In jedem künstlerischen Genre finden wir Menschen, denen ihr Metier in Fleisch und Blut übergegangen ist, deren Besessenheit, ihre Kunst zu leben und sie als dominierendes Element ihrer Lebenszeit zuzulassen, sie manchmal auch schonungslos sich selbst ausbeuten läßt. Diese Künstler sind hart arbeitende Individualisten, die sich und andere ernähren, die manches Mal ihre Ideen, ihr Projekte und Werke bis zur physischen Erschöpfung generieren. Oft nehmen sie nicht wahr, daß der Adrenalinschub, den sie verspüren, sie auch zu manischen Abhängigen ihres eigenen Schaffens machen kann. All dies trifft gerade auch auf den Bereich der Musik häufig zu, und wie überall, so gilt auch hier: Je größer die Hingabe an die eigene Arbeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Wahrnehmung.
Im Bereich der vertonten Dichtkunst, der gesungenen Lyrik, bleibt Deutschland nach der Sängergeneration der Hannes Wader, Dieter Süverkrüp, Dietrich Kittner, Franz-Josef Degenhardt oder Konstantin Wecker eigentlich nur einer, der seit den achtziger Jahren als akkordeonspielender Vagant – und als Ostdeutscher noch dazu – den großen Bruch von 1989 so erfolgreich überleben konnte, daß er sich bis heute sein poesieliebendes Publikum nicht etwa nur erhalten, sondern auch erweitern konnte. Dies von Usedom hinab nach Bayern, und von dort bis Österreich, von Marburg bis hinauf nach Güstrow. Der 1955 bei Wittenberg geborene Hans-Eckhardt Wenzel, der die Bezeichnung »Liedermacher« für sich nicht gelten läßt, wurde schon 1985 für seine Platte »Stirb mit mir ein Stück« als bester AMIGA-Interpret in der DDR ausgezeichnet, war jedoch keineswegs ein angepaßter Künstler in den propagandistischen Geleisen des späten Oktoberklubs. Er war und ist zuallererst ein brillanter Musiker und Dichter, der den Wiener Poeten Theodor Kramer und die Linzer Arbeiterdichterin Henriette Haill wiederentdeckte, deren Lyrik seine eigenen, non-konform gebliebenen Lieder kongenial ergänzen.
Die Wendezeit als Clown in der musikalischen Revue »Letztes aus der DaDaeR« gemeinsam mit seinem Dichterfreund Steffen Mensching, dem jetzigen Intendanten der Rudolstädter Bühne, mit viel bitterem Spaß kommentierend, ist er der humoristischen Entlarvung gesellschaftlicher Mißstände und den satirischen Attacken gegen den »sachlich festen Ton«, gegen das Land »der ernsten Gesichter« bis heute treu geblieben. Und er mindert dabei die eigene Schärfe mit den wohl einfühlsamsten Liebesliedern, die man im heutigen Deutschland noch finden kann. Er ist ein künstlerischer Akkordarbeiter, der sein Publikum verehrt, der zu seinen Anhängern – und es sind derer viele – noch in die entlegensten Winkel fährt. Der Tachostand seines gebeutelten Kombis beträgt denn derzeit auch 385.000 Kilometer. Kein Wunder also, daß auch kulturelle Institutionen auf ihn aufmerksam werden, denen die Vermittlung künstlerischer Vielfalt im Ausland am Herzen liegt. So lud der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) Wenzel im Sommer 2012 nach Nicaragua ein, wo er anläßlich einer DAAD-Festveranstaltung in der UCA (Universidad Centroamérica) in Managua mit dem in ganz Zentralamerika geliebten Sängerduo, den Brüdern Carlos Mejia und Luis Enrique Godoy, ein gefeiertes Konzert gab. Nicaragua ist Wenzel schon rein biographisch nicht fremd. Bereits 1989 transportierte er ein halbes Jahr als Sanitätsfahrer Verletzte durch die Straßen der vom Bürgerkrieg zerrütteten Hauptstadt Managua. Im Sommer 2012, nach seiner Rückkehr aus Nicaragua, besann er sich in Deutschland auf seine lateinamerikanischen Erfahrungen, frischte sein Spanisch auf und stellte seinem deutschen Publikum eine auf Spanisch gesungene CD »La guitarra al hombro« (Die Gitarre auf der Schulter) vor, deren Formensprache und deren Themen derart authentisch klingen, daß man diesen Liedern über Managua, seine Menschen und Schicksale so zuhören kann, als sei man plötzlich eins geworden mit dem Elend, der Hoffnung und dem Ausdrucksreichtum, die dem nicaraguanischen Volk innewohnen. Ergänzt wurde das Repertoire durch einige Liebeslieder Wenzels, die der in Dresden lebende nicaraguanische Schriftsteller Carlos Ampié Loria ins Spanische übersetzte.
Im Frühjahr 2014 förderte das Goethe-Institut Wenzel und seine dreiköpfige Band dann auch für einen Aufenthalt in Kuba und wiederum in Nicaragua, dieses Mal mit dem Ziel, in Kuba eine deutschsprachige CD mit Liedern über den karibischen Staat zu produzieren und dann in Nicaragua aufzutreten und Deutschland von einer Seite zu zeigen, die die Menschen dort verstehen, ohne jemals in unser Land reisen zu können. In Managua erfolgten also kürzlich Auftritte mit »La Guitarra al hombro« im ersten Club der Stadt, der »Ruta Maya«, im Konzertsaal der Deutsch-Nicaraguanischen Kulturvereinigung und anläßlich des Internationalen Poetenfestivals in der Kolonialstadt Granada vor entsprechend weitgereistem Publikum.
Ein wunderbarer zweisprachiger Gedichtband ist gewissermaßen als Nebenprodukt in Deutschland und Nicaragua gleichzeitig veröffentlicht worden. Wenzels zweites Album mit deutschsprachigen Liedern über Nicaragua, über Kuba und Deutschland, über die Beschaffenheit der Menschen zwischen Ostsee, Atlantik und Pazifik, ist in Arbeit und wird im Herbst im Handel erscheinen. Im Oktober 2014 soll die dritte Reise nach Nicaragua stattfinden, dann wird Wenzel seine Lieder und Texte einem breiten Publikum in der Universitätsstadt Leon vorstellen. In Zeiten politischer Zerwürfnisse Deutschlands mit anderen Völkern oder Volksgruppen stimmt es optimistisch, einen Künstler wirken zu sehen, dessen Persönlichkeit, dessen Lieder und Sujets dem alten und heutzutage gerne diffamierten Begriff der Völkerverständigung eine neue Bedeutung verleihen. Mehr kann sich ein fahrender Barde wie Wenzel nicht wünschen. Wünschen wir ihm als sein Publikum unser »mucha suerte«, viel Glück, bei seinen weiteren lateinamerikanisch-deutschen Unterfangen.