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Titel1308

Menschenfresser gegen Kannibalismus  (Sergej Guk)

Der designierte Präsident Dmitrij Medwedew hat der Korruption den Entscheidungskampf angesagt. Traditionsgemäß. Jedes russische Staatsoberhaupt beginnt seine Tätigkeit mit einer Kriegserklärung gegen dieses Übel. Tief beeindruckt erinnere ich mich noch daran, wie vor genau 20 Jahren der Oberste Sowjet der UdSSR drohte, die Korruption »auszurotten«. Weniger kraftvoll klang es fünf Jahre später bei Jelzin, nachdem er das Parlament hatte zerschießen lassen: Die neue Obrigkeit versprach nur, der Bestechlichkeit »entgegenzuwirken«. Putin forderte dann bei jeder Gelegenheit, dieser beschämenden Erscheinung ein Ende zu bereiten. Fazit aller Bemühungen: Tatsächlich landen jetzt öfter mal bestechliche Staatsdiener unteren und mittleren Ranges hinter Gittern, die Korruption aber ist ins Uferlose gewachsen.

Medwedews erster Schritt war die Erarbeitung eines Plans mit konkreten Gegenmaßnahmen. Außerdem ist die Bildung einer Kommission vorgesehen. Was denn sonst? Der russische Schriftsteller Nikolaj Gogol hat seinerzeit, im 19. Jahrhundert, die Sehnsucht unserer Machthaber nach Kommissionen genau diagnostiziert – zum Beispiel wenn die Oberen einer Stadt den notleidenden Mitbürgern helfen wollen: Man sammelt Spenden und bildet eine Wohltätigkeitskommission. Eine Hälfte der aufgetriebenen Summe wird für ein feierliches Mittagessen ausgegeben, weiterhin wird ein Büro angemietet und Personal eingestellt. Zum Schluß bleiben fünf schäbige Rubel übrig. Und nun entbrennt unter den Wohltätern ein heftiger Streit darüber, welcher Schwiegermutter oder Gevatterin, welcher Kusine oder welchem Neffen sie auszuhändigen sind.

Einer Agenturmeldung zufolge klagte Medwedew in seiner Antikorruptionsansprache, die Bestechlichkeit sei nicht nur uferlos, sondern sie verstecke sich auch. Der spöttische Moderator des oppositionellen Senders Moskauer Echo, Viktor Schenderowitsch, nahm den Präsidenten sofort beim Wort. »Wo suchen Sie denn, Dmitrij Anatoljewitsch?«, fragte er einfühlsam. »Warum bleibt das Phänomen Ihnen unsichtbar, nachdem sogar die US-Zeitschrift Forbes fast die Hälfte der Beamten Ihrer Präsidialverwaltung auf die Liste der Millionäre gesetzt hat? Wie sind diese Leute zu ihrem Reichtum gekommen?« Und sein Kollege, der Dichter Igor Irtenjew, fügte satirische Verse mit dem Refrain hinzu: »Eine Goldene Nase verdient sich ›Gasprom‹. An der Nase herumgeführt werden wir immer schon.«
Die meisten russischen Experten sind skeptisch. Unter ihnen ist der Leiter des Fonds »Indem«, Georgij Satarow, früher Berater bei Jelzin. Ausgerechnet er hat den Begriff »Korruptionsintensivität« in Umlauf gebracht. Nach seinen Berechnungen beträgt der korruptive Geldumlauf etwa 300 Milliarden Dollar jährlich. Augiasställe dieser Größe kann man nicht im Handumdrehen säubern.

Der Publizist Pawel Woschtschanow begann Anfang der 1990er Jahre als Jelzins Pressesprecher. Nach wenigen Monaten kehrte er der neuen Obrigkeit den Rücken, und zwar freiwillig – ein schwarzes Schaf unter den Beamten, die der Staatspfründe möglichst nahe sein wollen. Heute arbeitet er bei der oppositionellen Zeitung Nowaja Gaseta. Sein Urteil klingt am radikalsten: »Es ist unmöglich, den Kannibalismus unter den Menschenfressern zu beseitigen; jeder Versuch ist aussichtslos.«

Wie konsequent unsere Volksvertreter die Korruption bekämpfen, zeigt ihr Umgang mit dem Strafgesetzbuch-Paragraphen, der die Beschlagnahme unrechtsmäßig erworbenen Vermögens regelt. Im Jahre 2003 erleichterten sie das Gesetz und das Schicksal der Staatsdiebe, indem sie den Paragraphen außer Kraft setzten. Drei Jahre später mußten sie ihn wieder einführen, weil sich Rußland der UN-Antikorruptionskonvention angeschlossen hatte. Und was geschieht nun? Wird der Paragraph angewendet?

Alexander Gurow vom Sicherheitsausschuß der Duma machte das Problem anschaulich. Im Jahre 2007 lagen die Verluste, die der Fiskus durch die Verbrecher erlitt, bei 282 Milliarden Rubel. Der Gesamtbetrag des konfiszierten Vermögens betrug nur 35 Millionen Rubel; das heißt nicht mal einer von 8.000 Rubeln wurde gerettet. Auf der Liste der beschlagnahmten Güter standen unter anderem ein Elektrokabel, ein Handy, Süßwaren, tiefgekühltes Fleisch, eine benzinbetriebene Säge, drei marode Traktoren. »Und wo sind die Villen, die prachtvollen Yachten, wo sich diese Verbrecher mit gekauften Frauen amüsieren?« empörte sich der Abgeordnete. Ihm sollte eigentlich klar sein: Um etwas konfiszieren zu können, muß man erstmal beweisen, daß das schöne Vermögen illegal erworben worden ist. So steht es im Gesetz. Es ermöglicht den russischen Schmiergeldfreunden, ihren Reichtum als Eigentum der Schwiegermutter, eines Neffen oder der Oma zu beurkunden. Eine Krähe sitzt gern neben der anderen.