Der Kulturbund: eine Massenorganisation mit Fraktion in der Volkskammer der DDR sowie einem Präsidium aus staatsnahen Mitgliedern und gleichzeitig eine freizügige Nische in einem Land, dessen Partei und Regierung sein Volk zu bevormunden pflegte? Wie geht das zusammen?
Der Bad Saarower Hans Peter Klausnitzer (geb. 1942), der von 1974 bis 1989 Sekretär des Arbeitskreises Johannes R. Becher im Kulturbund der DDR war, erklärt es in dem neuen Buch des Verlags für Berlin-Brandenburg (vbb) über den »Arbeits-, Lern- und Erholungsort« Eibenhof in Bad Saarow so: »Gerade hier im Eibenhof […] wurde nach ausgiebigen Debatten beschlossen – gegen so manchen Widerstand von zu ›linientreuen Genossen‹ –, in Veranstaltungen des Kulturbundes, die gemeinsam mit Künstlern und Schriftstellern durchgeführt wurden, das Gespräch, die Debatte, den Meinungsstreit zwar prinzipiell, aber ohne dogmatisch vorgegebene ›Linien‹ zu führen. […] So war denn im Nachhinein von der ›langen Leine‹, die die starrköpfigen Funktionäre uns Kulturbund-Freunden und den Künstlern lassen mussten, immer öfter die Rede.« Auch Hinrich Enderlein, der Vorsitzende des Brandenburgischen Kulturbundes und des Trägervereins des Kleist-Museums Frankfurt (Oder), erklärt, »dass immer mehr personelle Verflechtungen zwischen Partei und Verwaltung aller Ebenen einerseits und Strukturen des Kulturbunds andererseits entstanden«, die Klubs aber, von denen es 1960 bereits 116 gegeben habe, sich »nie völlig gleichschalten oder kontrollieren [ließen]«, vielmehr »zum Teil ein interessantes, ja brisantes Eigenleben« führten und der Kulturbund »für manche Nonkonformisten, die sich nicht mit der offiziellen Linie oder Ideologie von Partei und Staat befreunden konnten, Nischen bereithielt«. Der Politiker und Historiker wertet, dass der Kulturbund auch durch seine interdisziplinären Diskussionen und die Breite des Angebots in der DDR eine singuläre Organisation im kulturellen Leben gewesen sei und »ganz offensichtlich in der BRD auch geblieben« ist. Heute gehören noch rund 3000 Mitglieder in über 40 Fachbereichen dazu. Ins Leben gerufen worden war der Kulturbund einst, um die »geistige Elite« an »intellektuellen Sammelpunkte[n]« zusammenzuführen.
Nach einer Idee und mit umfangreicher Zuarbeit von Karl-Heinz Schulmeister (1925–2017), der ab 1946 Funktionsträger im Kulturbund war und von 1986 bis 1990 das Amt des 1. Bundessekretärs innehatte, haben Angela Grabley und Wolfgang de Bruyn mit der Geschichte des malerisch gelegenen, 1723 errichteten Anwesens gleichzeitig eine Geschichte des Kulturbunds herausgegeben, die eng mit Johannes R. Becher verbunden ist. Das Bindeglied zwischen Kulturbund und Bad Saarow wiederum ist, dass der Dichter zu den prominentesten Bewohnern des Ortes zählt, hatte er doch dort seinen privaten Sommersitz. Man erfährt von den meisten der neun in dem Buch vertretenen Autoren nicht nur zwangsläufig, sondern in ehrerbietigem Andenken an den Dichter vieles, was nicht allgemein bekannt ist. Caroline de Luis gar erzählt eine etwas pikante Geschichte, die Aufschluss über Bechers Verhältnis zu Frauen gibt. Es kommen einige der insgesamt 60.000 Gäste, die sich hier zwischen 1948 und Ende 1989 erholt oder die an Lehrgängen und Seminaren teilgenommen haben, mit ihren Erinnerungen zu Wort. Zu ihnen gehörten zum Beispiel Hans Bentzien, Kulturminister von 1961 bis 1965, und die Schriftstellerin Elfriede Brüning (1910–2014), die hier am Abend der Wiedervereinigung die letzte Lesung hielt. Sie kannte den Eibenhof von seinen Anfängen an und schildert mannigfache Beobachtungen. Als 102-Jährige war es ihr dann vergönnt, als Autorin zur ersten Lesung in der neu errichteten Kulturscheune eingeladen zu werden. Die jungen Autoren des Aufbau-Verlags trafen sich im Eibenhof. Stefan Heym hatte hier mit seiner Ehefrau nach der Rückkehr aus dem Asyl eine vorläufige Bleibe gefunden, und Günter Grass widmete dem Eibenhof und dem Kulturbund Beachtung in seinem Roman »Ein weites Feld«. Zu den einheimischen Kulturschaffenden gesellten sich von 1977 bis 1982 noch 162 ausländische Kulturdelegationen. Alle sind des Lobes voll über die offene, lockere und freundschaftliche Atmosphäre – außer Jürgen Külz, Klinikdirektor und von 1972 bis 1992 Vorsitzender der Kulturbund-Bezirksleitung Rostock, der 1980 seinem Tagebuch anvertraute, dass »alles schön, sehr schön, aber ein wenig steril« sei, »zu jeder Mahlzeit fein anziehen, Nicken nach hier, Nicken nach dort … die herrliche ungezügelte Inselfreiheit fehlt total ...« Es wird also auch in diesem Buch das Kontroverse nicht ausgespart.
Nach dem Grußwort von Johannes Freiherr von Salmuth, der den Eibenhof 2004 erwarb und finanziell das Erscheinen dieses Buches unterstützte, und der Einleitung von Wolfgang de Bruyn folgen sechs Kapitel, in denen sich Eibenhof und Kulturbund vermischen, persönliche Erinnerungen wiedergegeben werden, die Spuren des Eibenhofs in der Literatur aufgespürt werden und einige der Fachbereiche vorgestellt werden, die auf ihm ihre Treffen abhielten. Ein Anhang bringt 22 Dokumente als Faksimile zur Geschichte des Anwesens von der »1. Notiz zur Besichtigung am 27. Januar 1948« bis zum Entwicklungskonzept vom 8. Dezember 1988. Der Pachtvertrag, Einladungen, Anträge, Bescheinigungen, die Hausordnung, Schriftverkehr, Berichte, Protokolle und Beschlüsse sind darunter. Viele bis jetzt noch nicht veröffentlichte historische und heutige Fotos, teilweise ganzseitig, zeigen die Schönheit der Landschaft und des Anwesens, aber auch dessen Verfall und Abriss sowie Menschen auf dem Eibenhof. Von Dieter Goltzsche ist gleich vorn das undatierte »Exlibris Kulturbundheim Eibenhof« abgedruckt, von Joachim John sind zwei Zeichnungen enthalten.
Die Gesamtdarstellung der Geschichte des Kulturbunds ist noch nicht geschrieben, weiß Hinrich Enderlein. Das Buch aber stellt einen interessanten Baustein dazu dar, zumal sich in ihm noch zahlreiche Zeitzeugen äußern konnten.
Angela Grabley und Wolfgang de Bruyn (Hg.): »Der Kulturbund auf dem Eibenhof. Ort der Kultur und Begegnung«, Verlag für Berlin-Brandenburg, 174 Seiten, 20 €