Spurensuche in der Ukraine
Diese Regel gilt immer: Einer Grundidee bis zum Ende treu bleiben! Genau das ist den Dokumentarfilmern Tom Franke, Armin Siebert und Kai-Uwe Kohlschmidt mit ihrem Film »Die Partitur des Krieges. Leben zwischen den Fronten« gelungen. Da wird sich ein ukrainischer Violinvirtuose namens Mark Chaet nach zwanzig deutschen, also zwanzig Emigrantenjahren, auf den Spuren seiner Kindheit und Jugend begleiten lassen: Verwandte tauchen auf, Freunde und Bekannte, Mitschüler von einst, auch seine Violinpädagogin vom ukrainischen Konservatorium – ein Reigen von Landsleuten dies- und jenseits der Grenzen. Es wird gefeiert, gesungen und erzählt, Leid und Freude werden geteilt und Erfahrungen, die Mark Chaet oft genug erstaunen, betrüben und verwirren – es ist eine Heimkehr der besonderen Art, eine Rückkehr in die Fremde. Was dem Musiker nach zwanzig Jahren vertraut geblieben ist, mehr noch was ihn heute befremdet und erschüttert, hält das Mikrofon im gesprochenen Wort fest, fängt das Kameraauge mit einprägsamen Bildern ein: abschreckend öde Korridore in Häusern der Behörden, ein wüst verschmiertes, später gänzlich zerstörtes Lenindenkmal, zertrümmerte Fensterscheiben, zerschossene Häuserwände, straßenweite Ruinen. Zorn, Wut, Angst und Verbitterung stehen in den Augen alter Menschen, Lebenssehnsucht und Aufbegehren in den Augen der Jugend. Ein Rocksänger kommt ins Bild, ein rebellischer Dichter, eine wehrhafte Poetin … Der Film predigt nicht, stellt sich weder auf die eine noch auf die andere Seite. Er zeigt auf, lässt hören und lässt sehen – und weil dem so ist, wird er in deutschen, in ukrainischen, wie auch in russischen Landen ausgleichend wirken. Der Streifen, uraufgeführt im Berliner Kino Babylon am 2. Juni, wird im Sommer im rbb ausgestrahlt.
Walter Kaufmann
Eine Produktion von armadaFilm, 90 Minuten.
Unsere Zustände
Wir sind so schnell geworden! Bevor einer eine Frage bekommt, gibt er schon die Antwort darauf.
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Sich die Meinung sagen, kann fördernd sein. Sich die Meinung geigen, ist schon kritischer. Aber man sollte dabei nicht noch mit dem Geigenbogen zuschlagen.
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Wenn alle Toten der Kriege seit Menschengedenken wieder auf die Erde kämen, wäre kein Platz für eine Stecknadel.
Wolfgang Eckert
Otto Meyer zum Gedenken
Seit Jahren schon trauere ich um Otto Meyer, einen der fleißigsten, zuverlässigsten, wirksamsten Ossietzky-Autoren. Er verlor seine Fähigkeit zu schreiben, sein Wahrnehmungsvermögen ließ nach, er verstummte. Ende Mai ist er 81-jährig gestorben.
Manche LeserInnen hielten ihn für einen außergewöhnlich klarsichtigen Ökonomie-Professor, der es meisterlich verstand, die Triebkräfte der kapitalistischen Wirtschaft sichtbar zu machen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren und Handlungsmöglichkeiten zu öffnen. All das stimmte. Nur nicht der Ökonomie-Professor. Er war gelernter Handwerker und studierter evangelischer Pfarrer.
Bei einer Gedenktagung für den großen Theologen Helmut Gollwitzer imponierte mir Otto Meyer, der zu den Initiatoren der Tagung gehörte, mit Mathematik. An der Tafel rechnete er vor, wie viel die millionenfache Arbeitslosigkeit kostet und wie viel ihre Überwindung einbringen könnte. Faszinierend. Es wurde sonnenklar, dass es nicht nur ethisch geboten, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll und kurzfristig möglich ist, die Erwerbslosigkeit mit all ihren schlimmen Folgen abzuschaffen – aber nur durch harte Auseinandersetzung mit dem Kapital, dem die Massenarbeitslosigkeit als Machtmittel dient. Ich bat ihn, seine Berechnungen zu Papier zu bringen, damit wir sie in Ossietzky veröffentlichen konnten. Daraus erwuchs eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft.
Was man mit Beharrlichkeit erreichen kann, bewies er, als das Stadtparlament in Münster die Stadtwerke privatisieren wollte. Otto Meyer organisierte Proteste, die letztlich zu einem erfolgreichen Volksentscheid führten.
Und gemeinsam mit seiner Frau Rachel Seifert schaffte er es, dass ein 17-jähriges Mädchen aus einer über mehrere Abschiebeknäste verstreuten Roma-Familie in Deutschland bleiben durfte. Das Kirchenasyl hatte in diesem Fall nicht geholfen. Bittgesuche und Beschwerden blieben ohne Wirkung. Auch ein Versteck in einer anderen Stadt war keine Lösung; Anife erlitt dort schwere Depressionen. Die Staatsgewalt gab erst nach, als das Pfarrer-Paar Anife adoptierte.
»Beharrlich gegen die Macht« ist der Titel der Festschrift, die zu Otto Meyers 70. Geburtstag erschien. Am Schluss des Buches erzählt der Kommunist Peter Wolter von einem Gespräch mit Otto Meyer über die klassenlose Gesellschaft. Er zitiert ihn: »Auch ich will die klassenlose Gesellschaft. Bei uns heißt das Himmelreich.«
Eckart Spoo
Money, money
Dass Geld nicht stinkt, wird oft zitiert,
und auch, dass Geld die Welt regiert.
Dabei müsste doch klar sein,
nur eins von beiden kann wahr sein.
Günter Krone
Neulich auf dem Finanzamt
Als ich neulich, wie immer, meine Einkommensteuererklärung auf dem Finanzamt persönlich abgab, war ich etwas besorgt, als die Finanzbeamtin schon auf der ersten, noch sehr allgemein gehaltenen Seite, ins Stocken kam. Ich fragte sie, ob etwas mit meinen Angaben nicht in Ordnung sei. »Nein, nein«, beruhigte sie mich, »ich komme nur an Ihre Steuernummer nicht heran.« »An mir soll‘s nicht liegen«, entgegnete ich. »Nein, nein«, sagte sie daraufhin. »Das liegt an den Bayern; die machen die Software. Aber ich werde es schon noch schaffen.«
Daraufhin begann ich mit ihr ein Gespräch über die »Steueroase BRD«. Diesen Ausdruck gebrauchte ich selbstverständlich nicht, um sie nicht zu sehr zu schockieren. Dabei wäre es sachlich angebracht gewesen, denn eine der wichtigsten Lehren aus der Affäre um die Panama Papers ist doch, dass sich hinter dem öffentlichen Skandal viele alltägliche Skandale verstecken, zum Beispiel der, dass die Schonung von reichen Steuerpflichtigen von der Finanzverwaltung einiger Bundesländer als wirtschaftspolitischer »Standortvorteil« behandelt wird. Da wir nun schon von skandalösen Zuständen sprachen, sagte ich, sie solle nur aufpassen, dass es ihr nicht ergehe wie jenen hessischen Steuerfahndern, die psychiatrisiert worden seien, da sie Steuerpflichtige nach Meinung der Behördenleitung zu hartnäckig verfolgt hätten. Da erschrak die Finanzbeamtin merklich; wir stellten fest, dass sie zum Glück keine Steuerfahnderin sei, und sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sie bis zur nicht mehr allzu weit entfernten Pensionierung nicht in dieser oder ähnlicher Weise behelligt werde.
Lothar Zieske
Literaturkabinett im Moorbad
Der rührige, 1995 gegründete Förderverein »Kurort Bad Saarow«, der seine Aufgabe besonders auf dem Gebiet der Kunst und Denkmalpflege sieht, hat am 21. Mai im Alten Moorbad, heute SaarowCentrum, mit rund fünfzig Gästen ein »Literaturkabinett Bad Saarow« eingeweiht. Anlass war der 125. Geburtstag von Johannes R. Becher, der hier von 1948 bis zu seinem Tod 1958 ein Sommerhaus bewohnte. Ihm ist die erste Ausstellung des neuen Kabinetts gewidmet. Sein hiesiges Domizil, das er sein »Traumgehäuse am See« genannt hatte, wurde von der Gemeinde von 1981 bis 1991 als Becher-Gedenkstätte gepflegt und dann verkauft. Heute erinnern ein 1964 von Fritz Cremer geschaffenes Denkmal und eine Wandbeschriftung in der Seestraße an den Dichter. Geplant sei, so der Vorsitzende des Fördervereins, Lutz Storr, nacheinander alle »53 Scharmützelseer Autoren und Literaten und 19 Gäste im ehemaligen Kulturbundheim Eibenhof, angefangen von A wie Abusch, Becher, Bengsch über Gorki und Wolter bis Z wie Zinna und Zweig«, hier zu würdigen. Das soll vor allem anlässlich von runden Geburtstagen oder Todestagen geschehen. Es sei eine zurzeit noch offene Liste, und der Vorsitzende warb um weitere Leihgeber und Spender sowie um Mitglieder für einen »Freundeskreises Literaturkabinett Bad Saarow«.
Unter den Gästen der Einweihungsfeierlichkeit, zu der Schüler der Bad Saarower Gesamtschule »Maxim Gorki« aus Bechers Werk und Briefen lasen, befanden sich zusammen mit seiner Vizepräsidentin Carla Villwock zahlreiche Mitglieder des Brandenburgischen Kulturbundes. Dieser war Partner der Tage der Poesie vom 1. bis 22. Mai, in deren Rahmen die Eröffnung eingebettet war. Der Vorsitzende der Pirckheimer-Gesellschaft für Buchkunst und Bibliophilie, Ralph Aepler, übergab als Schenkung eine von Heinz Hellmis (1935 – 2014) gestaltete Mappe mit 21 Blättern von Fotis Zaprasis‘ Variationen zu Liebesgedichten von Becher. In dem neu eingerichteten Kabinett sind außer Archivgut, das nach Schließung der Saarower Becher-Gedenkstätte 1991 gerettet und bei der Gemeinde eingelagert worden war, und einer Präsenzbibliothek mit Werken des Dichters, Mappenblätter zu sehen, die der Kulturbund beigesteuert hat. Es hängen Arbeiten von Karl-Georg Hirsch, Joachim John, Bernhard Heisig, Herbert Sandberg, Carlfriedrich Claus und anderen schon in der DDR wirksam gewordenen Künstlern an den Wänden. Abgerundet wurde die Becher-Ehrung mit dem Film »Über den Abgrund geneigt – Leben und Sterben des Johannes R. Becher« von 2000, den Jens-Fietje Dwars vorstellte, der zusammen mit Ullrich Kasten Autor des Drehbuchs ist.
Elke Lang
Geöffnet ist das Literaturkabinett dienstags, donnerstags und sonnabends von 10 bis 15 Uhr.
Papagei mit rotem Schnabel
Es ist nicht ganz heraus, ob Erhard Scherner seinem 1958 mühevoll aus China nach Ostberlin transportierten Papagei ein Denkmal setzen oder über seine Zeit in der DDR-Kulturbürokratie Rechenschaft ablegen wollte. Aber hier werden keineswegs zwei fremde Themenkörper miteinander verflochten. Literarisch korrekt steht der Papagei für nichts anderes als für das reale Tier, das er gewesen ist. Aber für Konstantin Mugele – hinter dem Scherner zu vermuten ist – stellte er jahrzehntelang die Verbindung zur frühen Volksrepublik dar, in der er eine beispiellose gesellschaftliche Aufbruchstimmung kennengelernt hatte, die – im Unterschied zur DDR – auch nie ganz zu Bruch ging und trotz aller Gräuel und allen Wandels keinen Traditionsbruch wie den von 1989 kennt. Mugele wird nach seiner Rückkehr aus China, wo er als »Spezialist« tätig gewesen ist, zunächst Schlosser, dann Adlatus von Professor Ziegler – alias Alfred Kurella – einem Kulturpolitiker, vor dessen Vergangenheit, Wissen und krudem Humor er Respekt hat, dessen Weisungen er jedoch nicht immer gern und deshalb unter Inanspruchnahme eigenen Denkens ausführt. Vielleicht hätte er es bei Ziegler nicht ausgehalten, wenn da nicht der grüne Papagei gewesen wäre, der ihm nicht nur – mit knallrotem und warm durchblutetem Schnabel – das Ohrläppchen kraulte, sondern ihn auch vor ernste Versorgungsprobleme stellte: Im demokratischen Berlin mangelte es an Sonnenblumenkernen und keimfreiem Sand. Eine passende Ehefrau für den Papagei wurde erst nach langer Suche gefunden. Nach Westberlin, wo Mugele all das problemlos gefunden hätte, durfte er als »Kader« nicht fahren – außer, wenn er einen konspirativen Brief Zieglers in einen Postkasten zu werfen hatte. Bewältigt hat er all die ihm durch Ziegler-Kurella und den Papagei auferlegten Herausforderungen, weil er sie als irgendwie gleichwertig empfand. Mugele-Scherner – ein Mensch, der äußerlich überlegt und distanziert ist, innerlich jedoch für den Sozialismus in seinen besseren Entwicklungsformen brannte und brennt, will sich bis heute dafür weder schämen noch entschuldigen. So brachte er das Kunststück zustande, einen kleinen, aber feinen sozialistischen Schelmenroman vorzulegen.
Sabine Kebir
Erhard Scherner: »Der chinesische Papagei«, Verlag am Park, 148 Seiten, 12,99 €. Von Sabine Kebir erschien soeben im Aisthesis Verlag das Buch »Frauen ohne Männer? Selbstverwirklichung im Alltag. Elfriede Brüning (1910-2014): Leben und Werk«, 954 Seiten, 34,95 €.
Zuschrift an die Lokalpresse
Wie die Medien dieser Tage berichteten, werden politische Meinungsverschiedenheiten in unseren Landen neuerdings immer öfter als Tortenschlachten ausgetragen. Ältere Mitbürger werden sich dabei vielleicht an UFA-Filmklassiker erinnern.
Nach Frau von Storch und Frau Wagenknecht hätte es nun beinahe Herrn Sarrazin erwischt; er konnte sich gerade noch wegducken und hatte Glück.
Nun mag man zu diesem Trend stehen, wie man will, diese Art von Meinungsbekundung hat nach meiner Auffassung durchaus ihre Vorteile: Wenn unser Vaterland weniger Waffen und mehr Torten ins Ausland liefern würde, käme es eventuell zu einem Schlagabtausch zwischen Heckler & Koch und Coppenrath & Wiese. Und das würde unserer Demokratie in der Welt besser zu Gesicht stehen, auch wenn dabei mal ein solches verfehlt wird. – Leontine Kirsch-Schwarzwälder (53), Konditorin, 24582 Bissee
Wolfgang Helfritsch