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Titel1319

Monatsrückblick: Kompliziert, damit es nicht auffällt  (Jane Zahn)

»Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf.« Innenminister Horst Seehofer äußerte sich verschmitzt lachend am 6. Juni in einer Rede beim »Zweiten Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie« darüber, warum sein Datenaustauschgesetz so stillschweigend im Bundestag eingebracht wurde.

Da viele Wähler auch nur einfache Botschaften verstehen, hatten die rechten Parteien in Europa einen Lauf bei der EU-Wahl. Nur die AfD erreichte nicht so ganz ihr Traum-Ergebnis, in Deutschland machten die Grünen das Rennen. Einfach, weil ihre Regierungszeit schon zu weit zurückliegt, um auf youtube entlarvt zu werden. Fällt euch nichts auf, Kids?

 

Frauen zurück an den Herd: Zurück treten Theresa May (7. Juni) und Andrea Nahles (2. Juni), als nächstes ist AKK wohl dran. Sie sollten ihren Parteien neue Erfolge schaffen, nachdem die Männer es vergeigt hatten, aber sie sind klüger: Sie beugen dem Burn-out vor, den die Weltgesundheitsorganisation nun erstmals als Krankheit definiert hat: Syndrom aufgrund von »chronischem Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird ... Begleitet von einem Gefühl der Erschöpfung, einer zunehmenden geistigen Distanz oder negativen Haltung zum Job sowie verringertem beruflichem Leistungsvermögen.« (jW, 28.5.19) Österreichs neue Präsidentin, Brigitte Bierlein, wird die Erfahrung wohl auch noch machen müssen. Und das dritte Geschlecht ist auch keine Option zum Ausputzen. Einfach, weil es zu komplex ist.

 

Börse ist auch komplex, aber manchmal ganz einfach: Nach der EU-Wahl steigen die Börsenkurse. Gute Aussichten für Konzerne offenbar. Und schlechte für die Bürger. Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) hingegen ist mit dem Zustand der globalen Wirtschaft unzufrieden und korrigiert ihre Wachstumsprognose um 0,3 Prozentpunkte nach unten.

 

Der Klimawandel wartet nicht. Umweltministerin Svenja Schulze will »nicht mehr auf Befindlichkeiten in der Union Rücksicht nehmen« (UZ, 7.6.19). Sie gab ihren Entwurf für ein Klimaschutzgesetz in die interministerielle Abstimmung. Der Entwurf liegt seit Februar vor, war aber vom Kanzleramt gestoppt worden. Das Klimakabinett der Bundesregierung tagte. Und beschloss, sich bis September an die Arbeit zu machen. Eine Schnecke ist Sprintweltmeister dagegen! Klar, sie wird ja auch nicht von einem Mautgesetz aufgehalten, das seit Jahrzehnten die Politik beschäftigt und jetzt endlich verdient an EU-Recht gescheitert ist. »Das war jetzt das Elfmeterschießen, und es ist nicht gut ausgegangen«, erklärt Andreas Scheuer, Fußballtrainer – ach nee, verantwortlicher Bundesverkehrsminister, die komplexe Retoure sehr einfach. (MAZ, 19.6.19)

 

Hoffentlich landet das Gesetz jetzt endlich auf dem Müll, wohin Amazon und Zalando Retouren regelmäßig schicken. Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz Gerd Billen verurteilte diese Praxis: »Eine solche Verschwendung wertvoller Ressourcen ist unverantwortlich.« (Tagesspiegel, 8.6.19) Aber was Amazon-Kunden können, können wir auch, meinte die malaysische Umweltministerin Yeo Bee Yin und schickte 450 Tonnen Plastikmüll an die Absender in den Industrieländern zurück. Und die sollen die Retoure auch bezahlen. Jedes Jahr landeten bisher etwa 50.000 Tonnen Plastikmüll aus den Industrieländern in Malaysia, wo sie »entsorgt« werden sollten. China hat bereits vor einem Jahr die Einfuhr von Plastikmüll verboten, jetzt beginnt das Schule zu machen. Bald müssen also Frankreich und Deutschland ihre Plastikabfälle in Nordsee, Atlantik oder Mittelmeer kippen, statt sie von ärmeren Staaten in den Pazifik kippen zu lassen. Das ist nicht einfach, fällt aber doch einigen auf, in der klimabewegten Republik. Fridays for future und Rezo sei Dank, die einfache Botschaften, die auffallen, an Millionen Menschen bringen.

 

Auch Mr. Trump sendet einfache Botschaften: Er scheut es nicht, sich beim Wahlkampfauftakt in Orlando, Florida, mit George Washington zu vergleichen, und gibt als Wahlkampfslogan in seiner Rede aus: »Keep America great!« Seine Anhänger wissen wahrscheinlich gar nicht, dass er gerade mal wieder mit einer Aktion gescheitert ist: Bundesrichter Haywood Gilliam erließ am 24. Mai eine Verfügung, die es der Regierung untersagt, mit Geldern des Verteidigungsministeriums die Mauer zwischen Arizona und Mexiko zu bauen. Trump hatte im Februar den nationalen Notstand ausgerufen, um am Kongress vorbei mehrere Milliarden Dollar für das Projekt freigeben zu können. Das ist zu komplex und fällt nicht auf bei Leuten, deren Horizont ebenso klein ist wie ihr Land groß.

 

Aufgefallen sind die US-Regierungen in der Weltöffentlichkeit bisher mit einigen Lügen, die Aggressionen begründen sollten. Wer einmal lügt, dem glaubt man aber nicht mehr so leicht. In einer »echten Untersuchung« sollen »alle Fakten auf den Tisch kommen«, fordert der finnische Außenminister Pekka Haavisto und unterstützt damit die Haltung des UN-Generalsekretärs António Guterres, der eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Vorfälle im Persischen Golf verlangt. Eine Ohrfeige für die US-Regierung, die ohne jeden vorzeigbaren Beweis behauptet, die iranische Regierung stecke hinter den Angriffen auf zwei Tanker. Zu offensichtlich ist es, dass die Angriffe keinesfalls im Interesse der iranischen Regierung sein können und dass die USA einen Vorwand suchen, um mal wieder die militärische Trumpfkarte zu ziehen. Sogar der deutsche Außenminister Maas, sonst ein braves Hündchen der Stimme seines Herrn, wagt Zweifel. Die Bundesregierung gleiche die Angaben noch mit ihren Informationen ab, meinte er am 17. Juni in Luxemburg. Ist wohl nicht kompliziert genug – die Propaganda der USA – und fällt deshalb sogar Herrn Maas auf.

 

SPD-Oberen fällt dagegen gar nichts auf – und auch nichts ein. Sollten sie etwa ihre Politik ändern, weil die Wähler davonlaufen? Ach nein, sie lassen lieber Andrea Nahles fallen. Die ist jetzt auch ehemalige Parteivorsitzende, aber nicht Unterzeichnerin des Appells ehemaliger Parteivorsitzender an die SPD, »stolz auf das Erreichte« zu sein. Das wird nicht so einfach, auf die erreichten Wahlergebnisse und Umfragen auch noch stolz zu sein … »Denn nur wer von sich selbst überzeugt ist, kann auch andere überzeugen« (Spiegel online, 17.6.19) Ja, dass die Herren Schröder, Scharping, Müntefering und so weiter von sich selbst überzeugt waren, hat viel dazu beigetragen, dass die SPD diese Ergebnisse erreicht hat.

 

»Die großen Spender haben nicht gezahlt. Nicht einen Cent.« Notre-Dame-Pressesprecher André Finot ist enttäuscht. Mehrere französische Milliardäre hatten nach dem Brand von Notre Dame medienwirksam dreistellige Millionenspenden angekündigt. Die Arbeiter auf der Brandstätte werden von vielen kleinen Spendern bezahlt, die Millionen sind ausgeblieben. (MAZ, 15./16.6.19)

 

Sehr einfach, und daher fällt es eben auf – zumindest mir und Ihnen, verehrte Leserin und verehrter Leser. Trotzdem einen schönen Sommer!