Auch der hochverdiente Arthur Miller, um den es leider stiller geworden ist, kann seine Stimme hören, wenngleich nicht mit den großen, weitgehend bekannten Stücken, sondern zwei Einaktern: »Rätsel einer Liebe« und »Eine Art Liebe«, zerstörend jenes Frauenbild, welches bis zum Anfang der 1970er Jahre, als der Feminismus seine Stimme erhob, geltend war. Mona Glass spielte diese Monodramen hart und kompromißlos ein, etwas der Marilyn Monroe, seinerzeit Millers Ehefrau, ähnelnd. Konsequentes und dichtes Spiel im Ambiente jener Zeit. Das Ganze im von Friedrich Luft seinerzeit so geliebten Theater am Südwestkorso, in dem ich aufgrund des schier unermeßlichen Weges erst zum zweiten Male war. Aber mit Freuden!
Die nächsten beiden Dramatiker, die hier gespielt vorzustellen sind, haben meine besondere Aufmerksamkeit – seit jeher: Peter Hacks, mit dem leider seltener gespielten »Müller von Sanssouci« im Simon Dach Projekttheater und Thomas Bernhard mit »Kalkwerk« als Oper im Radialsystem. Und noch eine »Oper«: »Votre Faust«.
»Friedrich ist ein preußischer Aufklärer, der Müller ist ein preußischer Aufrührer. Nickel ist ein preußischer Hanswurst.« Soweit Hacks über sein »bürgerliches Lustspiel« und dessen wichtigste Figuren. Desavouierung des Preußentums ist die eine deutlich erkennbare Tendenz des Stückes, die Pflicht des Menschen, sich zu emanzipieren, die andere. Die Handlung beruht auf der Anekdote, wonach ein ehrlicher und bürgerbewußter Müller namens Arnold Friedrich II. 1778 in einem Rechtsstreit um die klappernde Mühle besiegt habe. Der Kernsatz lautet: »Es gibt noch Richter in Berlin.« Hacks formt die Geschichte derart um, daß der listige König diesen Müller förmlich dazu zwingt, gegen ihn aufzubegehren, um seine Rechtsstrenge öffentlich kundig zu machen. In der Tat ein Komödieneinfall, wenn auch kein starker. Nach der Uraufführung von 1958 im Deutschen Theater Berlin gab es nicht allzu viele Neu-Inszenierungen. Umso verdienter diese Aufführung, so wenig sie geglückt erscheint. Die Vor- und Zwischenspiele vom Direktor des Schattentheaters sind mit den Mitteln des chinesischen Schattenspiels einigermaßen realisiert. Die Musik – eher organisierte Geräusche, manchmal war ihre dramaturgische Funktion zu hören – und weißbehangene Gestalten taten das ihre. Der Müller (Jan Hansen) mit weißer Halskrause, die wie ein Mühlrad aussah, und Michelmütze wirkte durchaus komisch. Zehn DarstellerInnen (auch Regisseur Peter Wittig agiert mit) spielten 23 Rollen – sowohl von der Königs- als auch von der Volkspartei. Das lief einigermaßen munter, etliche Figuren machten mit ihren Posen die Farce markant. Hervorhebenswert noch Ludwig Drengk – eben ein »preußischer Aufrührer« und Knecht! Den König spielte Margarete Steinhäuser, ebenso krumm wie er war, mir stellte sich Herwart Grosse von 1958 vor sie.
Bislang habe ich das »Radialsystem« wegen seiner avantgardistischen Beiträge geschätzt, doch seit der sogenannten Oper »Das Kalkwerk« von Helmut Oehring nach Thomas Bernhard nicht mehr. Die Szene besteht im Wesentlichen aus zwei Styroporplatten, fünf Streichern und drei Schauspielern, umgeben von Menschen, die sich 90 Minuten lang entsetzlich quälen müssen. Die »Darsteller« machen allerhand Mätzchen, die weder klärend und erzählend noch gar deutend sind, und die Musiker machen unangenehmen Lärm – das quietscht nur so! Gewiß hat die Moderne es in der Musik schwer und scheint im Grunde ausgeschöpft. Das hier konnte man sich ganz und gar ersparen. Das einzig Musikalische war ein Schubert-Zitat aus »Der Tod und das Mädchen«. Ein wenig zu wenig für einen Abend!
Noch weniger: »Votre Faust« von Michel Butor und dem Belgier Henri Pousseur. Ein junger Schlacks namens Henri, auch Kompositeur, soll eine Oper schreiben und erhält viel Auftragshonorar, was er verjubelt. Da wird Mephisto mißtrauisch, fürchtet um seine Seele, diesen Menschen – »Was wird nun?«, wendet sich Mephisto ans Publikum. Heraus kommt rein gar nichts – sollte das eine Verhöhnung des Publikums sein? Der große Stoff ist verschenkt in Wort und Ton – und das von Michel Butor?
Wie wuchtig dagegen Bachs »Johannespassion« im Berliner Dom, als szenische Aufführung mit Sängern und Tänzern in szenischer und musikalischer Leitung von Christoph Hagel und Martin Butzko. Streng auf den Konflikt zwischen Jesus und dem römischen Statthalter orientiert, war das große Drama sicht-, hör- und spürbar: Pilatus erkennt Größe und Gefahr dieses Mannes, den er richten lassen muß. Und bei aller Tragik eben ästhetisch, schön! Übrigens scheinen mehrere Regisseure beziehungsweise Kapellmeister die dramatische Kraft Bachscher Passionen erkannt zu haben: Auch in der Leipziger Thomaskirche hatte man das große Drama entdeckt, diesmal in der Matthäus-Passion.