Fernsehen und Konzernpresse hierzulande zeigten sich über Tage hin freudig erregt: Der Umsturz im Iran stehe bevor, Hussein Mussawi als der wirkliche Wahlsieger sei mit Hilfe der Volksmassen dabei, den Wahlfälscher Mahmud Ahmadinedschad aus seinem angemaßten Amt zu vertreiben und der Mullah-Diktatur den Garaus zu machen.
Die Iraner, eben noch als fundamentalistische Atomkrieger hochgefährlich, verwandelten sich über Nacht in bewunderungswürdige Kämpfer für die »Zivilgesellschaft«; der »Druck der Straße«, sonst eher argwöhnisch betrachtet, bekam höchstes Lob. Wer mochte da noch Fragen stellen, etwa diese: Mussawi – handelt es sich nicht um denselben, der Aktivist der »islamischen Revolution« und Förderer der libanesischen Hisbollah war, nach wie vor etabliert in der theokratischen Elite? Und Ahmadinedschad – wieso sollten ihm jene ärmeren Schichten die Stimme verweigert haben, die er sozialpolitisch begünstigt hat? Sind möglicherweise Großbesitzer daran interessiert, einen Wechsel im Präsidentenamt
Twitter als politische Waffe
Die hiesigen Massenmedien ziehen für ihre politischen Berichte über die Unruhen im Iran ausgiebig Internet-»Quellen« heran, die als die modernsten Mittel des Aufbegehrens gegen eine Autokratie gewürdigt werden. Kritisch setzt sich damit Jens Berger in der Web-Zeitung
Telepolis auseinander: »Wer im digitalen Gezwitscher verläßliche Informationen sucht, wird nur allzu oft enttäuscht… Wenn Medien Twitter-Meldungen zitieren, so nennen sie den Dienst meist nicht beim Namen, sondern sprechen von ›unbestätigten Meldungen aus Iran‹ – wobei sie ehrlicherweise hinzufügen müßten, daß diese auch aus Washinton, Tel-Aviv oder Bottrop kommen könnten… Ein Nachrichtenmedium, mit dem man die öffentliche Meinung beeinflussen kann, ist für diverse Akteure von Interesse – nicht nur im Fall Iran. Sowohl Exilanten als auch Geheimdienste, PR-Agenturen oder Trittbrettfahrer jeglicher Art können über Twitter die öffentliche Wahrnehmung eines Konflikts beeinflussen, Anonymität ist Grundlage des Konzepts. Wie Twitter-Falschmeldungen ihren Weg in die Medien finden, zeigen diverse Beispiele.
A.K.
zuwegezubringen – durchaus im Rahmen des »Gottesstaates«? Und liegt überhaupt die politische Macht im Iran in den Händen des Staatspräsidenten – ist die sogenannte demokratische Revolutionsbewegung vielleicht verstrickt in die inneren Konkurrenzen einer autokratischen Machtgruppe? An welchen Drähten zieht Haschemi Rafsandschani, alteingesessener Spitzenmann des Mullah-Systems, Finanzmagnat und Verfechter der Privatisierung (warum nicht auch der Ölindustrie)?
Zu fragen wäre auch nach externen Einflüssen. In der Amtszeit des US-Präsidenten George W. Bush wurden für »verdeckte Operationen« im Iran rund 400 Millionen Dollar bereitgestellt, für »Destabilisierungszwecke«. Wohin sind die Gelder geflossen?
Allerdings bedarf es keiner CIA-Einsätze, um bei der iranischen Bevölkerung Unmut und Protest zu erzeugen, es gibt hinreichend eigenständige und legitime Gründe für solche Unruhen. Die Demonstranten fordern nicht nur demokratische Grundrechte ein, sondern protestieren auch gegen die systematische Bereicherungspraxis der herrschenden Theokratie. Aber mit dieser sind die Konkurrenten Ahmadinedschads wiederum eng verbandelt. »Regime change«? Wechsel beim Führungspersonal unterhalb des Machtzentrums? Wem zum Nutzen? Wird das Begehren nach politischer und sozialer Emanzipation in eine neue, islamisch verpackte Herrschaft des Großen Geldes umgebogen? Welches Macht- und Geschäftskalkül steckt in Beifallskundgebungen westlicher Staatsmänner und -frauen für die »grünen Revolutionäre« im Iran? Die Politik des US-Präsidenten Obama lief, wenn nicht alles täuscht, bisher darauf hinaus, über »reformwillige« Kräfte innerhalb des Mullah-Regimes schrittweise einen Politikwechsel zugunsten US-amerikanischer Interessen zu erreichen – aber dieses Regime ist nun in unberechenbare Turbulenzen geraten. Bietet sich, wenn der Iran zum »zerfallenden Staat« wird, doch wieder der westliche militärische Zugriff als »Lösung« an?
Von alldem möchten unsere massenmedialen Märchenerzähler gar nichts wissen. Freedom and democracy auf dem Vormarsch – da sind Fragen nur störend.