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Herrschaftsinstrument Kommunikation  (Marcus Schwarzbach)

Kommunikation ist entscheidend, Führungskräfte sollen sich mehr als Moderatoren sehen – das sind Themen in Internetforen der Personalabteilungen, neudeutsch spricht man von Human Resources, HR. Der »menschliche Rohstoff« soll zunehmend über Teamarbeit organisiert werden. Dabei sind »agile Teams« bedeutsam. »Die meisten Unternehmen werden sich nach der Corona-Krise anders aufstellen müssen«, fordert Anne M. Schüller auf der Website der Bertelsmann Stiftung www.zukunftderarbeit.de. »Sie brauchen mehr Agilität.«

 

»Agile Arbeitsweisen steigern die Effizienz um bis zu zwölf Prozent«, behauptet die Beratungsfirma Horváth & Partners. Bei diesen Methoden werden Aufgaben an Gruppen von Beschäftigten verteilt. Ein wichtiger Aspekt ist die gemeinsame Kommunikation, in den Arbeitsgruppen sollen maximal zehn Personen tätig sein, damit Absprachen einfach und direkt bleiben. Einen vorgegebenen Weg, eine Beschreibung einzelner Projektschritte im Vorfeld gibt es nicht. Vielmehr soll sich das Team selbst organisieren. Für den ersten Zwischenschritt, den Sprint, werden 30 Tage Zeit gegeben. Jeden Tag findet ein Daily Meeting statt, das maximal 15 Minuten dauern darf. Um es auch tatsächlich kurz zu halten, bleiben die Teammitglieder meistens stehen.

 

Vorgesetzte nehmen an diesen Besprechungen nicht teil. Vielmehr werden Aufgaben als »Rollen« definiert. Neben den Teammitgliedern gibt es einen Product Owner. Er repräsentiert formal den Kunden, nimmt aber in der Praxis die Interessen des Unternehmens wahr. Weiterhin übernimmt ein Beschäftigter die Rolle des Moderators. Er coacht den Product Owner und das Team in den agilen Methoden. Seine besondere Herausforderung ist der erfolgreiche Ablauf, und er ist für die Beseitigung von Hindernissen verantwortlich, kümmert sich um die Kostenplanung oder um Personalbedarfsanforderungen.

 

Im Team wird gemeinsam über das Vorgehen gesprochen, es erfolgt ein Austausch über Probleme im Planungsprozess. Eine Aufwandsschätzung ist beispielsweise wichtiger Bestandteil der Planung eines Softwareprojektes. Klassisch wird dabei ein Lastenheft analysiert und den Anforderungen eine Anzahl konkreter Personentage zugeordnet. Bei agilen Methoden läuft dies anders: Um den Aufwand einzelner Aufgaben jedes Arbeitsschrittes einschätzen zu können, verwendet man beim Planning Poker Spielkarten mit Zahlen. Auf ein Kommando hin hält jeder die Zahl hoch, die er als Zeitaufwand schätzt. Der Product Owner fasst die gemeinsam erarbeiteten Softwareanforderungen in einem Product Backlog zusammen, also einer Aufgabenliste, die er allen Teammitgliedern jederzeit verfügbar macht.

 

Es herrscht für alle Beteiligte enormer Zeitdruck. Zusagen dem Kunden gegenüber wurden gemacht, das Management setzt Termine.

 

Die Darstellung agiler Methoden in verschiedenen Fachbüchern klingt schon fast nach demokratischen Prinzipien. Die Praxis sieht aber anders aus. Kritisch sieht die Entwicklung das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München. Aus Sicht der Belegschaft ist diese Teamarbeit »ein Verlustgeschäft; [die Mitarbeiter] werden […] in einem durchgetakteten Arbeitsprozess eingebunden, der sie einem hohen Zeit- und Rechtfertigungsdruck aussetzt, ihnen keine Möglichkeiten bietet, über die Verausgabung ihrer Arbeitskraft mit zu verfügen. Wissensarbeit wird dann am ›digitalen Fließband‹ organisiert«, betont Andreas Boes vom ISF München.

 

Dass der jeweilige Zwischenschritt, der Sprint, innerhalb von 30 Tagen abgeschlossen sein muss, verdeutlicht, welcher Zeitdruck vom Unternehmen aufgebaut wird. In dem Zusammenhang fällt oft der Begriff Schätzdilemma: Wie kann ein Programmierer den Aufwand schätzen, den die Aufgabe für ihn und ein Team bedeutet? Ein Vorgehen nach agilen Methoden bedeutet: Entscheiden muss erst einmal der einzelne Beschäftigte, wie hoch er den Aufwand sieht. Gemeinsam wird dann im Team darüber gesprochen.

 

Enormer Druck entsteht durch Transparenz – denn im Planungsstadium müssen die Programmierer ihre Arbeitsweise offenlegen. Vor allem die Einschätzung, wieviel Zeit für einzelne Programmierschritte benötigt wird, setzt die Arbeitenden unter Zeitdruck.

 

In wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt sich, »dass die Belastungen für die Beschäftigten insgesamt gestiegen« sind. Exemplarisch argumentiert ein Befragter: »Die Intensität ist noch mal eine andere geworden.« Und: »Unter dem Eindruck der Taktung entsteht dann bei vielen das Gefühl ›permanenten Zeitdrucks‹ und von ›Dauerstress‹«, berichtet das ISF (Boes, Kämpfer, Langes, Lühr: »›Lean‹ und ›agil‹ im Büro«, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Seite 106). Das hindert Unternehmensberater nicht, von Humanisierung durch agile Methoden zu sprechen. »Agilität fördert Selbstbestimmung ohne Orientierungsverlust«, so der Wirtschaftspsychologe Carsten Schermuly.