Ein Thema hat es trotz der vom Coronavirus bestimmten öffentlichen Debatte überraschenderweise mehrfach in die Medien geschafft: die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland. So brachte das ARD-Polit-Magazin Monitor am 28. Mai einen längeren Beitrag »Nukleare Aufrüstung: Deutschlands ›Teilhabe‹ bei Atomkriegen«. Zu der wichtigen bundesweiten Diskussion haben sicherlich erste Proteste beigetragen, die sich gegen die Pläne von »Verteidigungs«ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer richten, über die Hälfte der gealterten deutschen Luftwaffe durch neue Kampfflugzeuge zu ersetzen.
Für 7,5 Milliarden Euro, die allein die 30 Kampfjets vom Typ F-18 kosten sollen, könnte Deutschland laut einem aktuellen Bericht der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) 100.000 Betten auf Intensivstationen, 30.000 Beatmungsgeräte und das Jahresgehalt für 25.000 Ärzte und 60.000 Krankenschwestern zahlen.
Die NATO verfügt derzeit nach Recherchen des NATO-nahen International Institute for Strategic Studies über 6227 Kampfflugzeuge (davon allein 2346 in Europa); ihr Gegenüber, die von Russland geführte Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS), über gerade 1638. Auch unter diesem Aspekt ist die Aufrüstung mit neuen Atombombern überflüssig und eindeutig abzulehnen. Die Spannungen in Europa gegenüber Russland drohen sich damit in unverantwortlicher Weise zu verschärfen. Ab 2024 sollen außerdem die im rheinland-pfälzischen Büchel zurzeit lagernden 20 Fallbomben so runderneuert sein, dass sie präzise ins Ziel gelenkt und gegen unterirdische Verbunkerungen eingesetzt werden können. Dieses aggressive NATO-Konzept erhöht die Gefahr eines Atomkrieges in Europa immens.
Im Auftrag des Bremer Friedensforums, der IALANA Bremen, der IPPNW Bremen, der DFG-VK Bremen und für #aufstehen Bremen hat der Bremer Anwalt Volkert Ohm am 3. Mai einen Offenen Brief an die bremischen Bundestagsabgeordneten Doris Achelwilm (Die Linke), Sarah Ryglewski (SPD), Uwe Schmidt (SPD), Elisabeth Motschmann (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis90/Die Grünen) und Frank Magnitz (AfD) geschickt: »Widersetzen Sie sich dem Kauf von F-18-Jets!« Die Bremer Organisationen sehen ihren Brief als Unterstützung für die bereits von der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN; Friedensnobelpreis 2017) eingeleiteten Aktivitäten gegen die geplante Bomberbeschaffung, siehe auch: https://weact.campact.de/petitions/atombomber-nein-danke.
In dem Schreiben werden die Abgeordneten gebeten, sich dem Kauf im Rahmen künftiger Haushaltsberatungen zu widersetzen, im Bundestag erneut auf eine Umsetzung des Beschlusses vom 23. März 2010 zum Abzug der US-Atomwaffen von deutschem Boden zu drängen und sich in ihrer Fraktion und auch interfraktionell für einen Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag einzusetzen. Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen wurde 2017 bei den Vereinten Nationen von 122 Staaten verabschiedet und verbietet den Einsatz, den Besitz, die Stationierung und den Transfer von Atomwaffen aufgrund der katastrophalen humanitären Gefahren und des anerkannten Risikos ihres Einsatzes, ob absichtlich oder versehentlich. Sobald 50 Länder das Abkommen ratifiziert haben, wird es internationales Recht. Bisher haben es 37 Staaten ratifiziert, der Prozess läuft, und Ende des Jahres sollte der Vertrag in Kraft treten können. Fünfundachtzig deutsche Städte, darunter 15 von 16 Landeshauptstädten, fordern die Bundesregierung auf, dem Atomwaffenverbot beizutreten.
Vor zehn Jahren diskutierte der Bundestag bereits über die »nukleare Teilhabe Deutschlands« und forderte in einem interfraktionellen Beschluss die Bundesregierung auf, sich mit Nachdruck für den Abzug der US-Atombomben aus Büchel einzusetzen. Diese sollen von deutschen Piloten im Kriegsfall mit Tornadoflugzeugen auf Ziele in Osteuropa abgeworfen werden, jeweils mit einer Sprengkraft größer als der in Hiroshima und Nagasaki verwendeten Bomben. Gegen solche Art Beteiligung an einem nuklearen Inferno, 1958 von der CDU unter Konrad Adenauer durchgesetzt, gab es von Anfang an heftigen Widerstand.
Eine klare Mehrheit der deutschen Bevölkerung will keinen Krieg und keine Atomwaffen, sondern Abrüstung dieser verheerenden Massenvernichtungswaffen, die die Welt seit Jahrzehnten bedrohen. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage von YouGov vom April lehnen 61 Prozent der Befragten den Kauf neuer atomwaffenfähiger Kampfjets ab, nur 18 Prozent befürworten die Ausgaben, 21 Prozent haben keine Meinung. Bei den Wählern aller Bundestagsfraktionen gibt es eine Mehrheit gegen die Atombomber, am höchsten ist die Ablehnung bei den Linken und den Grünen (jeweils 82 Prozent).
Die vollständige Abrüstung aller Nuklearwaffen ist auch vertragliche Pflicht aller Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben. Deutschland hat darin auf jegliche Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet und hat diesen Verzicht mit dem 2+4-Vertrag bekräftigt. Der Atomwaffen-Einsatz mit Hilfe deutscher Tornados ist damit illegal.
Die Bremer Friedensgruppen protestieren dagegen, dass Europa in den strategischen Planungen der USA zum atomaren Schlachtfeld gemacht wird. »Wir fordern nukleare Abrüstung und kollektive Sicherheit unter Einschluss aller europäischen Staaten. Wir fordern eine Beendigung der nuklearen Teilhabe und den Abzug der US-Atombomben aus Büchel, und wir fordern im Einklang mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt«, heißt es in dem Brief an die bremischen Bundestagsabgeordneten.
Erste Reaktionen von Sarah Ryglewski, Uwe Schmidt und Doris Achelwilm sind auf der Website des Bremer Friedensforums dokumentiert (https://www.bremerfriedensforum.de). Es ist sehr begrüßenswert, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, und Teile der SPD-Führung sich gegen die Fortsetzung der technisch-nuklearen Teilhabe ausgesprochen haben. Sie haben in dieser Frage unsere Solidarität verdient. Allerdings lassen die Antworten der bremischen SPD-Abgeordneten keine großen Hoffnungen aufkommen: So bezieht Uwe Schmidt keine eindeutige Position, weder gegen eine Anschaffung der F18 noch gegen eine weitere nukleare Teilhabe. Er vermeldet aber: »In der Koalition sind wir uns einig, dass es einen Nachfolger für den Tornado geben muss.«
Die Friedensbewegung kommt – auch im Hinblick auf die Bundestagswahl – nicht umhin, sich immer wieder neu mit der Ideologie der Kalten Krieger zu befassen und von den Parteien einen grundlegenden Wandel in der deutschen und europäischen Außen- und Aufrüstungspolitik zu fordern, zum Beispiel durch Diskurs und Kooperation im Rahmen der OECD, Ende der Sanktionen gegen Russland oder Ende der Einmischung in dessen innere Angelegenheiten.