Dekarbonisierung – was Umweltaktivisten seit langem fordern, ist jetzt auch auf die Agenda der Politik gekommen. Bis zum Ende des Jahrhunderts, so wurde auf dem G7-Gipfel in Elmau beschlossen, soll sie erreicht sein: die vollständige Abkehr von der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl. Bis zum Ende des Jahrhunderts? Längst hat die Klimaforschung uns vorgerechnet, daß uns nur wenige Jahre Zeit bleiben für drastische Entscheidungen, wenn das Ziel, die fortschreitende Erderwärmung wenigstens auf zwei Grad zu begrenzen, die heraufziehende Katastrophe also halbwegs beherrschbar zu halten, nicht zur Illusion werden soll.
Ein Großteil der schon bekannten, konventionell erschließbaren Öl-, Gas- und Kohlevorräte im Wert von geschätzten zehn Billionen Dollar müßte dafür im Boden bleiben. Statt diesem rettenden Rat zu folgen – Ecuador hat es versucht und wurde von der »internationalen Gemeinschaft« schändlich im Stich gelassen –, werden riesige Summen investiert in die hochriskante und besonders klimaschädigende Erschließung zusätzlicher Fossilbrennstoffe wie Schiefergasgewinnung durch Fracking, Ölgewinnung aus Teersand und Ölbohrungen in der Tiefsee und in der Arktis. Selbst Deutschland, Vorreiter beim Atomausstieg und in der Umorientierung auf erneuerbare Energien, will sich für das Fracking zumindest ein Hintertürchen offenhalten und schafft es nicht, auf die hochgradig umweltschädliche Braunkohleverstromung zu verzichten.
Sind wir alle verrückt geworden? Der Wahnsinn hat Methode. Nicht ohne Grund wenden die großen Energiekonzerne gewaltige Summen auf, um die Sekte der Klima-Skeptiker zu päppeln, Politiker zu schmieren, Einfluß auf Forschungseinrichtungen zu gewinnen und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Ihre Investitionen in Fracking und dergleichen, getätigt in der Erwartung von Langzeitprofiten, sind eine Wette darauf, daß die Politik untätig oder willfährig bleibt. Die Klimakrise wird angeheizt durch die Macht des Kapitals. Bei einem Prozent der Weltbevölkerung hat sich gut die Hälfte des weltweiten Vermögens angesammelt. Würde dieser Ausbeutungsgewinn abgeschöpft – durch Finanztransaktionssteuer, Vermögensteuer, CO2-Steuer, Trockenlegung der Steuerparadiese und so weiter –, so wäre locker das Geld beisammen, das nötig wäre für die rasche globale Umorientierung der Energiegewinnung auf erneuerbare Energien. Aber dieses Vermögen wird nicht abgeschöpft, sondern geht in die Spekulation und heizt die unkontrollierten, krisenproduzierenden Finanzmärkte an. Allein die Austrocknung der Steueroasen würde viel bringen. Die Beihilfe Luxemburgs zur Steuerhinterziehung von Unternehmen und das Steuerdumping von Ländern wie Irland oder der Slowakei haben die EU-Länder mehr gekostet als alle Hilfszahlungen für Griechenland. Aber man zeigt lieber mit dem Finger auf den verstockten Herrn Tsipras als auf den noblen Herrn Juncker, der für die luxemburgischen Steuerdeals als Finanzminister und Ministerpräsident entscheidend mitverantwortlich war.
Der Zusammenhang zwischen Klimakrise und Kapitalismus wird unübersehbar. Daß darin sogar Hoffnung liegen könnte, meint Naomi Klein (»Die Entscheidung – Kapitalismus versus Klima«). Denn das Ausmaß der Bedrohung könne die Energien mobilisieren, um den Kapitalismus zu überwinden und die Ungerechtigkeit in der Welt zu entschärfen. Einen Bündnispartner hat sie jetzt in Papst Franziskus. Der hat in seiner neuen Enzyklika nicht nur zum Umdenken aufgerufen, damit die Erde nicht zur Müllhalde wird. Er hat auch klar gesagt, daß die Umweltkatastrophe das Ergebnis der Ausbeutung der Armen durch die Reichen ist. Papst Franziskus war es ja auch, der aussprach, was kein Politiker zu sagen wagt: »Dieses Wirtschaftssystem« – gemeint ist der Kapitalismus – »tötet«. Das Töten funktioniert, weil es Täter und Mittäter gibt und viele Opfer, die sich erstaunlich viel gefallen lassen.