CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger nennt Baden-Württemberg »Kinderland Nummer 1«, verweigert aber wegen der Kosten einigen tausend ausgebildeten Lehrern Arbeitsplätze und fordert gleichzeitig Steuersenkungen für Unternehmer und Reiche. Gemessen an der Bevölkerungszahl hat Baden-Württemberg die wenigsten Kinderbetreuungsplätze. Dennoch verkündet Oettinger ungerührt in aller Öffentlichkeit: »Kinderbetreuung, Erziehung und Bildung stehen weiter im Mittelpunkt der Landespolitik. Wir arbeiten, bauen und gestalten für unsere Kinder und Enkel.« Aber sobald es konkret wird, sieht alles ganz anders aus; dann fehlt plötzlich das Geld.
An Ganztagsschulen und in Kindergärten kostet zur Zeit das Mittagessen 3 bis 3.50 Euro. Hartz-IV-Enpfänger erhalten pro Kind am Tag 2.57 Euro. Also ist es an vielen Bildungsstätten gang und gebe, daß ein Teil der Kinder ein warmes Mittagessen erhält, während die Armen daneben stehen trocken Brot knabbern. Einige Städte wie Tübingen, Rottweil und Freiburg haben nun Geld der Stadtkasse locker gemacht, damit das Mittagessen nur noch einen Euro kostet – im Vertrauen auf eine Zusage des Regierungschefs, das Land werde sich beteiligen. Doch die Regierungsmehrheit aus Union und FDP lehnte ab. Was blieb, war ein Lob des »Landesvaters« für die Gemeinden, verbunden mit dem Hinweis, der Staat sei leider zur Sparsamkeit verpflichtet. Das gelte auch für die Errichtung von Ganztagsschulen. Jedes Gymnasium könne zur Ganztagsschule umgewandelt werden. Aber zahlen müsse die jeweilige Kommune.
Die Zwei-Klassen-Gesellschaft wird schon in der Schule verfestigt. Hör-CDs für den Fremdsprachenunterricht, Taschenrechner und Atlanten müssen von den Eltern gekauft werden, die auch für Landheimaufenthalte, Theater- und Konzertbesuche zu zahlen haben, ganz zu schweigen von Nachhilfe-Unterricht. Mit vielen Betroffenen beklagt die Vorsitzende des Landeselternbeirats, Christiane Staab, daß es keine Lernmittelfreiheit gibt, die die Eltern entlasten und den Kindern aus einkommensschwachen Familien gleichen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten öffnen würde.
Es ist die eindeutige Unwahrheit, wenn Oettinger Baden-Württemberg Deutschlands »Kinderland Nummer 1« nennt. Das wurde ihm dieser Tage sogar von seinem Statistischen Landesamt bestätigt. Zum Sommeranfang legte es folgende Zahlen vor: 313.000 Kinder wachsen hier in finanziell problematischen Verhältnissen auf, das sind 17 Prozent aller Minderjährigen. Damit liegt der Anteil der von Armut bedrohten Kinder um ein Prozent über dem Bundesdurchschnitt. »Betreuungsangebote« gibt es für 33.000 Kinder unter drei Jahren; das sind nicht einmal 14 Prozent. Zwar weist die Union darauf hin, daß im Südwesten die Einkommen höher sind als in Ostdeutschland, aber sie und ihr Koalitionspartner FDP verschweigen, daß auch die Lebenshaltungskosten im Südwesten höher sind. Armutsgefährdet sind vor allem die Kinder alleinerziehender Mütter. Im Südwesten sind es 45, bundesweit 35 Prozent. Auch das Statistische Landesamt spricht ohne diplomatische Floskeln vom Mangel an Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorten und beklagt »das Ausmaß der Kinderarmut, wie es in Südwestdeutschland üblich ist«.