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Kapitalismus unter Verfassungsschutz  (Ulla Jelpke)

Mit der Beobachtung linker Bundestagsabgeordneter sei jetzt Schluß, war vor wenigen Wochen in der Presse zu lesen. So einfach ist es freilich nicht. Fakt ist: Abgeordnete der Linkspartei werden jetzt nicht mehr pauschal wie Verfassungsfeinde behandelt – im Einzelfall aber schon, und die Option zu großflächiger Beobachtung bleibt bestehen.
Die »Beobachtungspriorisierung«, wie der Verfassungsschutz das nennt, hat ihre Gründe vor allem im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Fall Bodo Ramelow. Der frühere Fraktionsvize im Bundestag war (mindestens) bis zu seinem Ausscheiden aus dem Parlament beobachtet worden. Dabei hat er es sogar schriftlich, daß er »individuell nicht verdächtig« ist, »Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verfolgen«. So faßte das Gericht die Darlegungen vorheriger Instanzen und des Bundeamtes für Verfassungsschutz zusammen. Daß er trotzdem beobachtet worden war, lag allein an seiner Funktion als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Die Schnüffler wollten wissen, wie viel Leine er den »Extremisten« läßt.

Im Oktober 2013 erklärten die Karlsruher Richter diese extensive Auslegung des Bundesverfassungsschutzgesetzes für grundgesetzwidrig. Sie verwiesen auf die zentrale Rolle, die dem freien Abgeordnetenmandat in einer Demokratie zukomme. Die »Freiheit des Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle« sei essentiell. Eben diese »kommunikative Freiheit« sei aber bedroht, weil die Beobachtung stigmatisierenden Charakter habe und Bürger deswegen womöglich vor einer Kontaktaufnahme mit den Beobachteten zurückschreckten. Abgeordnete, die nicht unter konkretem »Extremismusverdacht« sind, dürfen daher nicht beobachtet werden, auch nicht, indem »nur« öffentlich zugängliche Informationen über sie gesammelt werden. Auch Abgeordnete, die Strömungen angehören, die vom Verfassungsschutz explizit für extremistisch erklärt werden, dürften nicht allein schon deshalb beobachtet werden, sondern nur dann, wenn ihnen nachzuweisen wäre, daß ihre parlamentarische Arbeit konkret darauf ziele, die Demokratie zu bekämpfen. Damit hat der Geheimdienst einen gehörigen Dämpfer erhalten.

Beobachtung seit 1995
Es hat einige Zeit gedauert, bis die Bundesregierung überhaupt zugab, daß die Linksfraktion beobachtet wird. Im Mai 2006 beantwortete sie die Frage, ob Fraktionen des Bundestages »Gegenstand nachrichtendienstlicher Beobachtung« seien, mit einem scheinbar klaren »Nein. Auch die parlamentarische Tätigkeit der Fraktion Die Linke als solche ist kein Gegenstand nachrichtendienstlicher Beobachtung.« Es zeigte sich bald, daß das Wortklauberei war: »nachrichtendienstlich« meint die Gewinnung von Informationen mittels Wanzen, Abhören, heimlichen Filmaufnahmen und so weiter. Der Verfassungsschutz beschränkt sich nach eigenen Angaben aber darauf, öffentlich zugängliche Quellen wie Zeitungen, Webseiten oder Reden auszuwerten. Im Dezember 2006 räumte die Regierung ein, daß die gesamte Linksfraktion unter Beobachtung steht. »Soweit die parlamentarische Tätigkeit oder parlamentarische Funktionen für die Bewertung der Partei von Bedeutung sind, werden diese ebenfalls sach- und personenbezogen in einer diesbezüglichen Sachakte festgehalten.« Diese war schon 1995 angelegt worden. Die Fraktionsarbeit sollte daraufhin untersucht werden, ob sie Aufschluß über angebliche »linksextremistische Bestrebungen« der Linkspartei/PDS gebe. Informationen über den Umfang dieser Sachakte und die Zahl der Abgeordneten, über die darin Informationen gespeichert werden, hielt die Bundesregierung jahrelang unter Verschluß, weil eine Offenlegung dieser Angaben angeblich die weitere Arbeit des Geheimdienstes »nachhaltig gefährden« könnte – ein merkwürdiges Argument, wenn der Geheimdienst angeblich eh nichts anderes macht, als Zeitung zu lesen.

Die Abgeordneten der damaligen Fraktion beantragten daraufhin individuell Aktenauskunft beim Verfassungsschutz. Da offenbarte sich dann, daß eine ganze Reihe von Abgeordneten beobachtet wurde, auch viele, die eher dem »Reformer«-Lager zugerechnet werden. Über Petra Pau beispielsweise war festgehalten worden, daß sie zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages gewählt worden war und im Jahr 2001 an der Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration teilgenommen hatte. Was das mit dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes zu tun hat? Gute Frage.

Dossier von Banalitäten
In meiner Akte hatten »Verfassungsschützer« festgehalten, daß ich in Kurdistan »an nicht genehmigten Newroz-Feiern« teilgenommen hatte und von der türkischen Polizei verhaftet worden war. Ein »Zusammentreffen mit ehemaligen politischen Häftlingen in Chile« war den Schnüfflern auch nicht entgangen. (Ich hatte Leute getroffen, die vom faschistischen Pinochet-Regime verfolgt worden waren. Eben jener Junta, deren Putsch 1973 besonders von CDU/CSU begrüßt worden war, ohne daß die deswegen beobachtet worden wären.) »Weiterhin ist bekannt, daß Sie sich an zahlreichen Demonstrationen beteiligten oder als deren Anmelderin auftraten.« »Diversen Presseberichten zufolge warfen Sie sowohl der Bundesregierung als auch der ›herrschenden Politik‹ wiederholt vor, rechtsextremistischen Bestrebungen Vorschub zu leisten, die Gefahren des Rechtsextremismus zu verharmlosen und gleichzeitig ›linke Antifaschisten‹ zu diffamieren.« Heute, nachdem die Kumpanei des Verfassungsschutzes mit den NSU-Mördern und deren Umfeld aufflog, erscheint meine damals als »extremistisch« notierte Auffassung noch als extrem zurückhaltend.

Umstellung der Beobachtung
Im Zuge des NSU-Skandals konnte der Verfassungsschutz die extensive Beobachtung der Linken nicht mehr legitimieren. Zum Jahreswechsel 2012/13 stellte er seine Praxis um und kündigte an, »nur noch« solche Abgeordnete zu beobachten, die den »offen extremistischen Strukturen« angehören. Als solche zählen die Kommunistische Plattform, die Sozialistische und die Antikapitalistische Linke, Cuba Si, das Marxistische Forum und der Geraer Sozialistische Dialog.

Die Materialsammlung des Verfassungsschutzes gegen die Antikapitalistische Linke (AKL) etwa besteht aus einer Anhäufung vermeintlich belastender Zitate meist von der AKL-Website. So wird die Aussage angeführt, die AKL teile das »Ziel einer Gesellschaft von freien Menschen, einer Welt ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, ohne Kriege, politische und kulturelle Unfreiheit, ohne sexuelle oder rassistische Unterdrückung. Und wir sind nicht bereit, aufgrund von im Namen des Kommunismus begangenen Irrwegen, Fehlern und auch Verbrechen auf den Begriff des Kommunismus zu verzichten.«

Es ist nicht immer frei von Komik, wie der Verfassungsschutz argumentiert. So gilt es dem Geheimdienst als schwer belastendes Indiz, wenn man auf Karl Marx Bezug nimmt, ohne sich zugleich von dessen »antidemokratischen« Positionen zu distanzieren. Eine klare Abgrenzung von linksextremistischen Traditionen fehlt dem Verfassungsschutz auch, wenn die AKL schreibt, es gehöre zum Wesen einer »im Geiste von Marx, Lenin und Luxemburg« agierenden Linken, »die Illusionen der Menschen durch Aufklärung über die wirklichen Machtverhältnisse im Land und durch Kämpfe zur alternativen Selbstorganisation zu zerstören.«

Eine Solidaritätserklärung mit »schotternden« Anti-Castor-AktivistInnen wird herangezogen, um der AKL mangelnde Distanzierung von Gewalt vorzuwerfen.

Beobachtungsverbot mit Hintertüren

Seit dem Ramelow-Urteil ist nun aber auch die pauschale Beobachtung von Abgeordneten, die einer dieser »extremistischen« Zusammenschlüsse angehören, untersagt. Für eine Beobachtung wäre es jetzt notwendig, konkret nachzuweisen, daß ein Abgeordneter seine parlamentarische Arbeit dazu zweckentfremdet, die Demokratie zu unterhöhlen. So weit will der Geheimdienst allerdings nicht gehen – wahrscheinlich fürchtet er, vom Verfassungsgericht den nächsten Dämpfer zu erhalten. Die Schnüffler nutzen da lieber ein Hintertürchen: Sie legen zwar keine Dossiers mehr mit den Namen bestimmter Abgeordneter an, aber sie beobachten die besagten Zusammenschlüsse weiter. Und wenn da ein Abgeordneter »auffällig« wird, werde man Informationen über ihn weiterhin »bei den Sachakten mitaufnehmen und berücksichtigen«, bestätigt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Mai 2014. Erstmals nannte die Regierung auch konkrete Zahlen: Vor der Bundestagswahl 2013 waren 25 Abgeordnete unter Beobachtung, nach der Wahl noch 19. Bestätigt wurde auch, daß bis 2012 elf Landtagsabgeordnete und vier Europaparlamentarier der Linkspartei beobachtet worden waren – bis dato stets geheimgehaltene Angaben.

Die Sachakte, in der sowohl Informationen zur Partei als auch zur Fraktion gesammelt wurden, umfasse 9600 Aktenstücke, jedes davon könne »mehrere Dokumente mit jeweils unterschiedlicher Anzahl von Seiten enthalten«. Ein sehr dickes Konvolut also. So dick, daß ausgerechnet das Ausmaß der Bespitzelung jetzt als Grund dafür herhalten muß, daß weiterhin manche Informationen verweigert werden: »Wegen des Umfanges dieser Akte« könnten nicht alle Fragen innerhalb der vorgesehenen Zwei-Wochen-Frist beantwortet werden. Die Bundesregierung könnte diese Frist zwar verlängern oder die Angaben nachreichen – was die Fraktion auch ausdrücklich angeboten hatte –, das wollte sie aber nicht. Dabei wären einige Fragen schon interessant: Etwa, in welchem Umfang »vereinzelt und beiläufig« Angaben zu weiteren Abgeordneten und ihren Mitarbeitern in der Akte gesammelt wurden. Und trotz aller Ankündigungen zur »Reform« der Geheimdienste will es der Bundesregierung noch immer nicht möglich sein, Angaben darüber zu machen, inwiefern die Landesämter für Verfassungsschutz Linken-Abgeordnete beobachten und dabei womöglich auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.

Zumindest ein Teil dieser Akte, nämlich die Sammlung über die Fraktion beziehungsweise deren Abgeordnete, wurde rechtswidrig angelegt. Es sollte selbstverständlich sein, daß diese Dokumente nicht mehr vom Verfassungsschutz genutzt, sondern vernichtet werden. Aber davon will die Bundesregierung nichts wissen: »Die Informationen in der nicht mehr weitergeführten Sachakte können weiter durch das Bundesamt für Verfassungsschutz genutzt werden.« Inwiefern das auch für personenbezogene Informationen über solche (ehemaligen) Abgeordneten gilt, die derzeit Gerichtsverfahren gegen ihre Beobachtung führen, darüber könne »noch keine abschließende Aussage« getroffen werden.

Eine weitere, nicht unwesentliche, Hintertür hat das Bundesverfassungsgericht selbst in seinem Urteil aufgezeigt: Eine Beobachtung nichtextremistischer Abgeordneter könne dann gerechtfertigt sein, wenn den »radikalen Kräften ein bestimmender Einfluß innerhalb der Partei zukäme«. Das ist nun wieder so vage formuliert, daß der Geheimdienst darüber nach Gutdünken entscheiden kann.

Fazit: Fürs erste wird weniger beobachtet als bisher. Der Verfassungsschutz steht unter dem Druck einer Öffentlichkeit, die ihm wegen seiner dubiosen Rolle beim NSU-Skandal nicht mehr recht über den Weg traut, sowie des Verfassungsgerichtes, das die Anforderungen an die Beobachtung von Abgeordneten deutlich erhöht hat. Unter diesem Druck löst sich der Geheimdienst von seiner extensiven Beobachtung und zieht sich auf eine neue Hauptkampflinie zurück. Diese gilt der Abwehr der »extremistischen« Zusammenschlüsse. Worum es in letzter Instanz geht, macht er in Zitaten deutlich, mit denen er die angebliche Verfassungswidrigkeit etwa der Antikapitalistischen Linken beweisen will:
Sie fordere, wird korrekt zitiert, »offen die Systemfrage – also den Kapitalismus in Frage« zu stellen. Weiter: »Benennung des Klassenkampfes als Motor einer möglichen Überwindung des Kapitalismus«. Den Begriff »System« wendet die AKL durchgehend auf das kapitalistische Wirtschaftssystem an, keineswegs auf die – nach Meinung der AKL auszubauenden – demokratischen Elemente der politischen Struktur. Indem diese Äußerungen dennoch als Beleg für »Extremismus« herhalten sollen, stellt der Geheimdienst praktisch den Kapitalismus selbst unter Verfassungsschutz. Das läßt sich aber in keiner Weise dem Grundgesetz entnehmen. Es ist eine von der Bundesregierung politisch gewollte Instrumentalisierung des Geheimdienstes, um eine antikapitalistische (und antimilitaristische und antirassistische) Kraft zu denunzieren.