Der Eingang zur Ausstellung scheint versperrt durch ein großes Foto im Freien, 1985 im Central Park in New York aufgenommen. Um den Künstler Keith Haring – unter einem Baum beim Zusammenrollen von Plakaten – gruppieren sich junge Leute, schwarz und weiß, bunt gekleidet. Keith Haring trägt ein T-Shirt mit dem Motiv des Plakats: »Free South Africa«. Ein Mensch im Aufbruch, ein schwarzer Mensch, kraftvoll, mit weißer Fessel um den Hals, ist dabei, sie zu zerreißen. Gleichzeitig tritt er auf eine kleine weiße Gestalt am Boden, die ihre Arme hochreißt, sie trägt ein rotes X auf dem Körper – ausgeixt? Plakate liegen am Boden, von Sonnenflecken beleuchtet. Der Künstler verteilte 20.000 der Drucke gratis.
Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zeigt in der Ausstellung »Keith Haring. Posters« über 100 Exemplare und informiert über Hintergründe (bis 5. November). Auf die katastrophale Lage am Horn von Afrika wies schon vor Jahren ein Plakat hin, 1984 verhungerten dort über eine Million Menschen. Titel: »Rain Dance«. Haring hatte eine Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten der UNICEF organisiert und eine Ausstellung. An diesem Poster, eine Offsetlithografie in vier Farben, arbeiteten auch Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Yoko Ono mit. Sein erstes Plakat ließ Haring auf eigene Initiative in 20.000 Exemplaren drucken und karrte alles mit einem Handwagen im Juni 1982 zum Central Park. Dort fand die in den USA bis dahin größte Demonstration gegen Atomwaffen und das Wettrüsten statt. Er verteilte das »Poster for Nuclear Disarmament« kostenlos. Das Blatt, zweigeteilt, oben ein krabbelndes Baby, das von einem Strahlenkranz umgeben ist und von geflügelten Wesen. Unten Symbole des Bösen, wieder dieses, jetzt schwarze X und ein Atomzeichen. Alles mit dicken schwarzen Strichen gezeichnet. Das strahlende Kleinkind (nicht atomar bestrahlt) wurde zum Logo oder zu seiner Signatur, »weil es die reinste und positivste Form menschlichen Lebens darstellt«, so Haring. Der Künstler liebte Kinder – er wäre gerne Lehrer geworden – und setzte sich für bessere Bildungschancen ein, auch in seinen Plakaten. Dazu scheute er sich nicht, mit Firmen zusammenzuarbeiten, aber – da hatte er schon einen Namen – er drehte die Werbung auch mal in ihr Gegenteil. So bei Lucky-Strike-Plakaten. Die letzte Zeichnung einer Reihe: ein Skelett raucht eine Zigarette. Das schenkte er einer Schule, damit sie es aufhängt.
Mit den »Subway Drawings« hatte er angefangen. Haring nutzte in U-Bahnhöfen die Werbeflächen, die vor jedem Plakatwechsel für eine kurze Zeit schwarz überklebt wurden. Darauf schrieb, malte er mit weißer Kreide seine auffälligen Figuren, schon eine Form von Graffiti. Das machte ihn bekannt. Sein Pop-Shop, 1986 in New York eröffnet, war bis in den letzten Winkel mit Graffiti bedeckt. Dort wurden Poster, T-Shirts, auch Swatch-Uhren angeboten, deren Zifferblatt er gestaltete. Skrupel, die Vermarktung der eigenen Kunst betreffend, nahm ihm sein Freund Andy Warhol. Das Plakat »Absolut Vodka« (1986) für eine schwedische Firma irritiert. Strahlt doch die Wodkaflasche wie das unschuldige Baby. Alles in Gelb. Die roten Menschen drumherum mit erhobenen Händen. Wollen sie alle den Schnaps – oder dagegen protestieren?
Das Cover des Katalogs (Prestel Verlag, 124 Seiten, 29,95 €) ein Plakat zum »National Coming Out Day« (1988). Ein gelber Mensch stößt eine Tür auf, stürzt aus dem Dunkel ins Freie. Wagen, sich zur eigenen Homosexualität zu bekennen. Dazu das Blatt, nach den drei Affen gestaltet, gegen das Schweigen, die Ignoranz zum Thema Aids. Haring starb schon mit 31 Jahren an dieser Krankheit im Februar 1990. Dass er bald sterben würde, wusste er seit 1988. Das ließ ihn rastlos arbeiten. Auf einer Europa-Reise, die ihn auch nach Pisa führte, erhielt er die Gelegenheit, die Mauer einer Kirche zu bemalen. Vier Tage dauerte die Aktion. Sie brachte ihm so viel Freude, dass er darüber schrieb: »Wenn es einen Himmel gibt, ist es hoffentlich so wie hier.« Das Poster von 1989: Ein Mann in Rosa versucht, den schiefen Turm zu stützen. Auch in die BRD reiste er. Hier entstand »Lesen. Der Spaß im Kopf«, ein Poster für die Stadtbücherei im Rathaus von Bad Honnef. Ein hellblauer Kopf im Profil mit Augen und einem lächelnden Mund. Im Kopf das Gehirn, gelb, mit Menschen, Tieren, Häusern gefüllt.
Als die Mauer fiel, war Haring in Deutschland. Gleich danach schuf er den Siebdruck »BRDDR – 24 Stunden geöffnet«. Die Umrahmung schwarz, die vier Menschen, die einen – eckigen – Kreis bilden, rot, die Erde gold, nein gelb. Die Menschen oben: aufrecht, die unten sehen aus wie hingefallen. Warum?