Wer käme auf die Idee, in mehr als 5000 Metern Höhe, in einer im Permafrost erstarrten, extrem trockenen und deshalb menschenleeren Salzwüste einen Flugplatz anzulegen? So verrückt kann niemand sein – außer dem Militär. Die Rede ist von einem indischen Luftwaffenstützpunkt. Und von aggressiver US-amerikanischer Weltmachtpolitik, genauer gesagt: von den konvulsivischen Zuckungen des Imperiums angesichts seines Abstiegs.
Der Ausgangspunkt unserer Betrachtung liegt nahe der Aksai Qin, der »Wüste der weißen Steine« im Himalaja, am östlichsten Punkt des Karakorum, wo China, Indien und Pakistan aneinandergrenzen. Indien sieht da jedoch keine reguläre Grenze, nur eine Demarkationslinie, denn es erhebt Anspruch auf die chinesisch verwaltete Aksai Qin; beide Länder haben 1962 schon Krieg um sie geführt. Auch andere Gebietsnamen an der Alten Seidenstraße stehen für fernöstliche Rivalitäten: Kaschmir ist zwischen Pakistan und Indien umstritten, Ladakh zwischen Indien und China, Xinjiang ebenfalls zwischen China und Indien. Geopolitische Gefahrenzonen wurden sie, weil die USA ihr Bündnis mit Pakistan lockerten und sich verstärkt Indien zuwandten. Washington setzt damit den Hauptkonkurrenten China unter Druck und auch dessen Nachbarn Rußland.
Blicken wir aber zunächst noch weiter nach Osten, zur chinesischen Pazifikküste. Der bisher treueste US-Vasall in Fernost, die Republik China (Taiwan), vollzieht gerade einen politischen Kurswechsel. In Taipei ist ein neuer Präsident im Amt, Ma Ying-jeou, zugleich Chef einer alten Partei, der Kuomintang. Von deren Antikommunismus und Alleinvertretungsanspruch für ganz China hat sich Ma gelöst. Der Staatsgerichtshof hat das seit fast 60 Jahren auf Taiwan geltende Verbot der KP für undemokratisch und deshalb verfassungswidrig erklärt. Die KP ist damit wieder zugelassen – eine Sensation, über die unsere Konzernmedien lieber schweigen (in Deutschland gilt immer noch das KPD-Verbot von 1956). In nur vier Wochen hat Ma die beiderseitige Einrichtung von Verbindungsbüros mit Peking aushandeln lassen (die, wie einst im Falle BRD/DDR, »Vertretung« und nicht »Botschaft« heißen), und schon hat er auch direkten Personen- und Güterverkehr ermöglicht sowie Post- und Fernmeldeverbindungen herstellen lassen.
Vorbei die Zeit, da Taipei damit drohte, die faktische Unabhängigkeit der Inselrepublik mit einer formalen Unabhängigkeitserklärung zu besiegeln. Die Entspannungspolitik schließt sogar das Militär ein: Zum ersten Mal reduzierte Taiwan den Umfang seiner jährlichen Manöver – in aller Stille, aber erheblich. Indem Taipei engere Kontakte zu Peking knüpft, kann es zugleich seine Abhängigkeit von der »Schutzmacht« USA verringern. Die plumpe amerikanische Politik der Einkreisung des multiethnischen chinesischen Milliardenvolkes steht plötzlich vor einem Stolperstein.
Westlich und südwestlich der chinesischen Grenze sieht sich Washington noch dringender gefordert. So in Pakistan: Präsident Pervez Musharraf, einst Schlüsselfigur für die US-Außenpolitik in Fernost, büßte bei Parlamentswahlen seine Regierungsmacht ein. Und es mehren sich die US-amerikanischen Anschuldigungen gegen Pakistan, mehr Taliban- und Al Qaida-Kämpfer zu verstecken als im »Krieg gegen den Terrorismus« zu töten. US-Truppen stoßen von Afghanistan immer häufiger und tiefer in pakistanisches Gebiet vor, die Bombenangriffe von US- und NATO-Luftwaffenverbänden nehmen zu. Die Verletzung pakistanischer Hoheitsrechte und die wachsende Zahl getöteter Zivilisten entlarven das ungleiche Bündnis.
Mehr versprechen sich die US-Strategen von ihrem Flirt mit Indien, der im August vorigen Jahres sogar zur Unterzeichnung eines Atompakts führte. Indiens konservative Regierung hat es bisher nicht gewagt, diesen brisanten Pakt vom Parlament ratifizieren zu lassen. Er stößt auf heftigen Widerspruch der gesamten linken Opposition und könnte sogar zu vorzeitigen Neuwahlen und zum Sturz der Regierung führen. Daß Washington bei seiner Anti-China-Strategie auf weitere Unruhen in Tibet setzt, findet ebenfalls keine ungeteilte Zustimmung in Indien.
Zurück zur Aksai Qin. Acht Kilometer südlich der chinesischen Demarkationslinie, im indischen Bezirk Ladakh, liegt Daulat Beg Oldi, eine Wüstenei, die nur deshalb einen Namen hat, weil dort vor fast 50 Jahren eine Landepiste planiert worden war, von der aus die indische Luftwaffe Angriffe auf chinesische Stellungen flog. Nach dem Kriegsende 1962 verkamen die Anlagen. Niemand lebt dort, niemand nutzt sie. Seit ein Erdbeben Teile der Landebahn zerstört hatte, setzten höchstens noch Hubschrauber der Grenzpatrouille auf. Ein alter, grenzüberquerender Handelsweg nahebei ist seit Menschengedenken geschlossen.
Dauerbewohner sah Daulat Beg Oldi erst, als vor gut einem Jahr der Bau eines modernen Militärflugplatzes begann. Erstmals seit 43 Jahren starten und landen dort nun wieder Kampfflugzeuge. Indien hat seine Militärpräsenz in der gesamten Grenzregion verstärkt; kostspielige Straßenverbindungen sind im Bau. Solcher Druck auf Peking ist Neu Delhis Dank an Washington für den Nuklearvertrag. Der gewährt Indien, obwohl es den Atomwaffen-Sperrvertrag nicht unterzeichnet hat, großzügige Lieferungen von Nukleartechnologie und Spaltmaterial. Neu Delhi mußte sich zwar verpflichten, etwa die Hälfte seiner Atomwirtschaft von der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) überwachen zu lassen, aber eben nur eine Hälfte. Die andere kann ungehindert das Militär beliefern.
Läßt sich die Atommacht Indien von den USA weiter gegen die Atommacht China einspannen, bleibt Washington unterm Strich ein geostrategisches Plus, auch wenn die Atommacht Pakistan vom Freund zum Opfer oder gar zum Gegner wird. Die USA versuchen, die traditionellen Gegensätze zwischen Indien und Pakistan derart zu schüren, daß sie Chinas Sicherheit gefährden. Das Imperium spielt mit drei Atommächten »teile und herrsche« – bei Gefahr eines Atomkriegs.