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Titel1318

Ein Trio Hoffnung im All  (Wolfgang Helfritsch)

»Ich mag die Russen ..., und diese Zugewandtheit verspüre ich auch bei Alexander. Er hat keine ideologischen Scheuklappen, wie sie heute so in Mode sind. Die Geschichte hat doch mehr als einmal eindrücklich gezeigt: Wer zu den Russen auf Distanz geht, ist auf dem falschen Dampfer ...« Ob Dampfer oder Raumschiff – der Mann, der sich im Interview der Superillu wenige Tage vor dem Start seines Freundes Alexander Gerst zu dessen zweiter Orbit-Mission am 6. Juni (Heft 23/18) bekannte, war kein Geringerer als der erste deutsche Weltraumstürmer Sigmund Jähn. »Alex ist ein kluger Bursche und ein reifer Mann«, urteilte der Vogtländer über den Baden-Württemberger, der sich vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur für 187 Tage ins All schießen ließ. Und die wissenschaftlichen Partner des Geophysikers, der ab August das Kommando über die Raumstation führen wird, sind eine Astronautin-Ärztin aus den USA und ein russischer Kosmonaut und Kampfpilot. Man sah die Drei während des Abschiedszeremoniells den Zuschauern in aller Welt mit vereint-freundschaftlicher Geste zuwinken und zulächeln, und das in einer Zeit, in der sich die internationalen Beziehungen zwischen den politischen Lenkern der beteiligten Staaten fast täglich verschlechtern und gegenseitige Anschuldigungen und Drohungen die planetare Atmosphäre noch brüchiger machen, als sie sowieso schon ist. Die personelle Konstellation lässt hoffnungsvoll aufhorchen, während einen sonst fast jede Medien-Information hilfloser macht.

 

Pünktlich 12.13 Uhr hob die Rakete ab. Mit Begeisterung und Stolz verfolgten Schüler aus dem Berliner Kollwitz-Gymnasium in der Sternwarte an der Prenzlauer Allee das nicht alltägliche Geschehen, und vom Blick in ihre Gesichter wurde einem warm ums Herz. Begreifen sie den Ausnahmecharakter, den Ernst, die Symbolik und die Chance der Situation? Wie beziehen ihre Lehrer und ihre Eltern dazu Stellung? »Das deutsch-russische Verhältnis ist mehr als frostig«, verknappte das neue deutschland am 6. Juni realistisch die Situation. »Auf politischer Ebene sind kaum Bemühungen um die Entschärfung der Situation erkennbar.«

 

Und die Möglichkeit, eine Entspannung mittels der laufenden Fußball-Weltmeisterschaft in Russland anzugehen, hat sich durch die Talkshow von Anne Will am 3. Juni eher ins Gegenteil verkehrt. Der Streit wurde zwar engagiert und konträr geführt, war aber schwer zu verfolgen, zumal sich die Meinungen nicht nur inhaltlich, sondern auch akustisch überschnitten und die Moderatorin eher dazwischenredete als moderierte. Es schien dabei auch mehr um die Sitzordnung von Politikern auf den Tribünen als um weltmeisterliche Spiele zu gehen, und es hätte nicht viel gefehlt, den gastgebenden russischen Präsidenten nicht nur vom G-7-Gipfel, sondern auch vom Weltfußball ausschließen zu wollen. Von möglichen Gesten, im Umfeld der Wettkämpfe daran zu erinnern, dass viele Millionen Bürger des Austragungslandes durch einen vom Hitlerfaschismus losgetretenen Weltkrieg ihr Leben, ihre Familien und ihre Gesundheit verloren hatten und gerade in einer Zeit neuer kalter und heißer militärischer Konfrontationen zur Vernunft zu mahnen und zum friedlichen Wettstreit aufzurufen, war wenig zu hören und nichts zu spüren. Pardon, beinahe hätte ich etwas übersehen: »Die deutsche Botschaft Moskau wird im Rahmen des Projektes der brandenburgischen Sportjugend in Sotschi einen Kranz in Erinnerung an den Überfall der Wehrmacht auf die SU niederlegen« (zitiert nach neues deutschland, 6.6.2018). Na, wenn das nichts ist! Etwas mager zwar, aber wir wissen halt, was sich gehört!

 

Lassen wir trotz bitterster historischer Erfahrungen und Verpflichtungen zu, dass sich potentielle Partner zu Gegnern aufheizen? Dass die NATO Russland durch Manöver provoziert? Hat sich noch nicht herumgesprochen, dass es um den Erhalt des Lebens auf unserem Planeten geht? Wie schizophren muss die Menschheit sein, um eine solche Gemengelage zu ertragen? Oder gleicht die neuerliche ISS-Aktion einer Flucht von der Erde? Wohl doch nicht, dagegen spricht die Zusammensetzung des Teams! Erinnern wir uns noch der Eindrücke und Mahnungen Juri Gagarins angesichts des »blauen Planeten«? Und heute? »Heute habe ich große Angst, was die kommenden Generationen erwartet«, betonte Sigmund Jähn am 4. Juni gegenüber dem Berliner Kurier. »Ich fürchte, am Ende werden wir uns alle umbringen.«

 

Verschenkt der angebliche Homo sapiens seine vorletzte oder letzte Chance? Kann es sein, dass ein Trio aus sich befehdenden Staaten in den Weltraum abhebt, um dort anspruchsvollste biologische, biomechanische und medizinische Experimente durchzuführen? Die diesbezügliche Palette, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ Nr. 129, 7.6.18) angedeutet wird, überfordert meinen Menschenverstand und erzeugt ehrfürchtiges Kopfschütteln. Wozu das alles und wofür? Wem nützen die Mensch-Maschine-Interaktionen, was nutzt der Roboter Cimon, der dank künstlicher Intelligenz Gesichter und Stimmen erkennen kann? Wozu bedarf es einer Zeitkapsel, die Commander Gerst auf der ISS versiegeln wird und die anschließend im Bonner Haus der Geschichte 50 Jahre lang verwahrt werden soll? Warum, wie lange und für wen?

 

Am 5. Juni fand vor Ort die letzte Pressekonferenz vor dem Start statt, aus Sicherheits- und Gesundheitsgründen hinter Plexiglas. Zuvor erflehte Vater Alexei publikumswirksam und mit wuchtigen Schlägen Gottes Segen für das Weltraumunternehmen. Dass aus dem All mit der Frage »Wer ruft nach mir?« reagiert wurde, konnte noch nicht bestätigt werden. Verbürgt werden kann hingegen, dass Sigmund Jähn zur Zeit um die Rückgabe der Landekapsel kämpft, die ihn und Valeri Bykowsky zurück auf die Erde brachte und die sich im Bestand des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr befindet. Er würde sie auch ausleihen, da er sie anlässlich des 40. Jubiläums seiner Exkursion ins All (26. August 1978) in seinem vogtländischen Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz ausstellen will. Aus gewöhnlich schlecht unterrichteten Kreisen wurde allerdings der Verdacht geäußert, dass der erste deutsche Kosmonaut aus Sicherheitsgründen legal per Kapsel in den Orbit zurückzukehren beabsichtige. Eine solch egoistisches Verhalten würde ich dem bescheidenen DDR-Fliegerkosmonauten unter keinen Umständen zutrauen. Glaubwürdiger erscheint dagegen eine Nachricht der Frankfurter Allgemeinen vom 14. Juni, die unter Berufung auf dpa mitteilt, Alexander Gerst habe eine fußball-weltmeisterliche Wette mit seinem russischen Weltraumpartner Sergej Prokopjew abgeschlossen: Wenn Russland das Spiel gegen Deutschland gewinnt, ließe sich Gerst die russische Flagge auf die Stirn malen. Im Falle des deutschen Sieges würde sich Prokopjew im Gegenzug eine Gerst-Glatze rasieren. Wenn die Politiker nur einen Hauch dieses Humors aufbringen könnten, hätte der Planet allerhand gewonnen.