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Titel1320

Tertullians Pazifismus-Lesebuch  (Hartwig Hohnsbein)

Man muss ihn nicht verehren, wie es das »Ökumenische Heiligenlexikon« tut, das für ihn einen besonderen »Gedenktag« ausgewiesen hat.

 

Man muss ihn nicht einmal kennen, auch wenn er mit eingängigen Wortschöpfungen für die lateinische Kirchensprache, wie zum Beispiel trinitas, sacramentum, religio, nun auch in der Alltagssprache weiterlebt. Darüber hinaus hat er mit seiner »Trinitäts-Lehre«, wonach der christliche Gott aus drei Personen in einer Substanz besteht, maßgeblich dazu beigetragen, dass der »Heilige Geist« in das Zweierbündnis Gottvater und Gottsohn als Dritter aufgenommen wurde, dem dann auch seit dem 4. Jahrhundert ein eigenes Erinnerungsfest, Pfingsten, gewidmet wurde. Der Gestalter dieser Gotteslehre war der aus Karthago stammende Sohn eines »heidnischen« Centurios, der nach seiner Ausbildung als Jurist und Philosoph Christ und seitdem auch zu einem strengen Eiferer für seinen neuen Glauben wurde. Sein Name: TERTULLIAN, Quintus Septimius Florens Tertullian (circa 160–225 n. Chr.). Seine zahlreichen Schriften zur Verteidigung des christlichen Glaubens und zur Lebensführung eines »wahren Christen« haben ihre Zeit gehabt.

 

Ein kleines Büchlein von ihm hat es allerdings verdient, wiederentdeckt zu werden. Es spiegelt nämlich zutreffend wider, was die Menschen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bewog, sich der »Sekte der Christen« anzuschließen: der »frühchristliche Pazifismus«, der sich an dem Vorbild Jesu ausrichtete und dadurch jeglichen Waffengebrauch ablehnte – ein Alleinstellungsmerkmal unter den zahlreichen religiösen Bewegungen im damaligen Römischen Reich. Diese urchristliche Haltung und die Tradition, die daraus erwuchs, sind heute so sehr verdrängt, dass nur noch wenige Christen sie kennen und befolgen wie etwa die Waldenser, die Wiedertäufer, die Quäker, der Internationale Versöhnungsbund. Anlass für die Schrift des Tertullian war ein Vorfall, bei dem ein Soldat öffentlich vor dem Kaiser seinen Ehrenkranz aus Lorbeer sowie alle seine Kriegsinsignien wie Mantel, Schwert und so weiter mit den Worten ablegte: »Ich bin Christ« – ein für den Soldaten todbringendes Bekenntnis, das ihn allerdings »die Anwartschaft des Martyriums erwarten ließ«. Im 11. Kapitel eben jener Schrift stellt Tertullian die Argumente überzeugend dar, »warum Christen den Soldatenstand überhaupt nicht ergreifen sollten«. Der bewirke nämlich, schreibt er, »durch die zwingende Gewalt darin, Verrichtungen durchzuführen, die einem Abfall vom Glauben gleichkommen«. Er fragt: »Soll der Sohn des Friedens Bande, Kerker, Foltern und Todesstrafen zum Vollzug bringen, er, der nicht einmal die ihm zugefügten Beleidigungen rächt«, wie es die Bibel von ihm verlangt? Die Schrift Tertullians vom Jahre 211 n. Chr. wurde fortan Orientierungshilfe für alle, die Christen sein wollten.

 

Mit der »Konstantinischen Wende« (ab circa 310 n. Chr.), durch die das Christentum schließlich Staatsreligion wurde, kam es dann zum Bruch mit dem »frühchristlichen Pazifismus«. Es entstand eine grundsätzlich andere, eine »Zweite Tradition«, wie der enge Freund und Gedankenspender Dietrich Bonhoeffers, Jean Lasserre, sie nannte, eine Tradition, die die »Erste Tradition«, die von Jesus kam, fast völlig ausgelöscht hat.

 

Galt bisher im Sinne Tertullians: »Wer Soldat bleibt, kann kein Christ werden«, so hieß es nun: »Wer die Waffe wegwirft, kann kein Christ bleiben«, er sei zu »exkommunizieren«, wie die Reichssynode von Arles auf Druck des Kaisers schon 314 n. Chr. verfügte. Danach entwickelte der »Heilige« Augustinus (354–430 n. Chr.) das Konzept des »Gerechten Krieges«, und fortan führte die Christenheit bis in unsere Zeit hinein unaufhörlich Kriege – alles »Gerechte Kriege« – und beging »Kriegsverrichtungen« brutalster Art, in der Regel mit priesterlichem Beistand, weil angeblich alle »gottgewollt«: die Sachsenkriege, die Kreuzzüge, die Kolonialkriege, die beiden Weltkriege, der Vietnamkrieg, zu dem der katholische Kardinal Spellman und der evangelikale Prediger Billy Graham ermunterten. Schließlich, noch nicht vergessen: der Kreuzzug des US-Präsidenten George W. Bush gegen den Irak, der dort Zerstörung, Flucht und Elend brachte.

 

Auch wenn die Großkirchen zur Zeit bei den vielfältigen Militäreinsätzen nicht mehr von »Gerechten Kriegen« sprechen – ihre Militärseelsorger sind immer noch dabei, wenn die christlichen Regierungen wieder einmal die Waffen sprechen lassen, und vermitteln so der Bevölkerung den Eindruck: Hier geht alles mit rechten und gerechten Dingen zu, auch wenn das Völker- und Menschenrecht dabei schon mal beschädigt wird – wie ganz offensichtlich in dem genannten Irakkrieg. Dazu werden dann die Militärausgaben in den Staaten des »christlichen Abendlandes« größer und größer, und der US-Präsident, der bei seinen »Evangelikalen« viel Zustimmung erfährt, konnte auch deshalb unlängst erklären, »man könne Atomwaffen auch einsetzen, um Kriege zu führen« (FR, 4.5.2020) – vielleicht wie schon zweimal, vor 75 Jahren, im August 1945, in Japan, wozu, nota bene, ein lutherischer Feldgeistlicher »im Vertrauen auf Gott« dessen Segen verabreichte.

 

Wie das gegenwärtige Virus, das virus coronae, so breitet sich auch das Militärwesen aus, das virus militis. Tertullian wollte dieses Monster mit seiner kleinen Schrift überwinden; ihr Titel lautet »De corona militis« (Vom Kranze des Soldaten). Die Schrift könnte auch in unseren Tagen hilfreich sein, dem virus militis zu widerstehen und damit einen wahren Ehrenkranz zu erlangen, den »Ehrenkranz des Friedens«, eine CORONA PACIS.