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Juan Carlos wirft den Bettel hin  (Karl-H. Walloch)

Seit dem 2. Juni beschäftigt die 46 Millionen Spanier scheinbar nur ein Thema: der Rücktritt ihres 76jährigen Monarchen Juan Carlos Alfonso Victor María de Borbón y Borbón-Dos-Sicillas. Als Juan Carlos geboren wurde, tobte in Spanien bereits seit dem 17. Juli 1936 ein Bürgerkrieg. Der Putschgeneral Francisco Franco und seine konservativen Mitstreiter kämpften mit Unterstützung von Nazi-Deutschland und Duce-Italien gegen die im Februar 1936 demokratisch gewählte Regierung. Wie der Bürgerkrieg ausging, ist bekannt. Sieger Franco führte bis zu seinem Tod am 20. November 1975 mit Hilfe des katholischen Klerus ein brutales faschistisches Regime.

Bereits 1947 war von Franco für die eigene Nachfolge die Wiedereinführung der Monarchie ersonnen von worden, da er selber keine männlichen Nachkommen hatte. 1961 soll er Otto von Habsburg als seinen Nachfolger vorgeschlagen haben. Mit der Begründung, er sei kein Usurpator, lehnte der Habsburger ab. Schließlich bestimmte Franco den Enkel Alfons den XIII., Juan Carlos, zu seinem Nachfolger. Nach dem Tode des Diktators kam es entsprechend zur Restauration der Monarchie in Spanien.

Am 22. November 1975 sprach Juan Carlos vor dem von Generalissimus Franco bestimmten Cortes die Schwurformel: »Ich schwöre bei Gott und auf die heiligen Evangelien, die Gesetze Spaniens und Treue zu den Prinzipien der Nationalen Bewegung zu halten.« Diese Zeilen fehlten heute in der Sendung des spanischen Fernsehens über Juan Carlos königlichen Eid vor 39 Jahren. Juan Carlos konnte nicht auf die Verfassung schwören, sie wurde erst 1978 beschlossen.

Die spanischen Zeitungen von El País, El Mundo bis zur monarchistischen ABC zeigen ihre Freude über den Wechsel und nehmen den Rücktritt kritiklos hin. Im den Jubelchor reihen sich auch die Tageszeitungen hierzulande ein: Welt, Süddeutsche Zeitung, FAZ. Die Konservative Neue Zürcher Zeitung aus der republikanischen Schweiz titelte den Rücktritt mit »Schöpfer des neuen Spanien – Juan Carlos hat in schwieriger Zeit das Richtige getan.« Und weiter heißt es in dem Blatt: »Das zeigte sich 1981, als er mit seiner Fernsehrede gegen putschende Offiziere auftrat und als Oberbefehlshaber dafür sorgte, daß sie in die Kasernen zurückkehrten.«

Der Putsch vom 23. Februar 1981 – in Spanien umgangssprachlich mit »23-F« als Datum oder auch mit »El Tejerazo« nach einem der Hauptbeteiligten benannt – war der Versuch der Guardia Civil, gemeinsam mit dem Militär der Demokratie im Lande das Licht auszublasen. Der Oberstleutnant Antonio Tejero stürmte an diesem Tag um 18.23 Uhr begleitet von einer mit Maschinenpistolen bewaffneten Hundertschaft der Guardia Civil den Cortes. Das Parlament wählte zu diesem Zeitpunkt gerade einen neuen Ministerpräsidenten. Nach dem Rücktritt von Adolfo Suárez sollte es nun Leopoldo Calvo-Sotelo werden. Ein Schrei erschütterte den Plenarsaal: »Alle Mann auf den Boden, auf den Boden – verdammt!« Antonio Tejero hatte sich des Rednerpults bemächtigt, mit einer Pistole in der rechten Hand. Dieses Foto ging um die Welt. Nach der Erstürmung des Parlaments verkündete der Befehlshaber der III. Militärregion (Valencia), General Milans del Bosch, über den Rundfunk den Ausnahmezustand.

Kurz nach 19.40 Uhr wurden im Cortes in Madrid nacheinander der Noch-Ministerpräsident Adolfo Suárez, Oppositionsführer der PSOE Felipe González und der Vizegeneralsekretär seiner Partei Alfonso Guerra, der Vizeministerpräsident Manuel Gutiérrez Mellado, Verteidigungsminister Agustin Rodriguez Sahagun und der Generalsekretär der CPE Santiago Carrillo von den Putschisten aus dem Plenarsaal geführt.

Minuten später besetzten etwa 40 Soldaten unter Befehl eines Hauptmanns die Sendezentrale von Radiotelevisión Española (RTVE). Sie verfügten, daß das Fernsehprogramm ohne Nachrichtensendungen fortzusetzen sei. Auf ihre Anordnung mußte Radio Nacional de España Militärmärsche spielen. Nach 90 Minuten verließen die Soldaten den Sender. Radio und Fernsehen konnten nun ihre militärische Besetzung bekanntgeben und über den Putsch in Madrid berichten.

Nach Stunden der Ungewißheit brachte die Fernsehansprache von Juan Carlos am 24. Februar um 1.14 Uhr Klarheit. Der König – in der Uniform des Oberbefehlshabers – verurteilte den Putsch von Militär und Guardia Civil. Historiker werden noch aufklären müssen, wer zu den Hintermännern des Putsches gehörte. Dreißig Putschisten wurden 1982 in Gerichtsverfahren zu Haftstrafen zwischen einem und 30 Jahren verurteilt. Keiner der Verurteilten sitzt heute noch im Gefängnis. Der Anführer im Cortes, Antonio Tejero, kam 1996 nach 14 Jahren frei. Der Mann lebt heute zurückgezogen an der Costa del Sol und züchtet Avocados. General Milans del Bosch starb 1997.

Vor wenigen Monaten kam die Erinnerung an den Putsch von 1981 wieder hoch: Am 23. Februar 2014 veranstaltete der Sohn des Putschisten Antonio Tejero, Antonio Tejero Díez – er ist Oberstleutnant bei der Guardia Civil –, zu Ehren seines Vaters und des 23-F-Putsches ein Paella-Essen in der Kasernenkantine (s. Ossietzky 8/14). Auch Mitverschwörer von damals kamen. Als nach einem Monat das »Ehren-Essen« bekannt wurde, verfügte der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz die sofortige Entlassung des Tejero-Sohnes, weil dieser versäumt habe, seine Vorgesetzten um Erlaubnis für die Veranstaltung zu bitten.

Bis heute ist der Übergang von der Diktatur zur parlamentarischen Monarchie in Spanien nicht gelöst und der Franquismus nicht aufgearbeitet. Die Ankündigung des Rücktritts von Juan Carlos ist auch ein Versuch, den Mythos vom demokratischen König aufrechtzuhalten, der seit Jahren bröckelt. In seinen letzten Tagen als spanischer König lobte Juan Carlos die Unternehmer als Motor für Arbeitsplätze und Wohlstand, was nicht immer von der Öffentlichkeit erkannt werde. Ein Hohn angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage und Millionen junger und älterer Arbeitsloser im Lande.

Das spanische Parlament drückt beim Thronwechsel aufs Tempo. Die bürgerliche Partido Popular (PP) und die Partido Socialista Obrero Español (POSE) sind sich einig und wollen die Monarchie erhalten. Es gibt bereits ein Gesetz, das den Thronverzicht von Juan Carlos zugunsten seines Sohnes Felipe rechtlich wirksam macht.

Auf der Webseite von Republicano, einem Blog der für eine Republik eintritt, heißt es in einem Beitrag »Die PSOE verrät die Republik und unterstützt die Investitur von Felipe als König …« Und an anderer Stelle steht: »Die PSOE klammert sich an den Verfassungskonsens, der vor knapp 36 Jahren erreicht wurde und sich seit dem nicht mehr bewegt hat.«

Anders die Vereinigte Linke (IU), die ein Referendum über das spanische Staatsoberhaupt fordert. Hierzu verständigten sich in Madrid Vertreter von IU, Aragonese, Iniciativa per Catalunya-Verds (Katalanische Grüne), Equo, Compromís, von der Linken Sozialistischen Alternative, der Antikapitalistischen Linken und den Grünen. In einer politisch wie wirtschaftlich und sozial so schwierigen Zeit wie heute könne man dem Volk keinen neuen König vorsetzen, ohne das Volk nach seiner Meinung zu fragen, heißt es in einer Erklärung, in der die unterzeichnenden Parteien die Regierung daran erinnern, daß 70 Prozent der heutigen Bevölkerung 1978 zu jung waren, um bei der Verabschiedung der spanischen Verfassung für oder gegen die parlamentarische Monarchie als Staatsform zu stimmen.

Die bei der Europawahl erfolgreiche Gruppierung »Podemos« (»Wir können«) gehört nicht zu den Mitunterzeichnern. Sie begründete dies mit der Forderung, daß nicht Parteien, sondern die Bürgerbewegung sich für die Abhaltung eines Referendums einsetzen sollte. In der »Erklärung von Ateneo Madrid« rufen die Parteien alle Bürger auf, massiv an Protesten gegen die Thronbesteigung des spanischen Prinzen Felipe teilzunehmen, um ein Zeichen gegen die pro-monarchistischen Großparteien, die regierenden Konservativen (PP) und die sozialisti-sche Oppositionspartei (PSOE) sowie kleine Zentrums- und Regionalparteien im Parlament zu setzen, die für die Ernennung von Felipe zum neuen spanischen König stimmen.

Nicht die Abdankung von Juan Carlos offenbart Spaniens Zerrissenheit – es ist der nicht aufgearbeitete Franquismus, der wie ein Schatten über Spanien liegt.