Der 8-Stunden-Tag ist eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung. Vor fast 200 Jahren durch den frühen Sozialisten Robert Owen erstmals laut erhoben, durch die britische und amerikanische Gewerkschaftsbewegung vorangetrieben, wurde er in Deutschland vor fast 100 Jahren zum seither gültigen Gesetz. Dazwischen lagen kleine Erfolge und blutige Niederlagen. Der Streik von 90.000 Arbeiterinnen und Arbeitern für den 8-Stunden-Tag am 1. Mai 1886 in Chicago endete mit einem Massaker auf dem Haymarket. Seither steht der 1. Mai nicht nur für die Internationalität der Forderungen der Gewerkschaften, sondern eben auch für die Verkürzung der Zeit für Lohnarbeit.
In Deutschland hat der Rat der Volksbeauftragten als eine der ersten Maßnahmen der Novemberrevolution 1918 eine Arbeitszeitordnung erlassen, in der der 8-Stunden-Tag zum Gesetz erhoben wurde. Gemeint ist damit eine Arbeitszeit (ohne Anrechnung der Pausen- und der Wegezeit) von 8 Stunden an sechs Werktagen von Montag bis Samstag. Bis heute ist im deutschen Arbeitszeitgesetz diese 48-Stunden-Woche festgeschrieben, während zum Beispiel in Frankreich die 35-Stunden-Woche als gesetzliche Grenze festgelegt wurde. Dem Gesetz von 1918 folgten viele Versuche der Arbeitgeber, die Arbeitszeit wieder zu verlängern – am erfolgreichsten in der Rüstungsproduktion der NS-Zeit mit bis zu 70 Stunden pro Woche. Der Beschluß der Konvention Nr. 47 der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO) vom April 1935 zur Umsetzung der allgemeinen 40-Stunden-Woche wurde so von der Kriegsmaschine niedergewalzt.
Als ein Ausdruck der relativen Stärke der Gewerkschaften und der Systemkonkurrenz im Kalten Krieg wurde in den 1960er Jahren die 40-Stunden-Woche und in den 1990er Jahren partiell die 35-Stunden-Woche eingeführt – allerdings nie auf gesetzlicher Basis, immer nur auf tariflicher Basis als Vertrag zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ändern sich die Kräfteverhältnisse, kann jederzeit ein Rückfall in die 48-Stunden-Woche erfolgen, erweitert noch durch die mögliche Ausdehnung auf den 10-Stunden-Tag.
Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß ArbeitnehmerInnen in Deutschland jährlich etwa zwei Milliarden Überstunden leisten, davon die Hälfte ohne zusätzliche Vergütung. So liegt die tatsächliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten deutlich über 40 Stunden pro Woche. Ausgedehnte Nacht- und Wochenendarbeit verstärken den Druck, die physische und psychische Belastung durch lange Arbeitszeiten.
Alles hat seine Zeit! Bevor das Gesetz zum 8-Stunden-Tag hundert Jahre alt wird, sollte es auch in Deutschland zu Grabe getragen werden – es hat seine Schuldigkeit getan. Eine fröhliche Beerdigung des 8-Stunden-Tages und der 48-Stunden-Woche vor dem Bundestag, wenn dieser auf Antrag der Linken und mit Stimmen aller gewerkschaftlich organisierten Bundestagsabgeordneten ein neues Arbeitszeitgesetz beschließt: Die tägliche durchschnittliche Arbeitszeit wird auf sechs Stunden, die wöchentliche durchschnittliche Arbeitszeit auf 35 Stunden gesetzlich begrenzt; die Gewerkschaften können aufgrund der annähernden Vollbeschäftigung einen vollen Lohnausgleich durchsetzen. Viele Menschen, die unfreiwillig Teilzeit arbeiten, können ihre Arbeitszeit verlängern; niemand muß sich mehr krank oder gar zu Tode schuften.
Als Mitte der 1990er Jahre als Reaktion auf die Krise bei Volkswagen in Wolfsburg die 30-Stunden-Woche beziehungsweise die 4-Tage-Woche umgesetzt wurde, lebten die Menschen und lebte die ganze Stadt auf. Väter und Mütter hatten mehr Zeit für sich und ihre Kinder, Sport- und Gesangsvereine erblühten wieder, die Straßen, Plätze und Cafés belebten sich, selbst die Büchereien erlebten einen Aufschwung. Mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen, mehr Zeit für Muße, für Bildung, für Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben – das war und bleibt Ziel der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung. Der bevorstehende hundertste »Geburtstag« des 8-Stunden-Tages ist ein guter Anlaß, den nächsten großen Schritt einzuleiten. Dem 8-Stunden-Tag werden wir dann nicht nachtrauern, sondern ihn als Schritt auf dem Weg zu einer menschlichen Gesellschaft in Erinnerung behalten.