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Titel132013

Niemand kriegt uns klein  (Jutta Ditfurth)

Am 1. Juni 2013 befand ich mich mit rund tausend Menschen im Frankfurter Polizeikessel. CDU-Minister Rhein und die Frankfurter Polizeiführung hatten Blockupy eine Falle gebaut, die Demo gestoppt und bis an die Zähne bewaffnete Polizeistaffeln gegen uns losgejagt.

Die Polizei setzte massenhaft Pfefferspray ein. Dadurch sind anderswo schon Menschen gestorben. Pfefferspray verätzt Lungenbläschen. Menschen können erblinden. Das jüngste Kind, das am Samstag Gas in Augen und Mund bekam, war zwei Jahre alt. Polizisten schlugen Menschen mit der Faust ins Gesicht. Traten sie. Stießen ihnen Tonfa-Knüppel in den Unterleib.

Ich mußte im Kessel viele Stunden beobachten, daß jede zweite oder jeder dritte Kesselgefangene beim gewaltsamen Abführen aus unseren Reihen mißhandelt wurde. Noch nie in 40 Jahren als politische Aktivistin habe ich gesehen, daß die Polizei so systematisch, so massenhaft und planvoll folterähnliche Griffe anwendet, die unerträgliche Schmerzen zufügen. Die Polizei hat Nasen hochgerissen, Augen gedrückt, Druckpunkte am Hals gefunden, Handgelenke überdehnt, Schultergelenke ausgekugelt. Solche brutalen Überdehnungen von Sehnen, diese Beschädigungen von Weichteilen und die Nervenquetschungen haben oft wochenlange Schmerzen zur Folge. Bei einigen Menschen können lebenslange körperliche Beschädigungen bleiben.

Der Anteil von demokratisch denkenden Polizisten war winzig, und sie hatten absolut nichts zu melden. Was hier an Polizeikräften herangezogen wird, ist eine mental und körperlich hochgerüstete Armee des Inneren, die nicht mal mehr zu wissen vorgeben muß, was »Demokratie« ist.

Etliche Polizisten zeigten eine faschistoide Mentalität, sie wären ohne Einarbeitungszeit in jedem diktatorischen System einsetzbar.

Mit aus dem Militärischen kommenden Polizeitechniken soll Ruhe an der Heimatfront hergestellt werden, damit Deutschland ungestört zum Beispiel seinen dritten Platz – gleich nach den USA und Rußland – auf der Liste der Exporteure des Todes verteidigen kann. Und immer noch gehen zehn Prozent aller deutschen Rüstungsgüter nach Griechenland, wo es nicht genug Geld für Nahrungsmittel und Medikamente gibt.

Warum haben Polizeiführung und Politik eine Demonstration verhindert und so viele Menschen gequält? Was sind ihre Interessen? Erstens: Viele und gerade junge Leute sind seit Beginn der Weltwirtschaftskrise zum ersten Mal auf die Straße gegangen. Bei Blockupy waren es etwa 20.000. In Zeiten der kapitalistischen Krise sollen nachfolgende kritische Generationen von Protest und Widerstand abgehalten werden. Polizeikessel finden statt, um Oppositionelle zu erfassen, abzustrafen, zu traumatisieren. Zweitens: Deutschland ist maßgeblich für die Austeritätspolitik der Troika verantwortlich. Aus Deutschland sollten am 1. Juni keine Bilder in die Welt ziehen, die zeigen, daß es in Frankfurt am Main 15.000 oder 20.000 Menschen gab, die solidarisch mit den Opfern der Troika und den Opfern deutscher Kapitalinteressen in aller Welt sind. Es sollte keine Botschaft der Solidarität aus einem Zentrum des Kapitalismus, aus dem »Herzen der Bestie«, nach Madrid, Rom, Athen oder auf den Taksim-Platz ausstrahlen.

Aber der Plan von Staat und Kapital, vertreten durch den Innenminister und die Frankfurter Polizeiführung, mißlang! Gescheitert ist auch der zentrale strategische Versuch der Polizei, den antikapitalistischen Block, der, wie im Blockupy-Bündnis vereinbart, vorn lief, vom Rest der Demo zu spalten. Die Nicht-Eingesperrten ließen die Eingekesselten nicht allein. Angesichts der Verschiedenheit der Gruppen und Strömungen war das keineswegs sicher und ein Erfolg, vielleicht der größte an diesem Tag.

Forderungen? Wir können gern den Rücktritt von Boris Rhein fordern, den Rücktritt der Frankfurter Polizeiführung und des Frankfurter Law-and-Order-Dezernenten Markus Frank. Sollen sie gehen. Aber überseht nicht, daß die Strukturen bleiben!

Wie wäre es mit ein paar konkreten Forderungen, beispielsweise: Verbot militärischer Kampftechniken bei der Polizei, absolutes Verbot von Pfefferspray, Verbot von Polizeikesseln, Einführung Namenschildern und persönlicher Verantwortung gewalttätiger Polizisten, Stopp aller Rüstungsexporte ... Meine Forderungsliste ist zu lang für ein bißchen Redezeit. Aber ganz vorn steht die Abschaffung des Kapitalismus. Der Kapitalismus ist eine Produktionsweise, die Menschen ausbeutet und vernichtet und die Natur zerstört. Er ist nicht reformierbar und sorgt, wie wir jetzt sehen, regelmäßig für Überproduktionskrisen.

Im nächsten Jahr wird die Europäische Zentralbank eingeweiht. Da werden wir wieder demonstrieren. Niemand kriegt uns klein!

Auszüge aus Jutta Ditfurths Rede auf der Solidaritätsdemonstration für Blockupy am 8. Juni 2013 in Frankfurt am Main, der vollständige Redetext findet sich auf der Website www.jutta-ditfurth.de