Im Mai schreckten E.on, RWE und EnBW die Öffentlichkeit mit ihren Plänen für eine Atomstiftung auf. Die Energiekonzerne wollen ihre Atomkraftwerke an den Staat abtreten und gleichzeitig das Atommüllrisiko in eine »Bad Bank« einbringen.
Die ablehnende Reaktion aus verschiedenen Lagern der Politik folgte umgehend und heftig. Umweltverbände, Anti-AKW-Initiativen wie Grünen-Politiker verwarfen den Vorschlag, sie wollen die Konzerne bei der Atommüllentsorgung nicht aus der finanziellen Verantwortung entlassen. BUND-Chef Hubert Weiger: »Die Gewinne aus der Atomkraft wurden privatisiert, die Nachfolgekosten dürfen jetzt nicht sozialisiert werden.«
Widerspruch ernteten die Konzerne auch bei der Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erinnerte die Energiekonzerne an deren alleinige Verantwortung bei der Abwicklung der Atomenergie und der atomaren Endlagerung. Gegenüber den Kieler Nachrichten sagte die Regierungschefin: »Die Unternehmen haben für die Folgekosten Rückstellungen für ihre Bilanzen gebildet. Nach diesem Grundsatz sieht die Bundesregierung die Verantwortung und die Risiken bei den Unternehmen.« Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erklärte ebenfalls, »die uneingeschränkte Verantwortung« für den geordneten Rückzug der deutschen Atomindustrie liege bei den Stromkonzernen, und verwarf den Vorschlag.
Ausgeblendet wird bei all der Ablehnung, daß der Vorschlag der Industrie aus zwei Gründen ein vergiftetes Angebot ist: Die unüberschaubaren finanziellen Risiken der Atommüllentsorgung würden vollständig auf den Staat abgewälzt, und die Neigung, mit dem laufenden AKW-Betrieb in staatlicher Verantwortung auch das Geld für die Entsorgung zu erwirtschaften, könnte dazu führen, die Atomkraftwerke über das Abschaltjahr 2022 hinaus zu betreiben: in staatlicher Verantwortung.
36 Milliarden Euro haben die Atomstromproduzenten für die nukleare Entsorgung bisher angesammelt. 2022 soll es soweit sein. Elf Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima gehen mit Neckarwestheim II, Isar II und Emsland die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz. Beginnt dann umgehend der Rückbau oder setzen die Energiekonzerne auf den »sicheren Einschluß«, bei dem die AKW für mehrere Jahrzehnte versiegelt und stillgelegt werden, damit die Radioaktivität vor dem Rückbau abklingen kann? Schon jetzt ist klar, daß ein Endlager für hochradioaktive Abfälle nicht vor 2050 den Betrieb aufnehmen wird und sich der Ausbau von Schacht Konrad bei Salzgitter, in dem schwach- und mittelaktive Abfälle eingelagert werden sollen, weiter verzögert und verteuert. Statt – wie ursprünglich geplant – dort im Jahr 2013 mit der Einlagerung von Atommüll begonnen zu haben, wird jetzt davon ausgegangen, daß sie nicht vor dem Jahr 2022 stattfinden wird. Und die Kosten explodieren: Auf 900 Millionen Euro wurde der Ausbau ursprünglich taxiert, jetzt ist die Rede von 3,1 Milliarden Euro. In der Zwischenzeit müssen neue Zwischenlagerkapazitäten geschaffen werden, und bestehende Zwischenlager werden zu Dauerlagern mit unabsehbaren Risiken.
Der vierte Atomstromproduzent in Deutschland, der schwedische Energiekonzern Vattenfall, hat sich schon eine Sonderposition verschafft. Die Haftung für den Rückbau von Atomanlagen wird nicht mehr vom schwedischen Mutterkonzern übernommen. Das Unternehmen bestätigte gegenüber dem Handelsblatt, daß im Jahr 2012 die Haftung für die deutschen Atomlasten nur noch »bis zur obersten deutschen Konzerngesellschaft« gehe. Bis April 2022 ist zwar noch gesichert, daß die Atomkonzerne mittels »Patronatserklärungen« für ihre Töchter haften. Sie resultieren noch aus dem Atomkonsens aus dem Jahr 2000. Doch in acht Jahren können die Konzernmütter diese Verpflichtungen aufkündigen.
Die bisherige Rückstellungspraxis muß zügig beendet werden, zumindest diesen Impetus von E.on, RWE und ENBW muß die Politik aufgreifen. Nach der allgemein vorherrschenden Auffassung gibt es einen handels- und aktienrechtlichen Zwang zur Bildung von »Rückstellungen«, Rechtsgrundlage dafür ist der Paragraph 249 des Handelsgesetzbuchs. Darin werden absehbare und erkennbare finanzielle Belastungen eines Vermögens erfaßt, deren genaue Höhe und Fälligkeit jedoch nicht absehbar ist. Kombiniert mit den entsprechenden Paragraphen des Atomgesetzes, in denen die Atomkraftwerksbetreiber als Abfallverursacher zur Kasse gebeten werden, weisen diese in ihren Bilanzen die Rückstellungs-Milliarden aus. Der Trick: Es handelt sich nicht um eine Spareinlage oder »Cash-Flow«, sondern um einen Bilanzierungsvorgang, der in der Vergangenheit zu großen Wettbewerbsverzerrungen führte, weil er eine Innenfinanzierung nicht ausschloß.
Das Geld wurde zum Beispiel in den Aufkauf von Stadtwerken, Müllverbrennungsanlagen oder für die Beteiligung an Telekommunikationsunternehmen angelegt. Deshalb hatten die Konzerne auch eher ein Interesse, eine relativ hohe Summe auszuweisen und an der Atomkraft festzuhalten. Mit dem absehbaren Ende der Atomkraftnutzung 2022 ändert sich aber die Lage. Die abgeschriebenen Atomkraftwerke, die »Gelddruckmaschinen«, gehen vom Netz und die Kostenlawine für den Rückbau der Atomanlagen folgt.
Bei der vieldiskutierten öffentlich-rechtlichen Fondslösung wäre zumindest gesichert, daß die von den Stromkunden mitbezahlten Stillegungs- und Entsorgungsmilliarden sicher angelegt sind und eine weitere Zweckentfremdung der Gelder ausgeschlossen würde, die zum Beispiel bei einer Insolvenz dazu führen kann, daß die Stromkunden als Steuerzahler am Ende ein zweites Mal zur Kasse gebeten werden. Die »Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit« (GRS) geht von volkswirtschaftlichen Gesamtkosten von ungefähr 50 Milliarden für die Stillegung der Atomanlagen aus. Die Kosten für die Suche, den Bau und Betrieb eines Endlagers kämen noch hinzu. Tatsächlich haben die vier Atomstromproduzenten sich in der Vergangenheit gekonnt aus der Verantwortung gestohlen, denn es wurden über die Endlagervorausleistungsverordnung nur Beiträge für den Ausbau des Schachts Konrad und des sogenannten Erkundungsbergwerks Gorleben erhoben, mit 2,6 Milliarden Euro (Stand 31.12.13) eine vergleichsweise geringe Summe gemessen an den zehn Milliarden Euro insgesamt – denn die »Sanierung« der havarierten Endlager Morsleben und Asse II wurde auf die Steuerzahler abgewälzt: Morsleben gehört seit der Wende dem Bund, und die Asse II galt als Forschungsanlage.
Der BUND kann sich vorstellen, daß es eine Federführung des Staates bei Rückbau und Endlagerung gibt, wenn die Konzerne alle Atomkraftwerke bis 2017 abschalten, alle Rückstellungen plus 15 Milliarden »Risikozuschlag« überweisen, alle Schadenersatzklagen fallenlassen und »in unbegrenzter Höhe« für die Folgekosten hafteten, erklärte Hubert Weiger.
Man kann es also nicht oft genug wiederholen: Die bisherige Rückstellungspraxis muß zügig beendet werden, alle vier Atomstromproduzenten sind in die Pflicht nehmen.