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Titel1310

Berliner Musike  (Lothar Kusche)

»Die Situation der musikalischen Bildung in Berlin ist erbärmlich. In der neu geschaffenen Berliner Sekundarschule wurde für die siebte bis neunte Klasse die Zahl der wöchentlich erteilten Musikstunden von zwei auf anderthalb gekürzt. Dies ist kein Pflichtunterricht – die Schüler können sich auch anders entscheiden. Einen Fortschritt an Liberalität kann darin nur sehen, wer selbst nie erfahren hat, daß regelmäßiges Singen und Musizieren mehr an Eigenständigkeit und Kommunikationsvermögen bringt, als Mathe und Chinesisch im Kindergarten zu trainieren.« Matthias Nöther in der Berliner Zeitung

Zu den von Matthias Nöther gemeinten liberalen Leuten gehört gewiß der Senator, welcher für Schulen zuständig ist sowie für vorgefertigte Querbinder, die sogenannten Fliegen, sowie eine anheimelnde Onkelhaftigkeit. Ob er auch an der Neuschaffung der hiesigen Sekundarschulen beteiligt war, weiß ich nicht. Was mag eine Sekundarschule sein? (Ich erwarb meine Schulbildung zunächst auf zwei Volksschulen, die später in Grundschulen umbenannt wurden, sowie in der ehrwürdigen Humboldtschule, Oberschule für Jungen zu Berlin-Tegel. An den dortigen Musikunterricht kann ich mich leider nicht erinnern, obwohl meine Teilnahme daran auf den Zeugnissen anfangs als »gut«, später als »befriedigend« bewertet wurde. Das Institut hieß dann »Oberrealschule« und führt heute, wie ich aus dem Fernsehen weiß, den Titel »Humboldt-Gymnasium«. Der freundliche Chef hieß in jenen Jahren immer genauso, nämlich Oberstudiendirektor Blume. Nach seinem Ableben trägt eine kleine Straße hinter dem Schulgebäude Blumes Namen. Wir sind unter Oberstudiendirektor Blume keine Hippies geworden. In jenen Jahren gab’s in Tegel noch keine. Die Prüfungsleiterin, die anno 1947 auch mein Zeugnis der Reife signierte, hieß stilvollerweise Frau Temborius und nannte mein Latein »genügend«.

Den neuen Bildungsbeschneidern könnte ich nur empfehlen, sich mit den Ideen und Praktiken des tschechischen Komponisten Alois Hába (1895–1973) zu beschäftigen, über den Horst Seegers Musiklexikon (Leipzig 1981) mitteilt: »Angeregt von Eindrücken, die er von Volksliedsängern seiner mährischen Heimat (Walachei) empfing, versuchte H., der Musik neue Gebiete durch Kompositionen im Viertel-, später auch im Sechsteltonsystem zu erschließen. Durch den Bau von entsprechenden Instrumenten gab er hierfür praktische Voraussetzungen. Viele seiner Kompositionen schuf er konsequent nach mathematischen Prinzipien.«

Das wäre doch was für unsere Sechstel-Kulturpolitiker mit dem Viertelton-Senator an der Spitze: Kürzung der wöchentlichen Musikstunden auf eine Achtelstunde. Für den Bau der erforderlichen Zwerg-Instrumente ließen sich 0,8 Arbeitsplätze schaffen und hinausposaunen (auf einer Achtel-Jericho-Posaune). Der Musikunterricht könnte sich auf Übungen in der Mundbewegung beim stummen Mitsingen der Nationalhymne beschränken. Es lebe die Beschränktheit!