Die Ukrainer, sind »das lebendige Licht in der Familie europäischer Völker und aktive Gestalter der europäischen Geschichte«. Mit diesem Satz begann der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am 7. Juni 2014 seine Antrittsrede vor der Werchowna Rada in Kiew. Es waren nicht seine eigenen Worte, er zitierte den 1856 in Galizien geborenen und 1916 in Lemberg verstorbenen Schriftsteller und Literaturkritiker Iwan Franko. Ob dieser den Schokoladenmilliardär und neugewählten Präsidenten der Ukraine als einen »aktiven Gestalter der europäischen Geschichte« gepriesen hätte, ist fraglich. Immerhin ist Poroschenko nach dem Maidan-Staatsstreich auf Betreiben der USA an die Staatsspitze gelangt und führt gegen Teile seines eigenen Volkes in der Ostukraine einen brutalen Krieg. Versuche des Präsidenten, den Konflikt mit den Separatisten auf einem Weg der Verhandlungen und des Kompromisses zu lösen, hat es nie gegeben. Von Anfang an sollten die Waffen entscheiden. Das ist mittlerweile bekannt. Die Medien, besonders die bundesdeutschen, haben darüber ausführlich, wenn auch einseitig berichtet und dabei die kriegslüsterne Rolle des Kremls und seines Machthabers Wladimir Putin angeprangert.
Bei dieser Betrachtungsweise fiel manches unter den Tisch, das hätte zeigen können, dass das »lebendige Licht« auch so machen Schatten warf, der Kurioses und Seltsames in der ukrainischen Politik überdeckte.
Es spricht sich leicht aus, »aktiver Gestalter der europäischen Geschichte« zu sein. Gegenwärtig fehlt es der Ukraine aber, wie es scheint, am nötigen Gestalterpersonal. Aus diesem Manko macht Poroschenko keinen Hehl. Bereits Anfang Januar 2015 erklärte er: »Ich muss ehrlich sagen, dass wir zurzeit einen gewaltigen Mangel an professionellen, patriotisch gesinnten und qualifizierten Fachleuten haben. Deswegen sind wir gezwungen diesen Mangel unter anderem durch die Anwerbung ausländischer Kräfte zu beheben.« Letztere blieb nicht erfolglos. Allein in der Regierung sind drei Know-how-Importe, die kurz vor der Ernennung eingebürgert wurden: Finanzministerin Natalie Jaresko, in Chicago geborene US-Amerikanerin, ehemalige Mitarbeiterin im State Department und in verschiedenen Investmentfonds; Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius, litauischer Topmanager beim schwedischen Investmentfonds East Capital; Gesundheitsminister Alexander Kwitaschwili, in den USA ausgebildeter ehemaliger Chef des georgischen Gesundheitswesens unter Präsident Micheil Saakaschwili. Den aufsehenerregendsten Coup landete Poroschenko mit der Ernennung eben dieses Saakaschwili zum Gouverneur der Schwarzmeerregion Odessa. Der in seiner Heimat Georgien per Haftbefehl gesuchte ehemalige Staatschef hat sich vor allem den Kampf gegen die grassierende Korruption aufs Panier geschrieben (s. auch Ossietzky 3/16).
Während der Präsident bemüht ist, sein Personaltableau mit ausländischen Spitzenkräften aufzufüllen, verlor das Land durch eine höchst seltsame Serie an Selbstmorden fortlaufend hohe Regierungsbeamte. Unter den zahlreichen »Lebensmüden« befand sich auch der 32-jährige ermittelnde Staatsanwalt in Odessa, Sergei Melnytschuk, der im März 2015 aus seiner Wohnung im achten Stock in den Tod sprang. Allerdings wies der Körper des Toten Verletzungen auf, die nicht vom Sturz gekommen sein konnten. Außerdem wurden in der Wohnung Spuren eines Kampfes festgestellt. Weitere Untersuchungen wurden nicht angestellt. Wozu auch? War doch der »Selbstmörder« Oberstaatsanwalt im Bezirk Malinowski in Odessa, der das Massaker im Gewerkschaftshaus vom 2. Mai 2014 untersuchte und die Vernehmungen leitete.
Um dem Personalmangel entgegenzuwirken greifen Poroschenko und seine Mitstreiter gern auch auf das reiche Reservoir der Ukraine an schönen Frauen zurück. Bei der Auswahl der jungen Talente geht Gouverneur Saakaschwili voran. So hat er die außergewöhnlich hübsche 26-jährige Philologin und Aktivistin des »Euro-Maidan« Julia Maruschewskaja an die Spitze seiner Zollverwaltung gestellt. Präsident Poroschenko ließ es sich nicht nehmen, die neue Zollchefin höchstpersönlich für ihr wichtiges Amt zu präsentieren. Einige Zeit zuvor war das 2009 zur »Vize-Miss Teen Ukraine« gewählte und den Liebhabern von Nacktfotos wohlbekannte Model Anna Pentschewa zur Chefin des Pressedienstes des Innenministeriums im Gebiet Odessa ernannt worden. Nicht minder attraktiv ist die 30-jährige Slata Ognewitsch, die 2013 die Ukraine im Eurovision Song Contest vertrat und jetzt namhaftes Mitglied des Unterausschusses der Rada für kreative Tätigkeit, Kunst, Kultur- und Aufklärungspolitik ist.
Die Liste holder Weiblichkeit in wichtigen Staatsämtern ließe sich beliebig fortsetzen, denn es gibt viel zu tun im Lande, vor allem auch, um das schwere Erbe der kommunistischen Vergangenheit aufzuarbeiten. Allein schon das im Mai 2015 angenommene Gesetzespaket zur »Entkommunisierung« erfordert vielfältiges Handeln. Auf allen Ebenen muss fortan durchgesetzt werden, dass sowjetische und russische Propaganda strengstens verboten sind. Danach ist alles, was an die gemeinsame Vergangenheit mit Russland in der Sowjetunion erinnert, zu beseitigen. Orte und Straßen sind umzubenennen, Denkmale zu schleifen. Das Singen der alten sowjetischen Hymne in der Öffentlichkeit ist strafbedroht. Wer das Verbot missachtet, dem drohen fünf Jahre Gefängnis. Mitunter stößt die Umsetzung des Gesetzes allerdings auf Schwierigkeiten, so zum Beispiel bei der Beseitigung des letzten Lenin-Denkmals in Odessa. Die zehn Meter hohe Statue sollte in sieben Bestandteile zerlegt und abtransportiert werden. Doch der beim Zusammenfügen verwendete deutsche Klebstoff verhinderte das, die Statue ließ sich trotz härtester Arbeit lange Zeit nicht zerlegen.
Erfolgreicher verlief die Umbenennung von Städten und Dörfern. Insgesamt hat das Parlament in Kiew bereits rund 1000 Orte umbenannt. Die Großstadt Dnipropetrowsk heißt jetzt nur noch Dnipro, da Grigori Petrowski ein kommunistischer Politiker war. Auch für 75 Ortschaften und Bezirke auf der Krim wurden neue Namen erlassen. In der für die Halbinsel nicht mehr zuständigen Ukraine lautet zum Beispiel der Name des Bezirkes Kirowskij ab sofort Isljamteretskij.
Die Werchowna Rada verabsäumte es auch nicht, im Frühjahr 2016 das Gesetz »Über das Filmwesen« zu ändern. Danach sind alle Filme im Fernsehen verboten, die von russischen Staatsbürgern gemacht und nach dem 1. Januar 2014 zum ersten Mal gezeigt wurden. Betroffen sind davon 430 russische Filme und Serien. Bereits zuvor war unabhängig vom Herkunftsland jegliche Darstellung eines positiven Russlandbildes in Film und Fernsehen verboten.
Manchem westukrainischen Patrioten gehen derartige Verbote nicht weit genug. So haben in Lwiw Mitglieder der Galizien-Partei eine »schwarze Liste« von Restaurants, Geschäften und Cafés erstellt, in denen russische Musik erklingt. Während sie ein gänzliches Verbot für russische Lieder an öffentlichen Plätzen fordern, hat die Partei die Bevölkerung aufgerufen, zu melden, wann und wo genau »gegnerische Tonkunst« vernommen wurde.
So geht in der Ukraine alles seinen Gang, und so manches Seltsame, ja Kuriose könnte mit Schmunzeln, mitunter auch mit Lachen aufgenommen werden, wenn es nicht in eine höchst gefährliche, den Weltfrieden gefährdende internationale Krise eingebettet wäre, in der die NATO unter der Führung der USA an den Grenzen Russlands aufmarschiert. Und Kiew marschiert mit, auch verbal. Im Juli 2014 kündigte der damalige Verteidigungsminister Waleri Geletej an, die »Siegesparade in Sewastopol« abzuhalten, im darauffolgenden Dezember versicherte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Alexander Turtschinow, für einen möglichen Krieg gegen Russland die »mächtigste Armee Europas« zu gründen, um die Krim zurückzuerobern. Und im Februar 2016 versprach Präsident Poroschenko erneut eine Rückgabe der Schwarzmeer-Halbinsel Krim und Sewastopols an die ukrainischen Bürger. Dieser »schwierige und aussichtsreiche Prozess« habe bereits begonnen. Ob ihm Anders Fogh Rasmussen diese Zuversicht eingeflößt hat? Mittlerweile ist der ehemalige NATO-Generalsekretär, einer der übelsten Scharfmacher in der Heerschar der Russophoben, »Sonderberater« des ukrainischen Präsidenten. Darüber kann schon nicht mehr gelacht werden, oder man hält sich an den Titel des 1931 erschienen letzten Buches von Kurt Tucholsky: »Lerne lachen ohne zu weinen.«