Wie auch sonst? Der niederbayrische Abgeordnete Max Straubinger fand die Aktion auf dem Kampnagel-Gelände in Hamburg: »abscheulich« und »menschenverachtend«. Bild hatte den sozialpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe scharfgemacht. »Bösartig« sei es, »Sozialleistungen, die der Steuerzahler finanziert, so negativ darzustellen«, apportierte er Bild. Denn, ermögliche nicht ›Hartz IV‹ eine »Teilhabe am Leben« – wenn auch auf eingeschränktem Niveau, wie er kleinlaut hinzufügte?
Was ist passiert? Kampnagel feiert ein Live-Art-Festival, der Titel »Zoo 3000«. Die Gruppe »God’s Entertainment« aus Wien schuf einen »Human Zoo« im Foyer, wo Vertreter menschlicher Randgruppen ausgestellt werden (noch bis zum 15. Juni). Obdachlose, aus der Innenstadt vertrieben – hier kann man einfach nicht wegsehen. Die Käfigzellen von drei Quadratmetern haben nur Gitter, keine Vorhänge. Zu besichtigen sind ein Punk, sein Bett, eine Matratze, Wandaufschriften: »Fuck the Capitalism!« Nächste Zelle: Eine Roma-Frau, verloren zwischen Stoffresten auf einem alten Autositz. Dann: Der Frührentner, am Fernseher – der Gartenzwerg war nicht nötig. Werbezeitungen, Sonderangebote von »Lidl« liegen herum. Ein Besucher reicht ihm ein Bier – gekauft am Kiosk des Menschenzoos. Bananen, Nüsse, Zigarettenstummel, schön verpackt – alles für die Fütterung Nötige ist dort zu haben. Ich fühle mich immer unbehaglicher – so ist es gewollt. Die Führung an den Gehegen entlang macht ratlos. Eine Alleinerziehende mit Sohn, sie versucht zu arbeiten oder sich weiterzubilden – er zappt. Der schwarze Asylbewerber hat im Regal ein Rechtswörterbuch stehen. Ob es ihm hilft? Ein Bild-Journalist mit Kamera und Laptop – der ist wohl nicht echt, denke ich. »Auch eine Art Randgruppe« höre ich durchs Mikrofon. Er war im Auftrag da. In Bild steht später ein Bericht ihres Reporters, Fazit: »Ich will nie wieder begafft werden – und ich gehe nie mehr in den Zoo.« Anderes fiel ihm nicht ein. Ein Schild: »Nazigehege im Entstehen«. Ob das dort hingehört?
Aus dem Mikro: »Der ›Hartz IV‹-Empfänger, die typisch deutsche Randgruppe, braucht wenig Wohnraum, wenig Essen.« Obdachloser, Bettler, Flaschensammler, alle drei in einem Gehege am Warmluftschacht. In einer Vitrine diverse Flaschen mit Angabe des Pfandwertes. Zu kraß? Das behauptet die grüne Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke in Bild. Der Reporter – Auftrag erfüllt – gestand: »Verdammt hab’ ich gelitten!« Er fühlte sich »wie ein Affe im Käfig«. Aber das Blatt nutzt die Gelegenheit: »Das irre Theater-Projekt wird auch mit Steuergeld gefördert. Allein für 2013 erhält das Kulturzentrum ›Kampnagel‹ 4,8 Millionen Euro.« Leser-Protest geplant.
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In Halle sechs Tanz aus Papua-Neuguinea (nicht Polynesien, wie das
Hamburger Abendblatt schreibt). Der in Papua geborene Choreograf Jecko Siompo hat am Jakarta Institute of the Arts studiert und versucht nun, eine Synthese zwischen traditionellem Stil und modernem Tanz zu kreieren. Es gelingt. Er nennt diesen Stil »Animal Pop«. Seine zehn Tänzer und Tänzerinnen bewegen sich so gewandt und grotesk wie kleine Affen. Oder sie bilden zusammen ein Riesentier, das am Boden liegt und mit den Beinen zappelt. Bemalte Körper – aber Tiere? Carl Hagenbeck führte 1874 – drei Jahre nach der Reichsgründung – in Hamburg neben seinen Tieren Menschen im Gehege vor. Exotische Stammeskulturen in »ihrer« Umgebung als »Völkerschauen«. Die Tänzer in dem Stück: »In Front Of Papua« (europäische Erstaufführung) in diesen Zusammenhang zu stellen – unmöglich. Es gibt keine Dekoration, kaum Requisiten, nur Lichtregie, die eine breite Straße auf die Bühne wirft. Der Weg, den sie gehen aus dem Dschungel in die Stadt? Der Dschungel – das sind die Tänzer. Ihre Verklammerungen, das Gebücktgehen, manchmal ein Liegetanz, die Zusammenballungen und das immer wieder Zueinanderfinden. Die Sicherheit, die Gemeinschaft zu bringen scheint. Wer sich absetzen will, wird verstoßen. Doch alles spielerisch, ironisch, mit viel Komik. Die Musik, unterstützend, pointiert – traditionell und modern. Instrumente wie das Didgeridoo, die Maultrommel, Flöte, Holzstäbe, später kommt eine Trommel dazu. Mal ein Schrei, dann Gesang, der wie eine Persiflage wirkt auf Songs, die wir nicht kennen.
Aus dem Dunkel wird eine Hand herausgestreckt, dann ein Bein, nicht nackt, zaghaft wagt sich ein Tänzer ins Helle mit seinem roten Hemd. Aufbruch zu Neuem. Auch die Mädchen sind nun bekleidet, mit Minirock. Ein Tänzer kommt mit einem roten Rollkoffer – will er weg, aus dem Familienverband ausbrechen? Auch ein Telefon taucht auf und Zeitungen. Eine Frau sagt: »Let’s go shopping.« Sie sind angekommen in der modernen (westlichen) Welt. Immer wieder Rückfälle, nicht nur die Mädchen schreien nach der »Mama«. Merkwürdig, ein Tänzer läuft auf der Stelle, minutenlang, kommt nicht vorwärts, stößt immer die gleichen Worte aus. Zum Irrewerden. Quälend. Die Arbeit in der Stadt – ist es das? Das letzte Bild: wie festgefroren die Geste, die Haltung des Losrennens, mit voller Kraft. Zwischen Tradition und Aufbruch – wohin?