Hitlers interne Denkschrift »Der Weg zum Wiederaufstieg« unter den Industriellen. Fünf Jahre später beim Industriellentreffen im Düsseldorfer Industrieclub, da war das Bündnis perfekt. Das Programm der Nazis besagte die Vernichtung des Marxismus und den Wiederaufstieg mit militärischen Mitteln, und das passte den Herren.

 

Derzeit gibt es eine Scheu, an jenen Vorgang zu erinnern. Doch antifaschistische Kapitalismuskritik ist notwendig. Das gehört zu den geschichtlichen Lehren.

 

Man bezeichnet die gegenwärtige tiefe Krise auch als die schwerste seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Kanzlerin selbst gab die Einschätzung heraus. Da sind wir gut beraten nachzuschauen, was nach 1945 zur Überwindung der Krisenfolgen ausgesagt und getan wurde. Die Kanzlerpartei CDU schrieb in ihr erstes Parteiprogramm, jenes von Ahlen: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.« An die Stelle des Kapitalismus gelte es, »eine gemeinwirtschaftliche Ordnung« zu setzen. »Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muß davon ausgehen, daß die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist. Es muß aber ebenso vermieden werden, daß der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt wird.«

 

Auch der Marxismus beinhaltet eine Absage an den Staatskapitalismus. Friedrich Engels sah es allerdings so: Staatseigentum sei nicht die Lösung des Konflikts, aber es berge in sich »die Handhabe der Lösung«. Wenn nämlich die Gesellschaft Besitz ergreife von den Produktivkräften. Besitz ergreifen – nicht Mitbestimmung erbitten.

 

Daniela Dahn ergänzt: »Damit befindet sich Engels übrigens in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz, das sich in Artikel 15 Vergesellschaftung auch nur auf der Basis von Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft vorstellen kann.«

 

Ähnliche Aussagen wie die von Ahlen sind aus jener Zeit von SPD und KPD überliefert. Und von den DGB-Gewerkschaften.

 

Ulrich Paetzel, Chef von Emschergenossenschaft und Lippeverband, sagte der Westfälischen Rundschau am 15. April: »Bestimmte Felder der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen wir nicht dem Markt überlassen. Das wird eine der entscheidenden Lehren aus der Corona-Krise sein.« Ja, es müsste nichtkapitalistische, planwirtschaftliche Lösungen geben. Paetzel fordert einen regelrechten »Infrastruktur-Sozialismus«, so im Gesundheitswesen, bei der Wasserwirtschaft, auf dem Energiesektor, dem Mobilitäts- und Verkehrssektor und bei der Digitalisierung. Die Losung »Privat vor Staat« wird wohl bald niemand mehr in den Mund nehmen. Das ist zu hoffen.

 

Welche Schlüsse auch immer nach der Krise gezogen werden: Das antikapitalistische Denkverbot – zum Beispiel des Verfassungsschutzes – muss beseitigt werden. Klassenkämpfe von unten sind zu führen. Arbeiterrechte müssen bewahrt werden. Das Recht auf Arbeit, auch auf wirksame Mitbestimmung ist unabdingbar. Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber bei uns ist es vor rund 100 Jahren geschehen. Und es kann wieder geschehen. Daher müssen wir nach der Krise besonders wachsam sein.