Völlig überraschend ist mir eine große Ehre zuteil geworden: Im Briefkasten lag ein sehr persönlich gehaltenes Schreiben des Fördervereins Berliner Schloß e.V. an den »sehr geehrten Herrn Hartmann«, das mich über das »größte und wichtigste Kulturvorhaben in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts« unterrichtet. Prof. Dr. Dr. Richard Schröder, erster Vorsitzender des Fördervereins, und Wilhelm von Boddien, Vereinsgeschäftsführer und unermüdlicher Streiter für die Wiedererrichtung des Hohenzollernschlosses, haben es sich nicht nehmen lassen, das Schreiben eigenhändig zu unterzeichnen, um mich als Spender für das geschichtsträchtige Anliegen zu gewinnen und mir im Vorgefühl ihres Erfolges abschließend »dankbare Grüße« zu übermitteln. Ich bin gerührt.
Beigefügt ist dem Schreiben die aktualisierte 72. Auflage des Mitteilungsblattes des Fördervereins: Berliner Extrablatt. Neueste und gründliche Informationen zum Bau des Humboldtforums in der äußeren Gestalt des Berliner Schlosses. Darin zieht von Boddien eine »Zwischenbilanz« von »20 Jahre(n) Arbeit am Wiederaufbau des Berliner Schlosses« und konstatiert voller Stolz: »Nur mit Hilfe unserer unzähligen Freunde, Mitglieder und Spender ist es uns gelungen, das zur Wiedervereinigung schon vergessene Schloß in die Gegenwart zurückzuholen.« In einer »wunderbaren Bürgerinitiative« sei aus einem kleinen Schneeball »eine große Lawine mit inzwischen über 12.000 Mitgliedern und Spendern« geworden.
Um Letztere, genauer gesagt um Spenden geht es in dem Extrablatt, denn bisher ist weniger als ein Fünftel der vom Förderverein zugesagten Gelder für die Finanzierung der Schloßfassaden zusammengekommen, und so werden die mit dem Blatt Beglückten von Seite 1 bis Seite 40 aufgefordert: »Bitte machen Sie weiter Geschichte, helfen Sie mit!«, »Machen Sie Geschichte! Mit Ihrer Schloß-Spende setzen Sie sich ein Denkmal!«, »Kaufen Sie symbolische Schloßbausteine ...!«, »Spenden Sie auch über das Internet!«, »Schloß-Spenden aus dem Ausland sind in der EU, der Schweiz und den USA steuerbegünstigt!«, »Machen Sie Geschichte! Engagieren Sie sich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses! Herzlichen Dank!« und so weiter und so fort.
Auf diese eindringliche, zupackende Art wirbt der Verein unentwegt um Spenden, und doch sind von den angekündigten 80 Millionen Euro bisher nur 15 Millionen (Stand Februar 2011) eingesammelt worden. Das sind keine Peanuts, aber für das »wichtigste Kulturvorhaben in Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts« wahrlich nicht gerade viel. Das geringe, um nicht zu sagen miserable Sammelergebnis gibt Rätsel auf, die vor dem Hintergrund außergewöhnlich günstiger Umstände um so größer sind.
Immerhin liegt dem Schloßbau ein Beschluß des Bundestages zu Grunde. Bereits im Juni 2002 hat das Parlament mit großer Mehrheit den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und den endgültigen Abriß des Palastes der Republik beschlossen. Schwerlich ist ein wichtigerer Mäzen für ein Bauwerk vorstellbar. Jeder potentielle Spender sollte folglich davon ausgehen können, keinem eigennützigen Betrüger aufzusitzen. Dessen ungeachtet verharren die Bundesbürger, auch die mit dem dicken Portemonnaie, in ungewöhnlicher Zurückhaltung. Weshalb nur?
Kein anderes Bauvorhaben in der Bundesrepublik verfügt über solche namhaften Befürworter wie der Wiederaufbau des Kaiserschlosses. Welcher geschichtsbewußte deutsche Patriot hätte sich nicht angesprochen fühlen müssen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür warb: »Ich würde mir wünschen, daß der alte Palast der Republik endlich abgerissen wird, wie vom Bundestag mehrfach beschlossen. Denn erst wenn er abgerissen ist, wird sich die Sehnsucht nach dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses voll entfalten. Ich freue mich jedenfalls darauf (...) Was mich angeht, wissen Sie, daß ich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses bin.« Ganz zu schweigen von ihrem Basta-Vorgänger Gerhard Schröder, der sich kurz, aber höchst präzise äußerte: »Der Palast der Republik ist so monströs, daß ich da lieber ein Schloß hätte, einfach weil es schön ist.« Trotz solcher Fürsprache klingelt es in von Boddiens Sammelbüchse nur mäßig. Warum nur?
Auch die »Schloß-Partner«, zu denen neben vielen anderen die Axel Springer Verlag AG, der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Daimler AG, die Thyssen Krupp AG, die Wall AG gehören, sind nicht gerade in Spendierlaune. Obwohl der Förderverein nicht müde wird, ihnen für ihre »tolle Unterstützung« zu danken, gibt es bisher keine Informationen über erwähnenwerte Hilfsgelder. Weshalb nur dieser Geiz?
Nicht besser ist die Lage bei den »Freundes- und Förderkreisen für das Berliner Schloß«, die in vielen west- und seltsamerweise nicht in ostdeutschen Städten gegründet wurden. Zwar können sie schwerlich Millionenbeträge aufbringen, doch auch Kleinvieh müßte Mist machen. Warum sieht und riecht man davon so wenig? Wie ist das nur möglich?
Dabei stellen doch von Boddien, Schröder und andere Schloßenthusiasten den Spendern eine einzigartige Ehrung in Aussicht. Wer zum Beispiel für die Schloßfassade Schmuckelemente stiftet, kann im Internet und später auch im vollendeten Bau für alle Zeiten gerühmt werden. Das Angebot ist beeindruckend. Es reicht von einem Fünftel Normalstein für 50 Euro bis zum Kolossalsäulenkapitell für 159.900 Euro, auf dem preußische Prachtadler das beherrschende Element sind. Doch trotz kräftigem Werbetrommelschlag verläuft der Verkauf schleppend und trägt nicht entscheidend zur Erhöhung des Spendenaufkommens bei.
Die bislang eingesammelten 15 Millionen Euro sind nicht einmal der Kassenstand, denn auch der selbstlose Förderverein lebt nicht von der Luft allein. Jahr für Jahr fordert die Marktwirtschaft ihren Tribut, und die laufenden Ausgaben für Personal, Mieten, Werbung und anderes fressen einen beträchtlichen Teil der eingenommenen Spenden. Das wäre zu vermeiden, wenn der erhoffte breite Spendenfluß nicht ausgeblieben wäre. Wie also – und immer wieder stellt sich diese Frage – konnte das geschehen? Es kann doch wohl nicht daran liegen, daß der Wiederaufbau des Schlosses nicht sonderlich populär ist und laut einer Forsa-Umfrage sogar 80 Prozent der befragten Berliner dagegen sind. Diese kleine Erschwernis müßte sich durch die hochgestellten Fürsprecher, die potenten Unterstützer, die uneigennützigen Freundeskreise und die phantasievollen Angebote aus dem Fassadensteinsortiment leicht überwinden lassen.
Aber nichts dergleichen geschieht. Es bleibt ein Rätsel, und Schloßgegner müssen befürchten, daß letztlich auch sie als Steuerzahler – zusätzlich zu den bisher schon zu niedrig angesetzten 440 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt – zur Kasse gebeten werden, wenn es gilt, das Manko der Spendeneintreiber auszugleichen, damit das Schloß in seiner ganzen Pracht wiedererstehen kann, wofür nach neuen Schätzungen 600 Millionen Euro draufgehen werden. Ich selbst bin unbesorgt, denn in dem an mich gerichteten persönlichen Schreiben wird versichert: »Wir sind im Plan. Wir sind im Kostenplan. Wir bleiben im Zeitplan.« Diese Worte aus der Feder solch überzeugter Gegner der Planwirtschaft wie Professor Schröder und von Boddien wiegen doppelt schwer, und so bin ich ob der mir zuteil gewordenen Ehre nicht nur gerührt, sondern auch zutiefst erleichtert. Dank Euch, Ihr edlen Palastabreißer und Schloßerbauer!