Corona bedroht die Welt. Die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft. Mit Enteignung. Obzwar für die Lufthansa nur eine formelle »Staatsbeteiligung« über Aktien ins Gespräch kam, beschworen fanatische, marktradikale Liberale sofort den Untergang des Abendlandes. Olaf Scholz, Vizekanzler und Finanzminister in persona, und Wirtschaftsminister Peter Altmaier sowie ihre ministerialen Denker waren offensichtlich vom antikapitalistischen Teufel geritten.
Was wäre wenn nicht? Eine komplette Bruchlandung der Kranich-Flotte. Das entspräche aber auch nicht dem Hin und Her der Markt- und Wirtschaftsweisen. Besonders in der FDP, die in der Wählergunst gerade so an der 5-Prozent-Hürde dahindümpelt.
Zum Fakt selbst. Der Bund spendiert neun Milliarden Euro Steuergelder, um die Lufthansa vor dem sofortigen Aus zu bewahren. Drei Milliarden Euro sind Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), mithin neue Schulden. Die restlichen sechs Milliarden Euro kommen aus dem staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Mit dem Ziel, dass der WSF im Zuge einer Kapitalerhöhung Aktien zeichnet, um eine Beteiligung von 20 Prozent am Grundkapital der Fluggesellschaft aufzubauen. Mit der Sperrminorität soll ein Minimum an Mitsprache gewährleistet werden. Soziales steht außen vor.
Zugegeben: Ein staatskapitalistischer Weg wird nie Allheilmittel gegen die systemimmanenten Krankheiten sein. Allemal besser angeraten, als Milliarden und Billionen Euro oder Dollar dem Götzen Antistaat zu opfern.
Das heutige Unikum Staat dient einzig dem Zweck, es für sich selbst und seine Bürger politisch, wirtschaftlich und sozial zu erhalten – unter kapitalistischen Bedingungen. Da aber ist nach allen Lehrmeinungen Kapitalverwertung statt -vernichtung angesagt. Nicht nur in bedrohlichen Zeiten wie diesen.
Auf jeden Fall wären so die brav mit schwarzer Null angesparten Milliarden besser angelegt. In erster Linie, wenn bei großen wie mittelständischen Unternehmen Liquidität ohne Kreditschulden entsteht. Zudem gibt es keinerlei grundgesetzliche Schranken, dass der Staat selbst nicht unternehmerisch tätig werden darf. Auch sind Beteiligung und Enteignung – so klar ist der Wortsinn für jeden Lesekundigen – weder identisch noch gleichzusetzen.
Einen Haken hat die Sache. Die Idee des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) entstammt nicht den Schemata heutiger Denkfabriken, somit ist sie per se unten durch.
Die vehementen Kritiker müssten gar nicht erst bei Bismarck, Lenin oder Walter Ulbricht über Sinn, Zweck und Nutzen nachlesen. Allein die berühmte Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Friedrich Pollock mit seiner Theorie über diese Wirtschaftsform würde ausreichen. Aus der Gegenwart wäre zum Beispiel bei dem italienischen Wirtschaftswissenschaftler und Finanzfachmann Vladimiro Giacché reichlich Erkenntnisprofit zu erzielen (siehe »Goodbye Lenin?«, Ossietzky 15/2017, »Lenin pur«, Ossietzky 17/2019, »Anschluss«, Ossietzky 7/2015).
Ja, und da ist die Volksrepublik China unbedingt zu erwähnen. Bei der Einführung der staatlichen Beteiligung an privaten Unternehmen in der DDR bezog sich Walter Ulbricht ausdrücklich auf den chinesischen Weg der damaligen fünfziger Jahre. Die heutige Unternehmensvielfalt in Fernost widerlegt jedes Anti gegen reine Staatsunternehmen und staatliche Beteiligungen. Sie offenbart ein praktikables Bild unterschiedlicher Eigentumsformen und Kapitalverhältnisse – durchaus zum Nutzen des chinesischen Staatswesens und seiner einbezogenen Bürger.
Es hat den Anschein, dass deutsches Gesellschaftsrecht nichts mehr im eigenen Land gilt. Der Staat als Unternehmer wurde seit 1990 erst als »ineffizient« in Verruf gebracht und dann den turbokapitalistischen Attacken à la Mehdorn & Co. ausgeliefert.
Vorgeblich Wirtschaftsweise versagten auf breiter Front. Die Politik folgte falschen Propheten. Nur einige Ergebnisse: Bahn am Ende, Post montags nie, staatliches Gesundheitswesen perdu, kommunales Eigentum zu Spottpreisen verschleudert und Wohnen renditehungrigen Konzernen übereignet.
Letztendlich kam der rechenkünstlerische Bumms des Finanzministers. Der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD in alibistrittiger Dreieinigkeit sowie die Bundesregierung mit einem oppositionellen Gegenlüftchen schütteten Staatsknete wie Regen übers Land.
Selbstlobend ist es selbstverständlich das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen beträgt insgesamt 353,3 Milliarden Euro und der Umfang der Garantien insgesamt 819,7 Milliarden Euro. Zur Finanzierung wird der Bund neue Kredite in Höhe von rund 156 Milliarden Euro aufnehmen.
Vor so vielen Milliarden und Krediten wird braven Bundesbürgern ganz schwindelig und bange. Eine schwäbische Hausfrau muss dafür sehr arg sparen. Von Hartz-IV-Betroffenen ganz zu schweigen. Sie haben gefälligst ihr mühsam Erspartes erst bis auf den letzten Cent aufzubrauchen, um gnädig gestattet eine Hilfe beantragen zu dürfen.
Wieviel Nullen hat eigentlich eine Milliarde, und wieviel Millionen sind es? Nur Historiker und Numismatiker könnten es mit dem Inflationsgeld der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts begrifflich vorstellbar machen.
Bertolt Brecht riet im »Lob des Lernens« den Unterprivilegierten: »Prüfe die Rechnung / Du mußt sie bezahlen. / Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: Wie kommt er hierher?«
Der ganz dicke Bumms steht uns allen also noch bevor.