Es begann schon vor fünf, sechs Jahren, als die Evangelische Kirche in Frankfurt am Main in letzter Minute die Zusage für einen Saal zurücknahm, in dem Rupert Neudeck ein in meinem Verlag erschienenes Buch vorstellen wollte. Begründung: Man stehe für Debatten über den Nahost-Konflikt nicht zur Verfügung, weil zu befürchten sei, daß sie einseitig und anti-israelisch verlaufen würden.
Mit dem Vorwurf der Einseitigkeit hatten die Damen und Herren der Kirche vollkommen Recht: Neudeck wollte seine Meinung vertreten und nicht die von Henryk M. Broder. Unrecht hatten sie mit dem Vorwurf, er oder ich oder das Buch seien anti-israelisch. Dieser Vorwurf ist aber symptomatisch für eine Argumentation, die ich hierzulande immer wieder höre. Unwissend und einfältig nehmen viele Menschen das Vorurteil an, Kritik an Israels Politik sei anti-israelisch. Und wer anti-israelisch ist, ist auch antisemitisch. So einfach ist das.
Mein Fehler damals war, daß ich die Absage hingenommen habe und nicht gerichtlich gegen die Kirche vorgegangen bin und die Erfüllung des Vertrages eingeklagt habe. Denn das Verhalten der Evangelischen Kirche in Frankfurt hat Schule gemacht. Dasselbe wie damals mit uns hat man voriges Jahr mit Professor Ilan Pappe in München gemacht und dieses Jahr mit Professor Norman Finkelstein in Berlin, und heute macht es die Universität Frankfurt mit Professor Ted Honderich und Professor Moshe Zuckermann. Begründung: Die Goethe-Universität sei zur politischen Neutralität verpflichtet und könne die Durchführung von Veranstaltungen, die mit politischen Interessen in Verbindung gebracht werden könnten, leider nicht genehmigen.
Was bedeutet hier »neutral«? Seit wann ist die Universität »politisch neutral«? Eigentlich ist sie doch ein Ort, an dem unterschiedliche politische Ideen zu Hause sind. Welche Zensurschere hat der zuständige Projektleiter dieser Universität im Kopf? Oder sollte man vielleicht fragen, unter welchem Druck er solche Entscheidungen getroffen hat? Ist es ein Zufall, daß an all diesen Entscheidungen die Deutsch-Israelische Gesellschaft beteiligt war und mit ihr zusammen der obskure antidemokratische Verein »honestley concerned«, der mit mccarthystischen Methoden Menschen denunziert und diffamiert? Kann es sein, daß diese Gruppen auf Kirchen, Städte, Vereine, Verbände und Gewerkschaften Druck ausüben, keine Kritik an Israel zuzulassen, um eine politische Debatte zu verhindern?
Vor einigen Tagen hat der DGB in Frankfurt, vertreten durch seinen Vorsitzenden Harald Fiedler, eine ähnliche, wenn nicht sogar die gleiche Entscheidung getroffen. Eine seit Monaten vereinbarte Ausstellung im Frankfurter Gewerkschaftshaus über die Nakhba, also über die Palästinenser als Opfer israelischer Vertreibungspolitik, sagte er in letzter Sekunde ab, nachdem der Gruppe, die sie vorbereitet hat, schon hohe Kosten entstanden sind. Kein Wort der Entschuldigung, sondern die freche und unverschämte Erwartung, daß man für eine solch perfide Absage »Verständnis« haben soll. Begründung, knapp zusammengefaßt: Im Mittelmeer habe ein Schlägertrupp von Friedensaktivisten arme israelische Kommandosoldaten gezwungen, neun Aktivisten hinzurichten. Es folgte die banale Formel wie ein Mantra: Jedes verlorene Menschenleben sei eine Tragödie. Als ob sich der DGB-Kreisvorsitzende in Frankfurt bei seiner Zensur-Entscheidung unnötige Gedanken um neun tote Türken gemacht hätte.
Und wohin wird das führen? Heute werden wir Kritiker der israelischen Politik als Friedensstörer hingestellt und mundtot gemacht. Morgen werden es andere sein, aber diese anderen schweigen heute. Schweigen ist bequem: Ich brauche nur so zu tun, als ob mich das nichts angeht. Das war auch so, als man die jüdischen Nachbarn geholt hat Auch da haben die Nachbarn geschwiegen.
Wer die Schere im Kopf hat, hat auch das Streichholz in der Tasche und wird nicht zögern, morgen denjenigen, denen er heute das gesprochene Wort entzogen hat, das gedruckte Wort zu verbrennen. Wo man aber Worte verbietet und Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.
Der Verleger Abraham Melzer gibt in Frankfurt am Main die Zeitschrift Semit heraus.