erstellt mit easyCMS
Titel1316

Unwandelbare Treue  (Hartwig Hohnsbein)

Am 22. Juni 1941 begann das faschistische Deutschland einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, die am Ende zwar siegreich war, aber auch 27 Millionen Opfer und ein weitgehend zerstörtes Land zu beklagen hatte.

 

Die christlichen Kirchen in Deutschland waren, von ganz wenigen Ausnahmen in ihren Reihen abgesehen – Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller, Paul Schneider, Hermann Stöhr, evangelisch; Alfred Delp, Max Josef Metzger, katholisch – von 1933 an und dann besonders ab 1939 während des Krieges verlässliche Stützen des NS-Regimes, so dass man mit Günter Brakelmann sagen kann: »Der Mehrheitsprotestantismus hat ... in großer Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Partei- und Staatsführung den Krieg mitgetragen und durchgestanden.« (»Kirche im Krieg«, 1979) Dazu wurde eigens am 31. August 1939 ein dreiköpfiger »Geistlicher Vertrauensrat« (GVR) gebildet, der »namens und im Auftrage der Deutschen Evangelischen Kirche ... diejenigen Maßnahmen zu treffen habe, die sich aus der Verpflichtung der Evangelischen Kirche gegen Führer, Volk und Staat ergeben ...« (ebenda). Sprecher des GVR war der Landesbischof der Landeskirche Hannovers, August Marahrens, der in der Folgezeit eine kriegstreiberische und führerverherrlichende Erklärung nach der anderen veröffentlichte, die den faschistischen Massenmördern ein gutes Gewissen in ihrem Tun gab und damit »zur Stärkung ihrer Gewaltherrschaft beitrug«. Zum Überfall auf die Sowjetunion kabelte er so schnell es ging ein »Telegramm des Geistlichen Vertrauensrates der Deutschen Evangelischen Kirche an den Führer, Führer-Hauptquartier«, in dem es unter anderem heißt: »Der Geistliche Vertrauensrat der Deutschen Evangelischen Kirche ... versichert Ihnen, mein Führer, in diesen hinreißend bewegten Stunden aufs neue die unwandelbare Treue und Einsatzbereitschaft der gesamten evangelischen Christenheit des Reiches. Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Lande gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengang gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf. Das deutsche Volk und mit ihm alle seine christlichen Glieder danken Ihnen für diese Ihre Tat ... Die Deutsche Evangelische Kirche ist mit allen ihren Gebeten bei Ihnen und bei unseren unvergleichlichen Soldaten, die nun mit so gewaltigen Schlägen daran gehen, den Pestherd zu beseitigen, damit in ganz Europa unter Ihrer Führung eine neue Ordnung entstehe und aller inneren Zersetzung, aller Beschmutzung des Heiligsten, aller Schändung der Gewissensfreiheit ein Ende gemacht werde.«

 

Dieses Telegramm wurde am 9. Juli 1941 im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche abgedruckt und dadurch allen Pastoren, Kirchenvorständen und durch sie allen evangelischen Gemeindegliedern mitgeteilt. Irgendein Widerspruch dagegen ist mir bis heute aus dem Bereich der evangelischen Kirche nicht bekannt geworden, nicht einmal ein klitzekleines Bedenken. So konnte das Gift, das gen Osten, damals gegen den »Bolschewismus«, versprüht wurde, weiterwirken: Nach 1945 als Antikommunismus, der in der Bundesrepublik Deutschland geradezu als eine Art Gründungsmythos aufgenommen wurde und heute im größeren Deutschland weiterwirkt, indem Russland wieder als Feind dämonisiert wird und deutsche Soldaten als »Speerspitze« an die Westgrenze Russlands vorrücken.

 

Was den Bischof Marahrens nach 1945 betrifft, so hätte er nun gemäß Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom Oktober 1946 (Abschnitt II, Artikel III ) als »Belasteter« vor einem Kriegsverbrechertribunal stehen müssen. Dazu kam es nicht, weil die Kirchen die einzigen Institutionen im zerstörten Deutschland waren, die sich »selbst reinigen« durften, und zwar mittels »außerordentlicher Kirchengerichte«. Die hatte der Bischof persönlich gemeinsam mit seinem Vertrauten, einem ebenfalls bis 1945 regimetreuen Oberlandeskirchenrat, mit Zustimmung der britischen Besatzungsmacht eingerichtet. So kam es, dass er, als er 1947 im Frühjahr 71-jährig in den Ruhestand ging, von seiner Synode in Hannover mit lebhaftem Beifall und einer einstimmig angenommenen Entschließung verabschiedet wurde, in der sie »ihm im Blick auf seine Amtsführung als Ganzes [!! H.H.] ihr volles Vertrauen und ihre bleibende [! H.H.] Dankbarkeit« aussprach. Diese Entschließung gilt weiterhin, und in bleibender Dankbarkeit trägt die Loccumer evangelisch-lutherische Heimvolkshochschule bis zum heutigen Tage seinen Namen – unwandelbare Treue von der Art, wie sie einst der Bischof »seinem« Führer versicherte.