Für kaum einen anderen Krieg sind in Deutschland so viele Bezeichnungen gefunden worden und in Gebrauch gekommen wie für jenen, der am 22. Juni 1941 begann. Nicht alle diese Begriffe konkurrieren, die meisten stehen zueinander in friedlicher Koexistenz. Der – schon ein wenig aus der Mode gekommene – »Ostkrieg« erinnert an Benennungen wie der Nordische. Der »deutsch-sowjetische Krieg« besitzt viele Verwandte: der deutsch-dänische, der russisch-japanische und andere mehr. Am häufigsten begegnet dem Leser von Zeitungen und Zeitschriften wohl die Wendung »Hitlers Krieg«, in der Zahl der Verwendungen nur erreicht vom »Vernichtungskrieg«. In einer ebenfalls weit verbreiteten Kombination ergibt das dann »Hitlers Vernichtungskrieg«, und die hat wiederum gleichsam eine Steigerungsstufe bekommen: »Hitlers rassebiologischer und rasseideologischer Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg«.
Keine dieser Bezeichnungen ist frei erfunden. Sie alle haben ihren Bezug zur Realität. Hitlers außerordentliche Verantwortung für diesen Krieg, für sein Zustandekommen wie für die Art der Kriegführung, steht außer Zweifel. Ebenso die Tatsache der massenhaften Vernichtung von Menschen, Tieren, Bauten von Generationen, Landschaften, die an Zahl und Wert alles übertraf, was in früheren Kriegen zerstört worden war. Unstrittig ist auch, daß die an diesen Krieg und die in ihm begangenen Verbrechen zu richtenden Fragen die verheerende Rolle von Ideologien betreffen, besonders Antisemitismus und Antislawentum. Unsinnig sind einzig Bezugnahmen auf die Rasse im Zusammenhang mit den Massenmorden. Die Millionen Juden waren und sind ebenso wenig eine Rasse, wie es die sowjetischen Kriegsgefangenen und die im besetzten Gebiet ermordeten Russen, Weißrussen, Ukrainer und Angehörigen anderer Völker waren.
Die Fragen beginnen erst hinter diesen Kennzeichnungen. Wollte Hitler ihn allein? Wurde der Krieg nur um der Vernichtung willen geführt? Bildeten einzig eine abstruse Gedanken- und eine verhunzte Empfindungswelt den Antrieb für die Aggressoren und deren mörderisches Handeln? Nicht, daß die zitierten Begriffe benutzt werden, verdient Kritik. Aber daß sie als das Ganze ausgegeben werden. Das macht sie zum Ersatz und weckt den Verdacht, daß vom Ganzen nicht geredet und geschrieben werden soll.
Kriege werden seit Jahrtausenden um bestimmter vorgedachter Ziele willen begonnen: um Land zu gewinnen oder einen Thron, weshalb es auch Erbfolgekriege gab. Die Frage nach den Zielen läßt sich auch im Hinblick auf die deutschen Aggressionen nicht umgehen. Und so scheint in Abhandlungen auch das Wort Eroberungskrieg auf. Was erobert werden sollte, wird meist mit dem vom den Nazipropagandisten bevorzugten Begriff vom »Lebensraum« umschrieben, an dem es den Deutschen gemangelt habe, während »die Anderen«, die Osteuropäer, ihn im Überfluß besaßen und nicht oder schlecht nutzten. In Siegeslaune haben die Führer um Hitler und er selbst dann den Volksgenossen den Begriff gedolmetscht, mit dem die so recht nichts anfangen konnten. Denn wer wollte schon seinen Wohnsitz vom Rhein in irgendeine Einöde zwischen Dnjpr und Wolga verlegen? Geredet wurde dann von Erdöl, Erzen und Weizen, und die konnte man sich ja kommen lassen, gefördert, geerntet und verladen von den »Heloten« wie der Chef des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, die nannte, die seine Mörderschwadronen nicht als unbrauchbar und überflüssig umgebracht oder vertrieben haben würden.
Durchmustert man die aktuellen Äußerungen aus dem Rückblick von sieben Jahrzehnten, läßt sich der Eindruck gewinnen, Erdöl, Erze und Weizen seien im Zusammenhang mit dem »Plan Barbarossa« zu Tabuwörtern erklärt worden. Sie könnten auf eine geistige Fährte führen, an deren Ende eine Erinnerung oder gar die Wiederentdeckung des Begriffs »imperialistischer Krieg« stünde. Zudem würde ihre Benutzung auch im Hinblick auf gegenwärtige Kriege unser Denken nur in falsche Richtungen weisen. Wehret den Abwegen!