»Selbstverständlich ist Max Mannheimer einer von uns.« Als ich das aus dem Munde von Bernd Posselt hörte, verschlug es mir den Atem. Max Mannheimer im Kielwasser der Sudetendeutschen Landsmannschaft? Der Auschwitz-Überlebende im Bunde mit jenem Bernd Posselt, der den Völkermord an den Juden bagatellisiert und auf eine Stufe stellt mit der Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende? Der Sohn jüdischer Eltern, die von den Nazis enteignet und dann in Auschwitz ermordet worden sind, einer von denen, die mit den Tschechen erst Frieden machen wollen, wenn die Deutschen ihre alten Besitztümer in Böhmen und Mähren zurückbekommen haben? Makaber.
Als Posselt dem 92jährigen Holocaust-Opfer zu Pfingsten in Nürnberg den europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft überreichte, verwies er zur Begründung auf dessen nordmährische Herkunft. Genügt wirklich der Geburtsort, um Posselts organisierter Anhängerschaft zugerechnet zu werden? Meine Eltern stammen ebenfalls aus Nordmähren, noch dazu aus der unmittelbaren Umgebung von Neutitschein, Mannheimers Geburtsstadt. Ich selbst wurde in Nordböhmen geboren. Weder Posselt noch sonst jemand aus seiner Umgebung kam bisher auf die Idee, mich deswegen als einen der Ihren zu betrachten. Auch der von den Nazis vertriebene Kommunist Louis Fürnberg, dessen im Exil entstandene Gedichte seine Liebe zur Heimat Böhmen bezeugen, blieb für sie ein Fremder. Und Max Mannheimer? Spielt er im kollektiven Gedächtnis der Sudetendeutschen eine besondere Rolle?
Ich schlage das »Sudetenland-Lexikon« auf und finde über Max Mannheimer kein einziges Wort, dafür 42 wohlwollende Zeilen über Konrad Henlein, den Statthalter Hitlers im Sudetenland. Auch an den Staatssekretär beim Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, Karl Hermann Frank, erinnert das Nachschlagewerk. Über ihn heißt es: »Von den Tschechen wurde Frank für das Verbrechen von Lidice belastet; es gibt aber auch andere Stimmen, die ihn als nicht verantwortlich dafür bezeichnen.« Am 10. Juni war es 70 Jahre her, seit die Nazis als Vergeltung für das Attentat auf den SS-Führer Reinhard Heydrich Rache nahmen an den Bewohnern von Lidice.
Posselt wußte, daß die »lieben Landsleute«, die zum staatlich finanzierten Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft nach Nürnberg gekommen waren, mit Mannheimer nicht viel im Sinn haben. Es sei »keine einfache Laudatio«, die er da zu halten habe, meinte er bei der Preisübergabe. Zwar sei der Geehrte »einer von uns«, andererseits entziehe er sich jeder Vereinnahmung. Er sei »auf das Fürchterlichste gequält, verfolgt und mißhandelt worden von Menschen unseres Volkes und auch unserer Volksgruppe.«
Daß 67 Jahre ins Land gehen mußten, ehe sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft zu einem solchen Schuldeingeständnis gegenüber einem Opfer des Naziterrors bereit fand, spricht für sich. Und warum gerade jetzt? Warum ehrt eine Organisation, in der Rechtsextremisten alter Schule über Jahrzehnte hinweg den Ton angegeben haben, einen Überlebenden des Holocaust wegen seines Kampfes gegen den Rechtsextremismus mit ihrem Karlspreis? Hat am Ende die bessere Einsicht gesiegt, oder ist das Ganze ein Manöver zur Verschleierung alter Ansprüche auf die ehemals deutsch besiedelten Gebiete in der Tschechischen Republik? Wohl eher das Zweite.
Seit die Landsmannschaft mit ihrer Frontalattacke gegen die Beneš-Dekrete gescheitert ist, übt sie sich in einer neuen Taktik. Sie möchte über die Anerkennung als materieller Wohltäter hinaus auch die Seelen der Menschen in Tschechien gewinnen. Sie legt zu Ehren der Opfer des Naziterrors Kränze in Theresienstadt und Lidice nieder und verleiht einem Überlebenden des Holocaust ihren Karlspreis. Auf Camouflage haben sich die Volkstumskämpfer seit jeher gut verstanden. Bis zum Schluß heuchelte Konrad Henlein gegenüber Prag Versöhnungsbereitschaft, obwohl er nur eines im Sinn hatte, die Zerschlagung der Tschechoslowakei. Nachdem alles schief gegangen war, versprachen die Vertriebenenfunktionäre, als hätten allein sie das Recht auf ihrer Seite, den Verzicht auf Rache und Vergeltung. Ihre Kampfansage an die Alliierten nannten sie hochtrabend »Charta der Heimatvertriebenen«, so als handle es sich um ein Pendant zur Charta der Vereinten Nationen.
Dies alles weiß natürlich auch Max Mannheimer, der langjährige Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau. Daß er die Ehrung durch die Sudetendeutsche Landsmannschaft dennoch akzeptiert hat, wird manchen verwundern. Ihn deswegen zu kritisieren, steht niemandem zu.