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Nazis am langen Arm des Verfassungsschutzes?  (Ulla Jelpke)

»Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz durch sein Verhalten die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt hat.« Zu diesem Ergebnis kam eine von der Thüringer Landesregierung beauftragte unabhängige Kommission unter Leitung des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer, die zu untersuchen hatte, wie sich die Sicherheitsbehörden gegenüber den Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verhalten haben, die für zehn Morde vor allem an migrantischen Gewerbetreibenden, zwei Bombenanschläge und eine Vielzahl von Banküberfällen verantwortlich sind.

Nach der Sichtung von 20.000 Aktenseiten und der Anhörung von Behördenvertretern und V-Leuten des Verfassungsschutzes legte die Kommission Mitte Mai ihren Untersuchungsbericht vor. Zusammenfassend nannte Kommissionsleiter Schäfer die Rolle des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) ein »sehr belastendes Kapitel«. So habe der Geheimdienst sein Wissen über das »Zwicker Trio« nur unzureichend an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben, was sich »dramatisch« auf deren Ermittlungstätigkeit ausgewirkt habe. Hätte das Landeskriminalamt das Wissen des Geheimdienstes über die nach Bombenfunden in ihrer Garage seit 1998 untergetauchten Nazis gehabt, dann hätte die zuständige Staatsanwaltschaft Gera zwingend den Generalbundesanwalt wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung einschalten müssen.
Den Eltern eines der untergetauchten Neonazis rieten Verfassungsschützer, wichtige Informationen an diese Behörde nur von Telefonzellen aus zu geben. So sollte wohl verhindert werden, daß die Polizei, die die Telefone der Familien abhörte, ebenfalls diese Informationen erhielt. So wurde die Ermittlungstätigkeit unterlaufen.

Die Kommission sieht eine Mischung aus Inkompetenz und Konkurrenz zwischen Verfassungsschutz und Polizei als Ursache des behördlichen Versagens. Von der Kommission vernommene Polizisten gingen offenbar noch weiter. »Nahezu alle von der Kommission gehörten Beamten« des Thüringer LKA teilten laut Untersuchungsbericht die »Vorstellung, das TLfV habe das Trio logistisch unterstützt«. Da allerdings keiner der Beamten konkrete Beweise für diese Annahme vorlegen konnte, hält Schäfer diesen Verdacht für ebenso »haltlos« wie die Vermutung, ein Mitglied der Zelle sei als Quelle des Geheimdienstes geführt worden. Daß den untergetauchten Nazis Gelder von V-Leuten zuflossen, sei allerdings nicht auszuschließen.

Kontakte zu den Naziterroristen bestanden möglicherweise auch von Seiten des sächsischen Verfassungsschutzes. So ergab die Auswertung der Verbindungsdaten von NSU-Mitglied Beate Zschäpe am Tag des Todes ihrer Kumpane Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos, dem 4. November vergangenen Jahres, 15 telefonische Kontaktversuche über Anschlüsse des sächsischen Innenministeriums und der Polizeidirektion Südwestsachsen. Die Linksfraktion in sächsischen Landtag hat daher den Verdacht, daß Zschäpe als V-Person für den Verfassungsschutz gearbeitet haben könnte. Das inzwischen im Falle NSU wegen Rechtsterrorismus ermittelnde Bundeskriminalamt wiegelt hier ab: Alle Anrufer bei Zschäpe seien zugeordnet worden. »Bei unserer Auswertung der Verbindungen dieses Tages haben wir keine Hinweise darauf gefunden, daß die Beschuldigte oder ihre Mittäter mit dem Verfassungsschutz gearbeitet haben könnten.«

Der Verdacht, daß der NSU am langen Arm des Verfassungsschutzes lief, wird allerdings noch durch eine Spur zu dem im Jahr 2000 vom Bundesinnenministerium für ganz Deutschland verbotenen internationalen »Blood&Honour«-Netzwerk erhärtet. Das LKA Thüringen hatte 1998 die späteren NSU-Mitglieder zum harten Kern dieses Jenaer Nazi-Netzwerkes gerechnet, das damals über die Bildung von Untergrundzellen zwecks bewaffneter Aktionen diskutierte. Der Führer von »Blood&Honour« in Sachsen, Jan W., stand 1998 in telefonischem Kontakt mit einem Handy, das laut dem Thüringer Untersuchungsbericht auf ein »Ministerium des Inneren eines anderen Bundeslandes« registriert war und sich zum Zeitpunkt der Telefonate im sächsischen Chemnitz befand; gemeint ist also wohl das sächsische Innenministerium.

Am 25. August 1998, wenige Monate nach dem Abtauchen von Bönhardt, Mundlos und Zschäpe, schickte W. seinem Kontaktmann im Innenministerium eine SMS mit dem Inhalt: »Hallo, was ist mit den Bums.« Der Thüringer Untersuchungsbericht der Schäfer-Kommission sieht darin einen Hinweis auf Waffen, die W. angefordert haben könnte. Im Bericht heißt es weiter: »So wurde aus dem Umfeld des W. wie auch der A. bekannt, daß drei rechte Personen (2 Männer und eine Frau) im Bereich Chemnitz untergetaucht sind und in den nächsten Tagen ins Ausland gebracht werden sollen. Hierzu notwendige Ausweisdokumente seien noch in Arbeit.« Wußte der sächsische Verfassungsschutz also nicht nur, wo sich die Untergetauchten aufhielten, sondern auch von deren Absicht, sich Waffen zuzulegen? Den Thüringer Ermittlern, die die untergetauchten Nazis suchten, wurde dies offenbar nicht mitgeteilt, denn das Thüringer LKA hatte laut Untersuchungsbericht »keine Hinweise, daß den ermittelnden Beamten im August 1998 Erkenntnisse zu einem möglichen Waffenbesitz beziehungsweise zu einer Suche des Trios nach Waffen vorlagen«. Auch dem Hinweis auf das Innenministerium eines anderen Bundeslandes, dem W.s Handykontakt zuzuordnen ist, wurde offenbar nie nachgegangen.

Offene Fragen stellen sich indessen auch zur Rolle des Mitarbeiters des hessischen Verfassungsschutzes Andreas T., der in den Medien als »Klein Adolf« bekannt wurde. Diesen Spitznamen hatte T. aufgrund seiner rechten Gesinnung in seinem Heimatort erhalten. T. war nicht nur – nach eigenen Angaben zufällig – am 6. April 2006 zum Zeitpunkt eines der NSU-Morde am Tatort, einem Internetcafé in Kassel, ohne sich anschließend der Polizei als Zeuge zu stellen. Nach T.s inzwischen ausgewerteten Unterlagen stand er nicht nur in unmittelbarem zeitlichem Umfeld dieses Mordes an dem türkischstämmigen Internetcafé-Betreiber, sondern auch bei zwei weiteren NSU-Morden an türkischen und griechischen Gewerbetreibenden im Jahr 2005 in München und Nürnberg mit seinem Kasseler V-Mann aus dem »Blood& Honour«-Netzwerk in telefonischem Kontakt. Alles nur Zufall?

Hat der Verfassungsschutz im Falle des NSU nur »geschlampt«, wie die von der Thüringer Landesregierung eingesetzte Untersuchungskommission meint? Oder haben Verfassungsschützer verschiedener Bundesländer wissentlich ihre schützende Hand über die untergetauchten Naziterroristen gehalten und diese gar als V-Leute genutzt? Im ersten Fall wäre der Inlandsgeheimdienst nur unnütz und ein Ermittlungshindernis, im zweiten aber brandgefährlich. Die Abschaffung der demokratisch nicht zu kontrollierenden Landes- und Bundesämter für Verfassungsschutz wäre in jedem Fall die logische Schlußfolgerung.

Dies sieht auch die Thüringer Linksfraktion so. Durch die bekanntgewordene Infiltration gewalttätiger Neonazi-Strukturen mit V-Leuten liege der Schluß nahe, »daß das Landesamt den Aufbau dieser Strukturen mittelbar durch Geldzahlungen im sechsstelligen Bereich an gefestigte Neonazi-Kader gefördert« und »über die Vertrauenspersonen aktiv betrieben« habe, erklärt Die Linke unter anderem in einem Gesetzentwurf zur Notwendigkeit der Auflösung des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Sie plädiert dafür, anstelle dieser Behörde eine »Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie« einzurichten.

Erwartungsgemäß wurde diese Gesetzesinitiative im März von den anderen Fraktionen abgeschmettert, doch die Linke läßt nicht locker. Der Verfassungsschutz sei eine »demokratiegefährdende Institution,« sagte die Thüringer Innenexpertin der Partei, Martina Renner, anläßlich einer Anhörung am 8. Juni im Erfurter Landtag. Zustimmung kam vom Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, der aufgrund seines bürgerrechtlichen Engagements selber jahrzehntelang vom Geheimdienst überwacht worden war. Der Inlandsgeheimdienst sei »nicht voll demokratisch kontrollierbar« und vielmehr ein »Fremdkörper in der Demokratie«. Rechtliche Probleme sieht der Jurist Gössner in dieser Forderung nicht – was indessen fehlt, ist der politische Wille. Vor allem Innenpolitiker der Unionsparteien hoffen vielmehr, aus den angeblichen Pannen der NSU-Affäre auch noch Nutzen zu ziehen und die Dienste zu stärken. Eine bundesweite Kampagne von Bürgerrechtsaktivisten und Linken für die Auflösung des Verfassungsschutzes wäre jetzt die richtige Konsequenz aus einem Skandal, der weit über Thüringen hinausreicht. Wahrer Verfassungsschutz wäre die Abschaffung von Behörden, denen dieser Name nicht zusteht, weil sie – hauptsächlich gegen linke Tendenzen ausgerichtet – die extreme Rechte verharmlosen oder sie sogar für geheime Zwecke einsetzen und dadurch die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Länderverfassungen bedrohen. Und Menschenleben gefährden.