Fußball, Fußball über alles ...
Ich habe Fußball gespielt, gern und nicht schlecht. Ich war so schnell, daß ich zur Leichtathletik überwechselte, in die Länderauswahl berufen und damit zum Leistungssportler wurde. Ich kann mich für den Sport begeistern und mich an der Begeisterung anderer erfreuen. Was mir nicht gefällt, ist das Grölen, das Saufen, die großen leeren Worte, und es empört mich, wenn mit der Begeisterung für den Sport Schindluder getrieben, wenn sie kommerziell und politisch ausgenutzt wird. Damit meine ich nicht die Fahnen und die vielen Fähnchen, Hüte, Mützen, Schals, Schleifen, Trikots et cetera, die verkauft werden, den Herstellern und Verkäufern Gewinn bringen und die Käufer zu erkennbaren Fans machen; die meisten ahnen nicht, wie komisch sie dann wirken. Gefährlich wird es, wenn die Medien einen rauschhaften Volksgemeinschaftswahn aufputschen und dadurch von gesellschaftlichen Problemen ablenken. Umweltkatastrophen wie die Ölpest im Golf von Mexiko werden nachrangig, Auseinandersetzungen mit vielen Toten wie in Kirgistan, Iran, Irak, Pakistan werden an den Rand gedrängt. Die Maßnahmen unserer Regierung, vor allem die Sparmaßnahmen, die weiteren Sozialabbau bewirken, werden zur Bagatelle. Die Fußballeuphorie läßt viele Menschen kaum noch wahrnehmen, was wirklich geschieht.
Während der vorigen Fußballweltmeisterschaft wurde – neben weiteren unsozialen Maßnahmen – die Mehrwertsteuer um drei Punkte erhöht. Was wird während dieser Weltmeisterschaft noch alles auf uns zukommen? Fußball ist ein Sport, der nicht nur begeistern, sondern förmlich mitreißen kann. »Fußball, Fußball über alles« wird zu einer Gefahr für die Demokratie – zumindest in diesen Weltmeisterschaftswochen.
Manfred Uesseler
Nationalmannschaft
»Bild’ Dir Deine Meinung!« steht auf dem Plakat der
Bild-Zeitung. Sie ist uns gern bei der Meinungsbildung behilflich, damit tagtäglich in Millionen Köpfen eine und dieselbe Meinung entsteht.
Vor einigen Tagen war die Hauptüberschrift, den größten Teil der ersten Seite füllend: »So ein Sch…!« Die braune Einheitsmeinung. Darunter stand die rassistisch klirrende Frage: »Müssen wir jetzt vor den Ghanaern zittern?« Wir, die Herrenmenschen, vor Afrikanern?
Wie demütigend war es für uns, ausgerechnet gegen Serbien zu verlieren! Haben wir das eigensinnige kleine Balkanvolk im vorigen Jahrhundert dreimal niedergebombt, um uns jetzt doch wieder von ihm besiegen zu lassen?
Was tun? Am besten auch Serben kaufen! Die Polen Miroslaw Klose und Lukas Podolski haben wir schon eingedeutscht. Arme haben keinen Zutritt, politisch Verfolgte schicken wir möglichst schnell zu ihren Verfolgern zurück, aber erfolgversprechende Fußballer erhalten einen deutschen Paß mit Begrüßungsgeld, Eichenlaub, Schwertern, Diamanten und Pensionsanspruch. So bauen wir uns eine Nationalmannschaft zusammen. Zahlungskräftig, wie wir sind. Denn der Teufel scheißt das Geld bekanntlich immer auf denselben Haufen. Und wir akzeptieren auch den Brasilianer Cacau, wenn er für Deutschland Tore schießt. Insofern sind wir eigentlich gar keine Rassisten, bitte sehr. Wenn wir allen Ländern die besten Spieler wegschnappen, kann uns niemand mehr gefährlich werden. Und dann zeigen wir der ganzen Welt, wie wir Deutschen Fußball spielen.
E.S.
Glückliches Deutschland?
»Fast jeder fünfte Deutsche ist wohlhabend«, triumphiert
Die Welt aus dem Hause Springer auf ihrer Titelseite. Und damit alle LeserInnen die Botschaft verstehen, wird im Feuilleton nachgelegt: »Deutschland, glücklich Aufsteigerland«. Eine Studie habe gezeigt, lesen wir dort, »daß bald jeder Deutsche wohlhabend« sei. Gemeint ist eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), deren Ergebnisse allerdings keineswegs den Schluß zulassen, daß sich demnächst alle Bürger der Bundesrepublik über üppige Einkommens- und Vermögensverhältnisse freuen können. Tatsächlich stellt das DIW fest: Die Zahl der wohlhabenden Haushalte ist etwas angewachsen, mehr noch der dort verfügbare Reichtum; angestiegen ist andererseits die Zahl der ärmeren Haushalte und das damit verbundene Armutsrisiko. Der Anteil der Mittelschicht an der Gesamtbevölkerung, sagt das DIW, sinke ab, und damit sei »gesellschaftliche Stabilität« gefährdet. Daraufhin wird nun Beschönigung betrieben; die Aufsteiger (so viele sind es freilich nicht) werden herausgestellt, damit die Absteiger (sie sind viele) Ruhe geben.
Marja Winken
Gauckelei
Wer hätte das gedacht: Frank-Walter Steinmeier und Cem Özdemir sind Hölderlin-Liebhaber. »Komm! Ins Offene, Freund!« überschreiben sie eine öffentliche Aufforderung an parteipolitisch andersgläubige Mitglieder der Bundesversammlung, sich für den von SPD und Grünen vorgeschlagenen Präsidialkandidaten zu entscheiden. Über die »politische Lagerlogik« müsse man bei diesem Akt hinausdenken; ihre beiden Parteien hätten bei ihrem Vorschlag keinerlei eigennützige Motive: »Es geht uns nicht darum, einen Sieg von Joachim Gauck in eine Niederlage von Schwarz-Gelb zu verwandeln. Im Mittelpunkt sollte doch vielmehr stehen, daß eine Persönlichkeit Bundespräsident wird, die ...« Nachfolgendes muß hier nicht zitiert werden, die hervorragenden Eigenschaften dieses Kandidaten sind dank massivem Medieneinsatz von
Bild bis
FAZ hinreichend bekannt. Aber halt, an anderer Stelle des Briefes von Steinmeier und Özdemir ist merkwürdigerweise zu lesen: »Das Scheitern des Kandidaten Wulff würde ... als eine Niederlage der schwarz-gelben Koalition mit unabsehbaren Konsequenzen empfunden.« Also doch? Da haben die literarisch interessierten Mitarbeiter der beiden Parteigrößen offenbar politisch nachlässig vorformuliert. Ob Angela Merkel nun Trost findet im hölderlinschen Sprücheschatz? Es bietet sich an: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«
Arno Klönne
Kraftakt
Die Spitzenfrau der nordrhein-westfälischen SPD will nun doch das betreiben, was sie kurz zuvor »Harakiri« genannt und strikt ausgeschlossen hatte: Sie will sich zur Ministerpräsidentin wählen lassen, ohne dann über eine garantierte Mehrheit im Landtag zu verfügen. Woher der Sinneswandel? Hat Hannelore Kraft
Ossietzky 11/10 gelesen, wo die durchaus verfassungsgemäßen Möglichkeiten eines solchen Regierens dargestellt wurden? Vermutlich hat ihr der Parteivorstand in Berlin, euphorisiert durch den Gauck-Coup, einen Wink gegeben. Peinlich nur: Wenige Tage vor ihrem Entschluß, es mit einer »Minderheitsregierung« zu versuchen, ließ die NRW-SPD auf Regionalkonferenzen die Ablehnung eben dieses Unternehmens »basisdemokratisch« absegnen. Treten jetzt diese Konferenzen noch einmal zusammen? Werden sie, wieder unisono, beschließen, sie hätten sich geirrt?
M. W.
Pinochetistas
Die faschistische Vergangenheit ist nicht bewältigt – auch in Chile nicht. Das zeigte sich dieser Tage, als Chiles Botschafter in Argentinien, Miguel Otero, die Pinochet-Diktatur verharmloste. Der neue Präsident Sebastián Piñera legte ihm den sofortigen Rücktritt nahe. Doch der Bruder des Präsidenten, José Piñera, sagte: »Wer die Macht ausübt und die Verfassung eines Landes verletzt, putscht gegen das demokratische System und wird zum Tyrannen.« Das war nicht etwa auf Pinochet gemünzt, sondern er meinte den 1970 demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende.
Während der Pinochet-Diktatur von 1973 bis 1990 war José Piñera als Minister für Arbeit und Minenwesen zuständig. Heute macht er Allende für den Staatsstreich 1973 verantwortlich und vergleicht ihn mit Adolf Hitler. Begründung: Beide sind demokratisch gewählt worden und haben sich zu Tyrannen entwickelt. Der Präsident schwieg zu diesen Äußerungen. Innenminister Rodrigo Hinzpeter dagegen reagierte sofort und scharf: Es sei verachtenswert und abstoßend, wenn jemand die Regierung Allende mit dem kriminellen Regime Hitlers gleichsetze. José Piñera bezeichnete daraufhin den Innenminister als brutal und unverantwortlich, außerdem sei Hinzpeter ein Lügner, der sofort zurückzutreten habe.
Sebastián Piñera hat sich schon sehr früh von Pinochet distanziert. Während seiner Mitgliedschaft in der Rechtspartei der »Nationalen Erneuerung« (RN) gehörte er dem gemäßigten Flügel an. Seit seiner Wahl zum Präsidenten hat er nun Mühe, in seiner Regierung wie in seinem persönlichen Umfeld die Bewunderer Pinochets im Zaum zu halten. Wohl hat er versucht, bei der Besetzung seines Kabinetts den harten Kern der »Pinochetistas« rechts liegen zu lassen. Das ist ihm aber nicht gelungen. Und so hat Chile wieder einige Amtsträger, die den Diktator noch immer als Retter der Nation verehren.
Schon im März, kurz nach dem Beginn seiner Präsidentschaft, mußte Sebastián Piñera dem von ihm ernannten Gouverneur der Region Bío-Bío, José Miguel Steigmeier, aus dem Amt entlassen, denn es war ruchbar geworden, daß Steigmeier für die »Colonia Dignidad« Geld gewaschen hat, das Folterzentrum des Pinochet-Regimes, das der Deutsche Paul Schäfer gegründet hatte.
José Piñera hat als Minister unter Pinochet ein umstrittenes System der privaten Rentenversicherung eingeführt. 1993 versuchte er einmal selbst, Präsident von Chile zu werden, bekam aber nur sechs Prozent der Stimmen. Heute ist er Präsident des Internationalen Zentrums für Pensionsreformen und Mitglied des Cato Institute, eines neoliberaler »Think Tanks« in den USA.
Karl-H. Walloch
Trauerfeier für Saramago
Der konservative portugiesische Staatspräsident Anibal Cavaco Silva blieb der Trauerfeier für den im Alter von 87 Jahren verstorbenen Dichter José Saramago fern. 1992, als Cavaco Ministerpräsident war, hatte seine Regierung die Nominierung Saramagos für den Europäischen Buchpreis blockiert. Als der Dichter 1998 den Nobelpreis erhielt, protestierte der Vatikan. Nach seinem Tod am 18. Juni warf ihm
L’Osservatore Romano vor, Marxist geblieben zu sein. Richtig. 1969, unter der klerikal-faschistischen Salazar-Diktatur, hatte er sich der illegalen kommunistischen Partei angeschlossen, der er bis zu seinem Tode angehörte. Dom Duarte de Braganca, der Anspruch auf den portugiesischen Thron erhebt, warnte davor, einen Mann, der »gegen Portugal« sei, als großen Nationalhelden zu ehren. Zigtausende nahmen an der Trauerfeier teil. Der spanische König und die Brüder Castro aus Havanna kondolierten.
K.-H. W.
Aufklärer ohne Illusionen
In diesen Tagen würde Erich Kuby, der vor fünf Jahren gestorben ist, hundert Jahre alt: eine gute Gelegenheit, sich an die »Kassandra vom Dienst«, wie Friedrich Sieburg ihn herabzusetzen suchte, den »Nestbeschmutzer von Rang«, wie Heinrich Böll ihn einst lobte, zu erinnern. Kritisch wie kaum jemand sonst in der bürgerlichen Presse beobachtete, durchleuchtete und kommentierte er die Entwicklung der alten Bundesrepublik, die, was oft vergessen wird, bis Anfang der Sechziger kaum so etwas wie eine kritische Öffentlichkeit hatte, sondern allenthalben von autoritären Strukturen geprägt blieb. Kuby, der ursprünglich schriftstellerisch arbeiten wollte und sich fast ganz darauf beschränkte, zu recherchieren und aufzuschreiben, was er sah, kämpfte gegen Wiederaufrüstung, Strauß und Konsorten, Korruption und Heuchelei und entfaltete dabei eine rastlose und erstaunlich breite publizistische Aktivität, die auch Reden, Hörspiele, Romane (wie »Das Mädchen Rosemarie«) und Filmskripte einschloß. Gut lesbar, auch heute noch, ist fast alles, was dieser streitbare Mann veröffentlichte, von seinen Kriegsaufzeichnungen (»Mein Krieg«), seinen deutschlandpolitischen Reportagen (»Das ist des Deutschen Vaterland«), den Anti-Strauß-Dokumentationen bis zu seinen Analysen der achtziger und neunziger Jahre (»Der Fall Stern«, »Der Preis der Einheit«, »Lauter Patrioten«) oder seiner hervorragenden Recherche zur Italienpolitik der Nazis (»Verrat auf deutsch«).
Gleich nach dem Krieg hatte sich Kuby aufgemacht, um bessere, demokratische Verhältnisse herbeizuschreiben. Vierzig Jahre später stellte er nüchtern fest, daß die Vernunftpositionen, auf denen er und andere Intellektuelle beharrten, keine Chancen hatten und haben angesichts einer Macht, für die Vernunft, Aufklärung oder Kultur bestenfalls Attrappen sind. Während andere weiter ihrer Illusion anhingen, sie könnten auf die Macht einwirken, konstatierte er 1989 lapidar: »Die Mächtigen sind der Vernunft entlaufen.« Dennoch schrieb er weiter auf, was er sah, nahm das »verschleiernde Geseire« der bürgerlichen Presse nach Belieben auseinander und wurde nicht müde, die Grundwidersprüche der alten und neuen BRD herauszustellen, auch wenn er sich gleichzeitig illusionslos eingestehen mußte, daß er auf (zumindest bürgerliche) Adressaten kaum noch zählen konnte.
Jürgen Pelzer
Bis die Sprache gefror
Acht Jahre nur, zwischen Dezember 1959 und September 1967, flogen die Briefe zwischen Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson hin und her. 160 Dokumente mit teilweise tagesaktuellen Mitteilungen, teilweise Gedankenaustausch, aber auch Privatem. Was soll es heute noch bringen? Der eine ist tot und berühmt, der andere schon lange kein Anhänger seiner damaligen Ideen mehr. Aber vielleicht gerade deshalb tut die Authentizität des Dokumentarischen gut, denn in den Briefen stecken wahre Geschichten: wie der aus der DDR-»Umgezogene« rasch in den Kollegenkreis einbezogen wird, in die Projekte für Zeitungen, in das Preis-Karussell, protestierende Rundschreiben, die Treffen der Gruppe 47. Auch der fünf Jahre ältere wendige Enzensberger kümmert sich und macht sich den eher schüchternen, aber sehr konsequenten Mecklenburger zum Freund, der ihm gewissenhaft zum Beispiel bei der Haussuche hilft. Die Familien besuchen sich. Die gegenseitigen Briefe sind literarisch ambitioniert und dem »Nachruhm« verpflichtet – amüsant, manchmal ironisch, stilistisch penibel. Auch wenn es nur als Witz zwischen ihnen kursiert haben sollte, an die Nachwelt dachten sie wohl insgeheim schon. Vor allem Johnson lieferte romanreife Passagen.
Im Buch steckt auch, dank vorzüglicher Anmerkungen, acht Jahre Geschichte des westdeutschen Kulturbetriebs aus subjektiven Blickwinkeln: die
Spiegel-Affäre, zunehmende Politisierung, Wahlkampf für die SPD. Da schert Johnson aus. Er kritisiert die Phraseologie und zweifelt am Erfolg der politischen Kämpfer. Nun – 1966 – sollen die Briefe doch nicht mehr für eine künftige Edition und Altersversorgung herhalten, sondern für »Zwecke brutaler Verständigung«. Doch die Zeit rennt den beiden davon. Zwar werden die immer unterschiedlicher werdenden Positionen benannt, aber anstelle von Verständigung oder Streit auf dem für beide angemessenen Niveau drängt das profane Leben in den Freundesbund. Enzensbergers Bruder und Ex-Frau, die während des Amerika-Aufenthalts Johnsons in dessen Berliner Wohnung lebten, machten diese zur Unterkunft der »Kommune 1« und hatten dort ihren Spaß. Als Johnson den Freund bat, einzuschreiten, lehnte Enzensberger die Verantwortung ab. Außerdem schuldete er dem anderen auch noch Geld. Johnson konnte nicht nur spaßige Briefe schreiben, selbst seine Sprache gefror bei den Ansprüchen und Vorwürfen gegenüber dem einstmals Verehrten.
Christel Berger
Hans Magnus Enzensberger/Uwe Johnson: »Der Briefwechsel«, herausgegeben von Henning Marmulla und Claus Kröger. Suhrkamp, 343 Seiten, 25.50 €
Walter Kaufmanns Lektüre
Nur wenige Tage nach dem Ferngespräch aus Hamburg läutete Hans Herbst an meiner Wohnungstür, trat ein und ließ sich zum Gespräch in der Wohnküche nieder – ein forscher Mann in den Sechzigern, kahlköpfig mit Backenbart, in Armeeparka, Jeans und Stiefeln. Ob er rauchen dürfe, wollte er wissen. Der Zigarrenrauch lag würzig in der Luft, und der ihm angebotene Whiskey sagte ihm zu. Er kannte sich in etlichen Sorten aus. Was mich nicht wunderte. Ich hatte genug von ihm gelesen, um mir eine Vorstellung von ihm machen zu können: ein weit gereister Abenteurer, trinkfest, kontaktfreudig, mit der Unterwelt vertraut, mit Kneipen und Spelunken, und schönen Frauen zugetan. Ich war darauf gefaßt, daß er mich wegen meiner Besprechung seines »Cuba Linda«-Buches angehen würde. Er kannte sie nicht, und als ich ihm ihren Kern wiedergab, ihm klar sagte, daß mir seine Anwürfe gegen Fidel Castro in die Erzählungen willkürlich eingebaut schienen, geriet er ins Grübeln. »Die kommen nicht von Ihren Protagonisten, sondern reflektieren nur Ihre Meinung. Und darum stechen sie ab wie ein kaputter Daumen von der Faust.« Das ließ er nach einigem Zögern gelten, worauf ich ihn auf seinen Roman »Mendoza« ansprach, in dem er sehr parteilich das Schicksal eines in Pinochets Chile gefolterten und nach Paris geflüchteten Arbeiters schildert – eine totale Anklage gegen Pinochets Mörderregime. Wie das zusammenginge: seine Haltung zu Castro und zu Pinochet? Despoten beide, meinte er, und weil ihm bewußt war, wie ich darauf reagierte, verwies er schnell auf seinen Erzählungsband »Stille und Tod« und die darin enthaltene Erzählung »Sieben Namen«. Ich hatte sie gelesen wie alle seine im Pendragon Verlag erschienenen Bücher: »Siesta«, »Gringo«, »Mendoza«, »Cuba Linda«. Auch »Stille und Tod«. »Sieben Namen« hatte es in sich! Sprachlich genau, geschliffen wie das Gros seiner Arbeiten und spannend dazu wird in dieser Erzählung der Vergeltungsakt eines Holocaustüberlebenden geschildert, eines Juden namens Rosenblum, der sich in den Geheimbund ehemaliger Nazis einschleust und dessen Pläne für ein ultrarechtes Schulungszentrum in Eisenach aufdeckt. Sieben prominente Deutsche macht er ausfindig, überzeugte Nazis alle, und am Ende rächt er sich an einem von ihnen, einem Hamburger Senator, für die an den Juden begangenen Greueltaten: Er bringt den Mann um und wird selbst getötet. Ob ich ihn, Hans Herbst, dann nicht besser einordnen könne, fragte er mich. Ja und nein, erwiderte ich. Ihm war deutlich, daß dieses Nein meinen Vorbehalten gegen sein »Cuba Linda« entsprang, und er zeigte sich erst erleichtert, als ich hinzufügte, ich hielte ihn in seinen besten Arbeiten für geradezu brillant – für einen Erzähler von Format.
W. K.
Bisherige Hans-Herbst-Edition im Pendragon Verlag: »Siesta«, »Gringo«, »Mendoza«, »Cuba Linda«, »Stille und Tod«, insgesamt circa 1330 Seiten, pro Band 19.90 €
Press-Kohl
Pastor Joachim Gauck möchte Bundespräsident werden. In einem Interview mit Bild am Sonntag beantwortete Gauck die Frage, ob er sich eine Vorstellung von dem Leben nach dem Tod mache, wie folgt:
»Nein. Diese Vorstellung habe ich mir gemacht, als ich ein Kind war. Das war so wie nach Hause kommen. Als ich älter wurde, mußte ich studieren und wissen, konnte nicht nur wünschen und hoffen. Und das Allerschwerste: Ich mußte lernen, nach Auschwitz an Gott zu glauben. Dann verlieren sich die Kinderbilder. Vielleicht stellen sie sich ja wieder ein, wenn man weise wird im Alter. Das kann sein.«
Ob ich so etwas bei Gauck noch erlebe, ist meines Alters wegen ungewiß.
*
Wer in modischen Angelegenheiten unsicher ist, sollte sich (wie ich) freuen, wenn er zufälligerweise in Uta Mendels lehrreichem Ratgeber, »Mann, wie siehst du aus!« blättern kann.
»Häufige Fehler sind: zu kleine Anzüge, zu kurze Hosen und zu lange Ärmel ...« Da kann mir Frau Mendel nicht helfen, denn ich habe zu kurze Arme. Indes rät sie: »... Ungebügelte Hemden oder Hosen, in denen Sie schon seit zehn Jahren sitzen, törnen ab und handeln Ihnen spontan Minuspunkte ein.«
Auch ich habe die leidige Angewohnheit, ohne Unterbrechung zehn Jahre in meinen Hosen zu sitzen. Schluß damit! Von nun ab werden meine Hosen ein- bis zweimal jährlich gebügelt. Doch männliche Eitelkeit hat ihren Preis: Vor dem Bügeln muß ich die Hosen jedesmal ausziehen.
Felix Mantel