Um das Jahr 2050 werden nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern – von denen mindestens sieben Milliarden in sogenannten weniger entwickelten Regionen leben dürften. Bereits 1972 – also noch bevor die Ölkrise die kapitalistische Weltwirtschaft aus allen fossil-fordistischen Träumen riß – hatte der Club of Rome erstmals die von der Natur gesetzten Grenzen des Wachstums thematisiert und mittels einer Systemanalyse fünf Trends mit globaler Wirkung festgestellt: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoffreserven und Zerstörung der Lebensräume. Die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde würden in den kommenden hundert Jahren erreicht, warnten damals die Forscher um Donella und Dennis L. Meadows. Obwohl die Studie weltweit beachtet wurde und unzähligen Umweltschutzinitiativen gleichsam als Gründungsurkunde diente, ist die Welt inzwischen dem vom Club of Rome geforderten ökologischen und ökonomischen Gleichgewichtszustand keinen Schritt näher gekommen – im Gegenteil. Als die Autoren 2004 das 30-Jahre-Update veröffentlichten, mahnten sie, die Kapazität der Erde, ausreichend Rohstoffe zu liefern und Schadstoffe zu absorbieren, sei bereits 1980 überschritten worden. Um einen vermutlich schon 2030 einsetzenden Kollaps abzuwenden, müsse unter anderem der Konsum deutlich eingeschränkt, das Bevölkerungswachstum stärker kontrolliert und der Schadstoffausstoß reduziert werden.
Daran ist nicht mehr zu zweifeln: Um eine irreversible Schädigung des Weltklimasystems zu verhindern, muß vor allem der CO2-Austoß unverzüglich verringert werden. Die G8-Staaten versprechen uns, sie wollten bis 2050 eine Erderwärmung um höchstens zwei Grad Celsius zulassen. Wie aber wollen sie dieses Ziel erreichen? Was wollen sie ernsthaft dafür tun? Wenn die Temperaturen auf der Erde um nicht mehr als zwei Grad steigen sollen, müßte der Energieumsatz im Vergleich zum Jahre 1990 global um fast zwei Drittel sinken, in Deutschland etwa um 80 Prozent! Technisch ist es sicherlich kein Problem, mit etwa 20 Prozent unseres Energieumsatzes ein gutes Leben zu führen. Ob wir aber bereit sind, dafür mindestens zur Hälfte auf das Autofahren zu verzichten, und ob die Industrie zugleich freiwillig den Automobilbau erheblich reduziert, ist doch sehr die Frage ...
Zu den klimaschädlichen Emissionen trägt der Kraftverkehr zu Lande, Wasser und in der Luft ein Drittel bei. Allerdings ist das durch die massenhafte Autoproduktion und -nutzung verursachte Umweltproblem durch Klimaschutzmaßnahmen allein nicht zu lösen. Bessere Katalysatoren hier, verbrauchsärmere kleinere Verbrennungs- und Elektromotoren dort (auch als Hybride) – und »grün« leuchtet prompt die Ampel der automobilistischen Zukunft? Schön wär’s. Die Menschheit stößt nicht nur beim Ausstoß von CO2, beim Verbrauch von Erdöl und Wasser, bei der Produktion von Lebensmitteln an schmerzliche Grenzen. Der Ressourcenverbrauch generell nimmt so gewaltige Dimensionen an, daß weltweit gewaltsame Verteilungskämpfe drohen. Ein Europäer verbraucht gegenwärtig im Durchschnitt rund 75 Tonnen Natur pro Jahr, ein Ostasiate dagegen kaum mehr als zwei. Während gut eine Milliarde Menschen in sogenannten Wohlstandsländern sich das Leben mit energie- und rohstofffressenden Kraftfahrzeugen, Computern, elektrischen Haushaltsgeräten und anderen Gebrauchsgütern möglichst angenehm gestaltet, hoffen mehrere Milliarden Menschen darauf, das möglichst bald auch zu können.
Die allein in den sogenannten BRIC-Ländern (Brasilien, Rußland, Indien, China) rasant steigenden, von Industrie und Werbung befeuerten Konsumerwartungen laufen auf eine historisch ungeahnte Steigerung des Weltbruttosozialprodukts hinaus. Dem massiv vorangetriebenen Aufbau des Kapitalstocks korrespondiert ein Energie- und Materialbedarf, der den dafür zuständigen »Weltmarkt« der transnationalen Konzerne unter heftigen Lieferzwang setzt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie läßt wissen: »Eine Zuschauerrolle auf der Weltbühne der Rohstoffe wird nicht ausreichen. Was wir brauchen, ist eine strategische Rohstoffpolitik in Allianz von Politik und Industrie.«
Die Belastungsgrenze des natürlichen Trägersystems Erde ist längst überschritten. Bisher verbraucht ein Fünftel der Menschheit vier Fünftel der Ressourcen. Aber diese Zeit wird bald enden und sich allenfalls mit massiven militärischen »Auslandseinsätzen« ein wenig verlängern lassen. Tausend chinesische Bürgerinnen und Bürger verbrauchen derzeit nur vier Faß Öl am Tag, während tausend US-Einwohner 15mal so viel konsumieren. Allein der in den USA, Japan und Europa heute übliche Autoverkehr liefe bei einer neun Milliarden Menschen zählenden Weltbevölkerung auf einen Bestand von mehr als vier Milliarden Fahrzeugen hinaus. (In Deutschland kommen auf tausend Einwohner 560 Autos, in Japan 590, in den USA und Kanada 770.) Was heißt das für die Umwelt? Betrachten wir kurz den »ökologischen Rucksack« eines einzigen durchschnittlichen Autos und seiner Teile.
Als ökologischen Rucksack bezeichnen wir die Menge an Materialien, die allein zur Herstellung und zur Auslieferung einer Ware, beispielsweise eines Autos, benötigt werden. Alles in allem beträgt die von einem einzigen neu produzierten Personenwagen mitgeschleppte Menge allein an festen Stoffen rund 15 Tonnen. Ganz abgesehen von dem zu seiner Produktion benötigten Wasser – 400.000 Liter je Fahrzeug. Daß der vom Band rollende Wagen dann zwei Tonnen wiegt oder mindestens eine, um in der Regel eine einzige Person täglich einige Kilometer zum Arbeitsplatz oder Baumarkt hin und zurück zu bewegen, sollte in einer Wissensgesellschaft unakzeptabel sein. Rund 90 Prozent der Autofahrten in der Stadt reichen über eine Distanz von bestenfalls sechs Kilometern nicht hinaus.
Seit längerem beklagen Technische Überwachungsvereine, das Durchschnittsalter der hiesigen Personenwagen betrage deutlich mehr als acht Jahre. Dieser Befund ist nicht als frohe Botschaft gemeint, nicht als Lob der Haltbarkeit und Qualität vieler Automodelle, eher als Aufforderung, sich einen Neuwagen zuzulegen. Die Abwrackprämie läßt grüßen. Aber wem nutzt eine vorgeblich technisch und sicherheitsbezogen argumentierende Politik außer der Automobilindustrie, die darunter leidet, daß sie auf den gesättigten Märkten der Industrieländer nicht mehr genug Neuwagen absetzen kann?
Sollten die meisten älteren der 42 Millionen in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen nicht doch besser und möglichst umgehend aus dem Verkehr gezogen werden? Sie verbrauchen schließlich durchschnittlich sieben bis acht Liter Kraftstoff pro hundert Kilometer und stoßen circa 180 Gramm CO2 pro Kilometer aus, viel mehr als die in der Europäischen Union angestrebten 120 Gramm.
Auf den zweiten Blick sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Wer wenig fährt und das unter erheblichem Ressourcen- und Energieeinsatz produzierte Fahrzeug intakt hält, dient der Umwelt sicherlich entschieden mehr als derjenige, der einen umweltverträglicheren Neuwagen erwirbt. Eine Betriebsdauer von mindestens 20 Jahren ist dringend anzustreben. Im übrigen verbrauchen neue Mittelklasse-Neuwagen aufgrund ihres stetig angestiegenen Gewichts, zusätzlicher elektrischer Energiefresser (Fensterheber, Sitzverstellung etc.) und nicht zuletzt der Klimaanlagen kaum weniger Kraftstoff als ihre Modellvorläufer vor zwanzig Jahren.
Besonders eindrucksvoll ist der ökologische Rucksack eines Abgaskatalysators. Katalysatoren enthalten – wenn auch in relativ geringen Mengen – Platin. Eine Tonne dieses nur mit äußerst großem Materialaufwand zu fördernden Metalls trägt einen ökologischen Rucksack von 320.000 Tonnen. Auf einen einzigen Katalysator umgerechnet wiegt dieses als grandioser Fortschritt gewertete Teil etwa drei Tonnen. Ressourcen – das gilt nicht zuletzt für Automobilhersteller und deren energiefressende Produktionsanlagen – werden knapp. Jedenfalls enthalten die gegenwärtig erschlossenen neuen Lagerstätten pro Tonne Gestein viel weniger von dem, was einst daraus gewonnen werden konnte. Kurz, künftig müssen noch mehr Tonnen Gestein bewegt werden, und das bei steigendem Energieeinsatz.
Da liegt die Frage nahe, ob es gesellschaftlich nicht sinnvoll wäre, sich mit deutlich weniger Kraftfahrzeugen zu bescheiden. Eine ganz andere Frage ist, ob und inwieweit Konsumeinschränkungen wie etwa der Verzicht auf Fahrtleistungen, deren Ausmaß gegenwärtig weiterhin rasant ansteigt, politisch und gesellschaftlich durchsetzbar sind.
Eine wirksame Reduzierung der Klima- und Umweltschädlichkeit des Automobils sollten wir uns weder von der Autoindustrie noch von begeisterten Autofahrern, wie wir sie alle kennen und eventuell selber sind, erhoffen. Und schon gar nicht von einer Politik, die hauptsächlich um Wirtschaftswachstum, Steuereinnahmen und herkömmliche Industriearbeitsplätze besorgt und eng mit der Öl- und Automobilindustrie vernetzt ist. Auch ein marktwirtschaftsfreundlicher Ökologe wie Friedrich Schmidt-Bleek gibt seit Jahren zu bedenken: »Was nutzt es, wenn für den Kurzstrecken- und Stadtverkehr das superleichte, mit geringer Material- und Energieintensität produzierte, ein Liter Benzin verbrauchende Citycar die Norm wird, wenn aber gleichzeitig in jeder Familie beliebig viele davon angeschafft werden? Dies wäre nichts anderes als eine Fortsetzung der derzeit praktizierten materialintensiven Lebensweise, allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, daß die Akteure dabei auch noch ein ökologisch gutes Gewissen hätten. Wie werden wir mit den Mengeneffekten fertig, die die Spareffekte auffressen?«
Was tut zum »Umsteuern« not? Sind von durchschnittlich 23 Stunden still- stehenden Blechkarossen flanierfeindlich zugeparkte Straßen, Plätze und Naturflächen einer Wissensgesellschaft angemessen? Ist die Zeit vermeintlicher Statussymbole, für die wir während unserer Lebenszeit durchschnittlich weit mehr als 300.000 Euro ausgeben, samt der dazu gehörigen Tausenden von Waschanlagen, Tankstellen, Parkhäusern und so weiter nicht längst abgelaufen?
Die 3,6 Wege, die wir täglich zurücklegen, sind noch dieselben wie vor der umfassenden Automotorisierung: im wesentlichen lokale und nahregionale. Aber sie sind länger geworden, nicht nur durch größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, auch durch die Konzentration im Einzelhandel.
Die Expansion der exportweltmeisterlichen »Wertschöpfung« in Deutschland findet – bei stagnierenden Realeinkommen der Werktätigen und wachsendem Erwerbsarbeitsmangel – seit Jahren ihre Entsprechung in einer ständigen Expansion der Stoffströme und der Siedlungsflächen, und stetig erhöht sich der Energie- und Materialverbrauch. Da die Energie- und Umweltschutzkosten für die Haushalte unweigerlich steigen werden, wird auch die zwangsmobilisierte Restarbeitnehmerschaft immer mehr in die Zwickmühle geraten. Es sei denn, die Politik gewährte sukzessiv ansteigende Pendlerpauschalen, Tankgutscheine oder ähnliche Hilfen für Normal- und Geringverdiener, und genau das steht zu befürchten. Wenn nicht schleunigst gewerbe- und industriepolitisch die Weichen dafür gestellt werden, daß die Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsstätten sowie Geschäften für den täglichen Bedarf wieder deutlich verkürzt werden, ist die viel beschworene »grüne Wende« nichts als ein leeres Versprechen.
Zudem müssen die öffentlichen Massen- und Fernverkehrssysteme attraktiver und leichter zugänglich werden. (Wo sind eigentlich die Schaffnerinnen und Schaffner – auch in Schulbussen – geblieben, die früher allein durch ihre Anwesenheit für den Schutz von Menschen und Mobiliar gesorgt haben? Sind die allgegenwärtigen, hochgezüchteten Kassier- und Stempelautomaten wirklich so viel kostengünstiger?) Wir brauchen bessere lokale und regionale Angebote. Bund und Länder müssen die Investitionen in den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erheblich erhöhen (auch um die ab 2004 erfolgten drastischen Kürzungen der Regionalisierungsmittel zu korrigieren). Allein der absolut notwendige Nachholbedarf für neue Fahrwege und Bahnhöfe der S-, U- und Straßenbahnen beträgt dem Städtetag zufolge gut 2,4 Milliarden Euro. Die jährlich nötigen Neuinvestitionen erfordern weitere zwei Milliarden Euro. Anders gesagt: Die für die Abwrackprämie verpulverten fünf Milliarden Euro wären in diesem Jahr im ÖNPV entschieden sinnvoller investiert gewesen und hätten viele Arbeitsplätze gesichert. Im Übrigen ständen ohne funktionierende Nahverkehrsmittel die Autos in den Städten ohnehin still. Das durch die profitmaximierende »Börsenbahnpolitik« der Deutschen Bahn verursachte Desaster bei der Berliner S-Bahn zeigt beispielhaft, was in der Verkehrspolitik hierzulande schief läuft.
Wer benötigt eigentlich täglich ein Auto? Auf dem vom öffentlichen Nahverkehr abgekappten Land lebende und arbeitende Menschen sicherlich. Eine reiselustige Person oder Familie, die fernab günstiger Nah- und Fernverkehrsmittel lebende Bekannte besuchen möchte, zuweilen auch. Ein Taxifahrer allemal. Mobile Hilfs- und Rettungsdienste, Ärzte, die Feuerwehr zweifellos. Aber die 19 Millionen Autopendler und die unzähligen zu Shopping- und Freizeitparktouren ins »Grüne« aufbrechende Automobilisten – benötigen sie wirklich ein täglich rund um die Uhr zur Verfügung stehendes, eigenfinanziertes Kraftfahrzeug? Wäre dann die in größeren Dörfern und Kleinstädten mögliche (etwa genossenschaftliche) Einrichtung der in Großstädten, wenn auch zaghaft, etablierten Carsharing-Einrichtungen nicht sinnvoller?
Gut 70 Prozent aller Wege zur Schule, Arbeit und zum Einkaufen könnten in städtischen Regionen mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Das scheitert bis heute allerdings am absoluten Vorrang für den Autoverkehr, den kaum vorhandenen separaten und dadurch sicheren Radspuren und -wegen. In Städten wie Kopenhagen oder hierzulande Münster gibt es ehrgeizige Straßenraum-Umwidmungsprogramme. Da jedoch in den meisten deutschen und europäischen Großstädten noch nicht einmal ein Radanteil von drei Prozent am Gesamtverkehrsaufkommen erreicht wird (in London etwa soll er bis 2025 auf gerade einmal fünf Prozent steigen), wird noch sehr viel bürgerschaftlicher Druck nötig sein, um dem Rad im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Nah- und Regionalverkehrssystem freie Bahn zu schaffen.
Ohne Bewußtsein der Gefahren, die der Menschheit drohen, und ohne Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit denen, die aus gegenwärtigen, nicht mehr zeitgemäßen Strukturen ökonomischen Nutzen ziehen, wird der notwendige ökologische Wandel schwerlich gelingen.
Mit diesen Themen beschäftigt sich Johann-Günther König auch in seinem Buch »Die Autokrise« (s. Ossietzky 13/09).