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Der Krieg im Jemen – Imperialer Wahnsinn  (Joachim Guilliard)

Als die meist »Huthi« genannten, jemenitischen Ansarollah-Milizen und ihre Verbündeten im März dieses Jahres unaufhaltsam auf Aden vorrückten, wo der gestürzte Interimspräsident Abed Rabbo Mansur Hadi eine Gegenregierung ausgerufen hatte, griff Saudi-Arabien mit Rückendeckung aus Washington direkt militärisch in die Machtkämpfe im Jemen ein. Seit dem 26. März bombardiert die saudische Armee das Nachbarland zu Wasser, zu Land und aus der Luft. Dem saudischen Herrscherhaus ist es gelungen, dafür eine Kriegsallianz aus den übrigen reaktionären arabischen Monarchien sowie Ägypten, Sudan und die Türkei hinter sich zu bringen. Auch die USA leisten militärische Unterstützung.


Alle bisherigen Bemühungen der UNO um einen Waffenstillstand und Verhandlungen ‒ zuletzt Mitte Juni in Genf ‒ scheiterten an der kompromißlosen Haltung der Saudis, die auf dem Rückzug der Huthis aus den Städten und der Anerkennung Hadis als Staatsoberhaupt, das heißt faktisch ihrer Kapitulation, als Vorbedingung beharren.


Die Luftangriffe forderten schon in den ersten Tagen Hunderte ziviler Opfer. Allein bei der Bombardierung eines Flüchtlingslagers wurden 45 Menschen getötet. Dennoch stellte sich auch die deutsche Regierung hinter die eindeutig völkerrechtswidrige ‒ teils mit deutschen Waffen geführte ‒ Aggression. Obwohl der UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten im Jemen die Angriffe als Verstoß gegen das internationale humanitäre Völkerrecht verurteilte, stellte sich der UN-Sicherheitsrat durch ein einseitiges Waffenembargo für die Huthis und ihre Verbündeten faktisch hinter die Intervention. Nach dem Irak, Syrien und Libyen wurde so der Jemen zum vierten offenen Kriegsschauplatz in der arabischen Welt.


Schon vor den zerstörerischen Bombardierungen war das Land das ärmste im Nahen Osten. Nun haben nach UN-Angaben zwanzig Millionen Menschen – fast 80 Prozent der Bevölkerung – infolge des Krieges und der von Saudi-Arabien verhängten Blockade keinen Zugang mehr zu ausreichender Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Das Land steht unmittelbar vor einer humanitären Katastrophe.


Offiziell richtet sich der Krieg gegen einen vom schiitischen Iran gesteuerten Putsch seiner angeblichen Verbündeten, der schiitischen Huthis. In den westlichen Medien erscheint der Krieg als weitere konfessionelle Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten. Tatsächlich richtet sich die Intervention gegen eine breite Bewegung im Land, die sich der Wiederherstellung eines autoritären, von den USA und den Saudis dominierten Regimes widersetzt und die Ausbreitung islamistischer Gruppen bekämpft.


Die Bezeichnung »Huthi« für die sich selbst »Ansarollah« (Unterstützer Gottes) nennende Bewegung geht auf den Namen ihres früheren charismatischen Führers, Hussein al-Huthi, zurück. Sie rekrutiert sich aus Saiditen, einer spezifischen schiitischen Glaubensrichtung, der rund ein Drittel der Bevölkerung angehört und die vor allem im bergigen Grenzgebiet zu Saudi-Arabien verbreitet ist. Die saiditische Glaubensrichtung steht der sunnitischen näher als der schiitischen Hauptströmung, die im Iran und Irak vorherrscht. Saiditen und Sunniten benutzen daher gemeinsame Moscheen, beten zusammen und heiraten häufig untereinander. Ein enges Bündnis mit dem Iran bestand bisher nicht. Da die iranische Unterstützung für die Huthis im Laufe des Konflikts mit den Saudis und dem vom Westen gestützten Regime zunehmend wichtiger wurde, könnte dies jedoch durch den Krieg zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.


Ansarollah ist keine religiöse Bewegung. Sie richtet sich gegen die Benachteiligung der Saiditen und der von ihnen bewohnten Regionen. Daneben kämpft sie jedoch auch gegen Korruption, Repression, sunnitische Extremisten und die US-amerikanische und saudische Dominanz. Indem sie sich allgemein für soziale Belange einsetzte, wurde sie im Laufe der sogenannten Revolution zum Sprachrohr aller Benachteiligten und Armen. Die von ihr geführte Allianz repräsentiert mittlerweile einen Querschnitt der jemenitischen Gesellschaft und hat weite Teile der Bevölkerung hinter sich.


Armee und Verwaltung des Landes sind gespalten: Ein Großteil unterstützt nicht den von den USA und Saudi-Arabien eingesetzten Hadi, sondern hält weiter zum früheren Machthaber Salih, der sich mit den Huthi, seinen früheren Gegnern, verbündet hat.


Die saudischen Luftangriffe konnten der Hadi-Fraktion, wie zu erwarten, noch zu keinen übermäßigen Erfolgen verhelfen. Die Huthi-Allianz kontrolliert weiterhin die Hauptstadt Sanaa und weite Teile des Landes im Norden und Westen. Stark profitiert von der Militärintervention haben jedoch die dschihadistischen Gruppen. Der regionale Al-Kaida-Ableger ‒ dessen angebliche Gefährlichkeit den USA seit vielen Jahren als Rechtfertigung für ihren Drohnenkrieg dient ‒ hat mittlerweile einen mehrere hundert Kilometer langen Küstenstreifen östlich von Aden und weite Teile des Hinterlands unter seine Kontrolle gebracht.


Für die pro-saudischen Kräfte sind diese fanatischen Feinde der Huthi offenbar willkommene Mitstreiter. Die Dschihadisten konnten so nahezu kampflos Mukalla, die Hauptstadt der von ihnen kontrollierten Region, mit dem größten Hafen östlich von Aden einnehmen sowie auch den dortigen Militärflughafen und das Ölexportterminal. Im Unterschied zum Rest des Landes wird die Stadt, mit Duldung der Saudis, über den Seeweg gut versorgt.


Erneut, wie schon in Syrien, steht der Westen im Jemen nicht nur im Bündnis mit den reaktionärsten arabischen Regimen, sondern zumindest indirekt auch mit dschihadistischen Kräften, die dabei als Bodentruppen dienen. Der Jemen hat zwar kaum Ressourcen, ist aber aufgrund seiner Lage von strategischer Bedeutung. Von seiner Westküste aus kann man die Bab-el-Mandeb-Meerenge zwischen Jemen und Afrika kontrollieren, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden und damit Europa mit dem indischen Ozean verbindet. Über diese Route wird ein bedeutender Teil der weltweiten Seetransporte, vor allem von Erdöl, abgewickelt. Ein pro-westliches Regime war daher von jeher für Washington von vitalem Interesse und eine Regierung, in der iran-freundliche Kräfte dominieren, absolut inakzeptabel.


Auch den saudischen Herrschern geht es – neben dem Kampf gegen alle demokratischen und sozialen Bewegungen, die ihre Herrschaft gefährden können – um die Stärkung ihrer Position gegenüber dem Iran.


Wir sehen daher im Jemen eine Fortsetzung der 2006 begonnenen Neuausrichtung der US-Politik im Nahen Osten. Nicht mehr sunnitische Extremisten, sondern der Iran und seine Verbündeten im sogenannten schiitischen Bogen, der über Syrien bis hin zur libanesischen Hisbollah reicht, wurden nach der Zerstörung des arabisch-nationalistisch orientierten Irak in Washington zur strategisch größten Bedrohung für die USA erhoben. Im engen Schulterschluß mit Saudi-Arabien wurden Geheimoperationen gegen den Iran und Syrien eingeleitet und sunnitisch-islamistischen Gruppen zig Millionen Dollar und logistische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt. Diese Maßnahmen bildeten 2011 die Basis für den Aufstand in Syrien und die Ausbreitung des »Islamischen Staates« (ISIL/ISIS/IS). Daß infolge dieser Politik in Syrien, im Irak und nun auch im Jemen ganze Regionen unter die Herrschaft solcher dschihadistischer Gruppierungen kommen und sogar halbstaatliche »salafistische Fürstentümer« entstehen können, wurde ‒ wie Mitte Mai freigegebene Geheimpapiere des Pentagon-Nachrichtendienst DIA belegen ‒ durchaus vorhergesehen. Es wurde jedoch in Kauf genommen, wenn nicht sogar gewünscht, »um das syrische Regime zu isolieren und die schiitische Expansion im Irak durch Iran einzudämmen«.


Die USA haben ihr verbrecherisches Spiel jedoch längst nicht mehr im Griff. Die konsequente Anwendung ihrer Teile-und-herrsche-Strategie führt zu einer äußerst widersprüchlichen Politik in einem Umfeld, wo »der Feind deines Feindes ebenfalls dein Feind« ist – so der ehemalige hochrangige CIA-Agent Graham E. Fuller.


Während die USA im Jemen Saudi-Arabien im Krieg gegen den stärksten Gegner, Al Kaida, unterstützen, weil er als Verbündeter des Irans gilt, stehen sie im Irak seit Jahren im taktischen Bündnis mit dem Iran, um das Wiedererstehen eines starken, souveränen, an nationalen Interessen orientierten Staates zu verhindern. Um einen weiteren Vormarsch des IS auf Bagdad sowie die kurdischen Gebiete und die Ölfelder bei Kirkuk zu verhindern, unterstützt die US-Luftwaffe, wenn auch zurückhaltend, regierungsnahe schiitische Milizen, die vom Iran ausgerüstet sowie von iranischen Offizieren beraten und geführt werden. Deren Kampf richtet sich jedoch nicht allein gegen den IS, sondern gegen die gesamte mehrheitlich sunnitische Bevölkerung in den betroffenen Provinzen, deren Aufstand vor einem Jahr gegen Diskriminierung, Benachteiligung und Repression die Ausbreitung des Islamischen Staates erst ermöglichte und die daher durchweg als Parteigänger des IS angesehen werden. Die schiitischen Milizen stehen dabei, wie Menschenrechtsorganisation regelmäßig berichten, in ihrer Menschenverachtung und Brutalität dem IS kaum nach.


Das Hauptziel der Umsturz-Allianz gegen Syrien wiederum war von Beginn an die Schwächung des zur führenden Regionalmacht aufgestiegenen Iran durch Ausschaltung seines Verbündeten. Während die USA und andere NATO-Staaten den Islamischen Staat im Irak und in Teilen Syriens bombardieren, unterstützen sie zusammen mit der Türkei und den Golfmonarchien in Syrien weiterhin islamistische Milizen im Krieg gegen die Assad-Regierung und damit direkt und indirekt die Dschihadisten vom IS und der Al-Nusra-Front. Angeblich beschränkt sich die Unterstützung auf die »moderaten Rebellen«. Doch kämpfen sie auch gegen die syrischen Truppen, und die meisten neuen Kämpfer und Waffen landen früher oder später bei den beiden erfolgreichsten regierungsfeindlichen Organisationen.


Die arabische Welt steht nun, nach zahlreichen Kriegen und Interventionen des Westens und den sektiererischen Stellvertreterkriegen mittels religiöser Fanatiker an allen Ecken nahezu unkontrollierbar in Flammen. Wieviel vom angerichteten Chaos Rückschläge sind und wieviel beabsichtigt ist, das ist schwer zu bestimmen.