Eine erfolgreiche DDR-Fernsehserie hieß »Rentner haben niemals Zeit«. Ich fragte damals Herbert Köfer, neben Helga Göring Hauptdarsteller des beliebten Senioren-Spiels, ob das seiner Meinung nach stimme. Soweit ich mich erinnere, antwortete er: »Ja und nein. Rentner haben niemals Zeit, weil alle Leute wissen, daß sie immer Zeit haben und deshalb die Rentner immerzu mit Hilfe- und Dienstleistungen für alle Welt beschäftigen. Das heißt: Rentner müssen sich Zeit nehmen, um in der Familie und Gesellschaft überleben zu können.«
Der Schauspieler, den unzählige Leute in unzähligen Rollen kennen und schätzen lernten, auf Theater- und Kabarett-Bühnen, in Fernseh- und Film-Produktionen, ist selbst schon eine ganze Weile Rentner. Er weiß Bescheid. Er hatte vorher keine Zeit und heute auch nicht. Aber er nimmt sie sich (wer weiß woher) zu unserem Vergnügen. Er hat in Shaws »Androklus und der Löwe« die menschliche Hauptrolle gespielt; er hätte gegebenenfalls auch den Part des Löwen gemeistert, denn Köfer kann recht gut brüllen.
Selbst in der oft geschmähten DDR gab es gewisse Möglichkeiten für alte Männer. Begehrte Industriewaren wurden nach Vorbestellung an entfernten Lagerplätzen zu früher Stunde verkauft. Also mußte man anstehen. Wer sich früh in die Spitze der Warteschlange einreihen konnte, wurde zeitig abgefertigt. Menschen mit Schlangen-Phobie beschäftigten einen rüstigen Rentner als Platzhalter in der Warteschlange. Der Ansteh-Opi, ausgestattet mit Frühstücksbroten, kaffeehaltiger Thermospulle und zusammenklappbarem Hocker hielt für sie honorarpflichtig die Stellung. Kunstfreundliche Senioren verrichteten diesen Dienst in später Nacht vor Konzertkassen, die erst morgens öffneten. Es gab besonders müde alte Männer, die hochbetagt in Ministerräten und ähnlichen Einrichtungen repräsentativ herumsaßen.
Unsere freiheitliche Demokratie beschränkt die Möglichkeiten für alte Männer so gut wie gar nicht. Der Tatendrang bejahrter Homöopathen, Pillendreher, Kammersänger, Lehrmeister der Schnittlauch-Flechtkunst oder Entwöhnungstänzer werden durch keine Altersbegrenzung nach oben in ihrer Entfaltung gehemmt. Jedermann steht es frei, Senator für Erziehung und Schulwesen zu werden, wenn er nur ein kleines bißchen so aussieht wie der alte Pestalozzi mit Bart.
Was mich betrifft, so verspüre ich als alter Mann kaum Langeweile. Ich bin beispielsweise bei Beerdigungen sehr gefragt, weil ich manchmal mit meinem fast schwarzen guten Anzug spazieren gehe, wenn der andere in der Reinigung ist, die aber derzeit insolvent zu sein scheint. Dann ruft mir ein fremder Mensch freundlich zu: »Sie sind aber heute ziemlich spät dran, Herr Pastor! Man hat ja Verständnis für eine kleine Verspätung – bei den zahlreichen Todesfällen. Schönen Abend noch!«
Dann gehe ich schnell zurück in unsere gemütliche kleine Wohnung.
Sehr gemütlich ist sie nicht mehr – wegen der vielen kleinen und großen Kartons, Päckchen und Kisten, die darin aufeinander gestapelt sind.
Wir sind nämlich meistens zu Hause. Täglich kommen Postboten und sonstige Vertreter von Versandfirmen, und die geben sämtliche kleinen und großen Kartons, Päckchen und Kisten bei uns ab, welche sich die anderen Bewohner unseres Hauses, des Quergebäudes und der umliegenden fünf Wohnhäuser, die meistens nicht zu Hause sind, bestellt haben.
Man will doch hilfsbereit sein und dafür sorgen, daß all die unbekannten Menschen, die meistens nicht zu Hause sind, ihre Pakete nicht vom weit entfernten Postamt abholen müssen.
Neulich war eine Schachtel mit Leinölflaschen im Angebot. Aus einer zerbrochenen Flasche rieselte das Leinöl auf unseren Fußboden. Was sollte das Leinöl denn sonst auch machen…
»Damit können Sie prima das Parkett polieren«, empfahl Tante Rita.
Haben wir aber nicht gemacht.
Wir haben gar kein Parkett.
Wir haben bloß Laminat ...