Gift-Fund
Neben einem großen Artikel im Inneren des Blattes war der Süddeutschen Zeitung die Sache auch eine Meldung auf der ersten Seite wert. Sie lautete folgendermaßen: »Nach dem Fund des hochgiftigen Stoffes Rizin in der Wohnung eines Tunesiers in Köln zeigt sich der Verfassungsschutz alarmiert. Islamistisch-terroristische Anschläge auch mit toxischen Substanzen seien in Deutschland jederzeit möglich, hieß es aus Kreisen des Geheimdienstes in Berlin.« (SZ 21.6.2018) Und kein Hinweis auf Putin? Wie man weiß, kennt der sich doch mit solchen Gemeinheiten bestens aus. Man denke nur an den Giftanschlag in England vom März mit dem Nervengift Nowitschok. Wirklich alarmierend diese Nachlässigkeit.
Constanze Weinberg
Suizidverhinderung unter Diktator
Kürzlich sollten vier Polizeibeamte sich durch einen Hausbesuch vom Wohlergehen einer angeblich suizidgefährdeten Person überzeugen. Was geschah, als ihnen auf Klingeln und Klopfen niemand öffnete, ist dank der Aufzeichnungen einer Sicherheitskamera seit Juni 2018 im Internet zu sehen. Nachdem ein Polizist die Eingangstür gewaltsam geöffnet hat und seinen Taser zückt, ziehen seine drei Kollegen ihre Schusswaffen und stürmen an ihm vorbei in die Wohnung.
Glücklicherweise war die Bewohnerin nicht zu Hause und hat so den Polizeieinsatz unbeschadet überstanden. Durch Polizisten starben im vergangenen Jahr in dem Land weit über 200 Menschen mit psychischen Problemen.
Zu solchermaßen feinfühlig eingesetzten Ordnungshütern scheint die umgängliche Art des Landesherrschers zu passen. Seine selbstherrliche Vorgehensweise erzeugt bei manchen Landeskindern verständlicherweise eine bestimmte Vorstellung von ihm, wie am 10. Juni auf dem rechtskonservativen Nachrichtensender Fox News zu erleben war. Dort bezeichnete eine Moderatorin sein Gipfeltreffen mit einem anderen Staatenlenker als »Zusammenkunft der zwei Diktatoren«.
Aufmerksame Ossietzky-Leser/innen werden vielleicht schon erkannt haben, wer mit dem einen Diktator (der andere hieß Kim Jong-un) gemeint war: US-Präsident Donald Trump. Freud lässt grüßen. Die rücksichtsvolle Wohlergehensüberprüfung galt übrigens Hausbewohnerin Chelsea Manning, Kandidatin für den US-Senat und weltbekannte Whistleblowerin, seit sie geheime Dokumente, auch über mutmaßliche US-Kriegsverbrechen, öffentlich gemacht hat. Honni soit qui mal y pense.
Helga Kühn
https://theintercept.com/2018/06/05/chelsea-manning-video-twitter-police-mental-health/ und https://www.cnbc.com/2018/06/11/twodictators-lights-up-twitter-after-fox-news-host-accidentally-uses-term-for-trump-and-kim.html
Zeitgleich
Während Pedro Sánchez seinen Eid als neuer Ministerpräsident Spaniens in Madrid sprach, vereidigte Quim Torra in Barcelona in Gegenwart des Parlamentspräsidenten Roger Torrent seine 13 Minister – sechs Frauen und sieben Männer. Landesweit übertrug der katalanische Fernsehsender TV 3 live den feierlichen Akt. Vertreter der Regierung des neuen spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE) waren nicht anwesend.
Nicht mehr Mitglied der katalanischen Regionalregierung sind die Inhaftierten Jordi Tull und Josep Rull sowie die zwei im belgischen Exil lebenden Politiker Antoni Comín und Luís Puig. Noch am 31. Mai hatte die Zentralregierung in Madrid der überarbeiteten katalanischen Kabinettsliste zugestimmt, bevor Mariano Rajoy einen Tag später durch Misstrauensvotum abgesetzt wurde.
Quim Torra kündigte an, er werde die Abspaltung Kataloniens von Spa-nien weiter vorantreiben. Wörtlich sagte er: »Unser Ziel ist es, das Mandat vom 1. Oktober 2017 zu erfüllen. Das heißt, weiter in Richtung eines unabhängigen Kataloniens fortzuschreiten. Ein Staat, der die Form einer Republik hat.« (Übersetzung hier und im Folgenden: K.-H. W.) Gleichzeitig zeigte sich Torra auch zum Gespräch bereit.
Pedro Sánchez betonte, der Schlüssel zur Lösung der Katalonien-Krise habe »viel damit zu tun, das Denken in Blöcken zu überwinden. Daher muss es darum gehen, Freiräume für Dialoge und Übereinkünfte zu schaffen. Die Freiräume müssen im Rahmen des Autonomiestatuts für Katalonien und der spanischen Verfassung stattfinden.«
Der spanische Politologe Pablo Simon kommentierte: »Unsere autonomen Regionen dürfen ihre Gesundheits- und Bildungspolitik untereinander nicht koordinieren. Die Regionen dürfen ihre eigene Verwaltungsstruktur nicht organisieren. Es gibt keine Länderkammer und auch keine Verpflichtung der Regionen zur Loyalität untereinander. Uns fehlen einfach die großen Elemente eines föderalen Staates.«
Es wartet noch viel Arbeit auf Torra und Sánchez.
Karl-H. Walloch
Unsere Zustände
Die da schreien, Karl Marx sei überholt, befürchten, ihren unerlaubten Reichtum zu verlieren.
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Glücklich sind die Dummen. Sie kommen leicht durch diese Welt, denn sie können nicht denken.
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Die Welt wäre besser, wenn viele unter den Politikern einen anständigen Beruf ergriffen.
Wolfgang Eckert
Sikorskis geheimnisvoller Tod
Mehr als sieben Jahrzehnte vergingen, bis nun wohl die Rätsel um den Tod Władysław Sikorskis (1881–1943) gelöst worden sind. Sikorski war von 1939 bis zu seinem Tode Ministerpräsident der Polnischen Exilregierung und Oberbefehlshabers der Polnischen Streitkräfte im Exil. Auf diesen letzten Lebensabschnitt konzentriert sich Dariusz Baliszewskis Darstellung, die jedoch den gesamten Lebensweg nachzeichnet und sich dabei auf zahlreiche neu erschlossene Quellen stützt. Diese komplett und im Detail nachzuprüfen, ist dem kritischen Leser leider nicht möglich, denn die vorliegende Publikation verzichtet auf detaillierte Quellennachweise. Die britischen Archive blieben nach wie vor für historische Forschungen verschlossen. So liegen der Publikation vor allem Aussagen und Dokumente von Zeitzeugen zugrunde. Das gilt für die Familiengeschichte Sikorskis, die wie auch und vor allem dessen militärische Laufbahn nicht frei von Brüchen war.
Die Geschehnisse der letzten Lebensjahre, unter anderem Gespräche mit Roosevelt oder die Inspektion Polnischer Streitkräfte in Nahost, voraufgegangene und fehlgeschlagene Attentate und schließlich die letzten Stunden Sikorskis vor seinem Tod um 23.10 Uhr in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli 1943, wurden im Ergebnis intensiver Befragungen wichtiger Persönlichkeiten aus dem inneren Kreis um den Politiker und Militär rekonstruiert. Oberst Marian Utnik betonte, bei den Vorgängen in und um Gibraltar sei es um insgesamt 17 Personen gegangen, »das heißt um einen Anschlag auf die Streitkräfte«. Ursache des Flugzeugabsturzes waren dem Bericht der Untersuchungskommission des britischen Luftfahrtministeriums zufolge, die »blockierten Höhensteuerungsmechanismen«. Befragungen von Zeugen, zu denen der überlebende Pilot gehörte, sowie die Auswertung technischer Unterlagen zur Maschine und zum Start »konnten nicht die Ursachen für die Blockierung erklären. Es handelte sich jedoch eindeutig nicht um Sabotage«. Für die jüngste Erforschung der Ursachen des Absturzes der Liberator AL 523 etwas mehr als 1000 Meter vor der Küste Gibraltars wenige Minuten nach dem Start wurden meteorologische Angaben, vor allem jedoch Computersimulationen polnischer Wissenschaftler der Fachrichtung Aerodynamik der Warschauer Politechnischen Hochschule herangezogen. Damit zeichnet die vorliegende Publikation ein deutlicheres Abbild der Wirklichkeit als frühere Publikationen.
Gibraltar war jedoch nicht nur Ort der Flugzeugkatastrophe. Zwei Monate zuvor, Anfang Mai 1943, hatten die Briten in der »Operation Mincemeat« der deutschen Gegenspionage am Strand von Huelva einen in monatelanger Vorbereitung präparierten Leichnam des angeblich bei einem Flugzeugabsturz zu Tode gekommenen britischen Majors Martin untergeschoben. Bei ihm »fanden« sich gefälschte Dokumente. Die »Dokumente« suggerierten der deutschen Abwehr erfolgreich, dass die Alliierten nach der Ausschaltung des Afrikakorps auf der Inselgruppe Dodekanes landen würden. Damit war Sizilien ausgeschlossen, wo die Alliierten dann tatsächlich landeten.
Mit Gibraltar war jedoch neben zahlreichen weiteren Folgen der Flugzeugkatastrophe auch eine Spaltung der polnischen Emigration verbunden. Gehörte zum innersten Führungskreis um Sikorski doch auch Oberst Czesław Główczyński, jahrelang dessen Adjutant und Vertrauter. Główczyński kümmerte sich nach dem Tod von Sikorski und der ihn begleitenden Tochter Zofia fürsorglich um die trauernde Witwe und Mutter Helena Sikorska. Diese verbat sich in einem kurzen Brief vom 15. Juni 1963 an den damaligen Chef der polnischen Emigration, General Władysław Anders, dessen öffentlich angekündigte Teilnahme an der Kranzniederlegung und Ansprache am damaligen Grab Sikorskis in Newark. (In den 1990ern fand Sikorski in Krakau seine letzte Ruhestätte.) In weiteren Briefen erklärte Helena Sikorska ihre Haltung mit der »Unverschämtheit« von Anders und dessen »offenem Aufstand gemeinsam mit seiner Clique« gegen seinen Retter aus sowjetischer Gefangenschaft, Sikorski.
Gerd Kaiser
Dariusz Baliszewski: »Gibraltar. Tajemnica Sikorskiego« (Gibraltar. Das Geheimnis um Sikorski), Oficyna Wydawnicza RYTM, 248 Seiten, ISBN: 978-83-7399-721-9 31, Zł. 31,50
70 Mini-Porträts
Wer Walter Kaufmann kennt, weiß, dass die Lebensstationen des 94-Jährigen die Kindheit als jüdischer Junge in Düsseldorf und Duisburg, das Internat in England, die Internierung und spätere Arbeit in den Häfen, auf Schiffen, Obstplantagen Australiens waren, bis er 1956 als Jungautor in die DDR kam und auch von hier aus viele Länder als Reporter bereiste. Schon in verschiedenen Büchern hat er dieses ungewöhnliche Leben beschrieben. Wer aber meint, Kaufmann hätte darüber schon alles gesagt, wird mit dem neuesten Buch eines Besseren belehrt, und das liegt an der Methode, die der Schriftsteller meisterhaft beherrscht. Er schreibt weniger über sich selbst als vielmehr über die, die seine »Wege kreuzten«. 70 Mini-Porträts umfasst der Band: Verwandte, Freunde, Lehrer, Genossen, Geliebte, aber auch ihm eigentlich unbekannte Leute, mit denen er beispielsweise zufällig in einem Zug saß oder die er bei anderen Unternehmungen traf, wie den Kapitän eines Schiffes der Deutschen Seerederei Rostock, dem Kaufmann auf seinen Reisen begegnete. Der hatte seine Truppe vorbildlich »im Griff«, und nur darüber schreibt der Reporter. Natürlich kreuzten Künstler und gar ein bundesrepublikanischer späterer Minister seinen Weg und – wie könnte es bei einem zivilisierten Abenteurer und Charmeur wie Kaufmann anders sein? – Frauen, eine schöner und interessanter als die andere ...
Leute aus aller Welt gehören zu den Porträtierten, weil Kaufmann immer neugierig, kommunikativ und aufmerksam war. Das macht das Buch über den autobiographischen Aspekt hinaus zu einem Kompendium von Welt- und Zeitgeschehen. Sowohl die große Hoffnung auf ein besseres Leben als auch bittere Erfahrungen werden reflektiert, und immer ist da ein großer Respekt vor dem anderen und eine nicht zu löschende Liebe zum Leben, das so vieles bietet.
Christel Berger
Walter Kaufmann: »Die meine Wege kreuzten. Begegnungen aus neun Jahrzehnten«, Quintus, 168 Seiten, 18 €
Neue Glotze zur Fußball-WM
Man will es einfach nicht glauben …, aber die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland liegt genau in der besten Urlaubszeit. Früher waren Urlaub und Fußball-WM noch zwei Paar Stiefel. Da lockten weder Sonne noch Meer, die eingefleischten Fußball-Fans blieben einfach zu Hause, um ja kein Spiel live vor der heimischen Flimmerkiste zu verpassen. Selbstverständlich bei einem kühlen Blonden. Die Fußballleidenschaft wurde dem Sommerurlaub vorgezogen. Viele kauften sich lieber einen neuen Fernseher, als in den Ferienflieger zu klettern. Und so klagten die Reiseveranstalter alle vier Jahre über rückläufige Buchungen.
Inzwischen haben Hotels und Ferienanlagen längst den Trend der Zeit erkannt und technisch kräftig aufgerüstet. In jedem Hotelzimmer und in jeder Kreuzfahrtkabine, ja in jedem biederen Bungalow gibt es längst einen Farbfernseher. Außerdem werden Liveübertragungen auf Großbildleinwänden angeboten und dazu ein buntes Animationsprogramm. Mit Public Viewing, After-Game-Partys, Tippspielen und vielem mehr lässt sich das sportliche Sommerspektakel nun im Urlaub wunderbar genießen. Gemeinsam mit anderen Fans kann man mit den Mannen von Jogi Löw fiebern, sie anfeuern und Tore bejubeln. Das macht doch viel mehr Spaß als allein auf dem heimischen Sofa. Nun klagen aber die Elektromärkte und versuchen mit diversen WM-Sonderangeboten, den Umsatz ordentlich anzukurbeln, bis hin zur Zurückerstattung von 50 Prozent des Kaufpreises, falls Deutschland Weltmeister wird. Da lohnt sich doch das Daumendrücken.
Manfred Orlick