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Titel1415

Walter Moßmann 1941–2015  (Jürgen Krause)

Internationalist mit deutscher Kindheit – in der Nazizeit in Karlsruhe geboren und später in Freiburg im Breisgau, seinem langjährigen Wohnort, mit Kriegstrümmern und »Kriegsbeschädigten« aufgewachsen: »Ein Mann am Fenster spielte mit den Krücken, / was man in solchen Zeiten häufig sieht, / wir mußten ›Vater‹ sagen, er mußte nicken, / wir lernten neue Wörter, zum Beispiel ›invalid‹.« Ab Mitte der 1960er Jahre trat Walter Moßmann als Liedermacher auf, so bei den Festivals auf der Burg Waldeck; Georges Brassens und Phil Ochs zählten zu seinen Vorbildern.


Er studierte Germanistik, Politologie und Soziologie und engagierte sich in der von ihm mitgegründeten Freiburger SDS-Projektgruppe Internationalismus. Wenn er Handlungen von »Großkopfeten« ätzend kommentierte, konnte ihm keiner mit dem damals üblichen »Geh doch nach drüben!« kommen, denn er eckte bei west- wie ostdeutschen Politikern gleichermaßen an. Auch gegenüber Freund(inn)en und Mitstreiter(inne)n vertrat er pointiert die eigene Überzeugung. Warum er nach wenigen Jahren als festangestellter Radiomoderator lieber freijournalistisch für Funk und Presse arbeitete, läßt sich indirekt seinem »Lied für meine radikalen Freunde« entnehmen: »Er ist ein Rundfunkredakteur, / ich sage euch, der Job ist schwer, / jedenfalls wenn‘s um die Wahrheit geht, / weil die dort im Giftschrank steht.«


Als sich Anfang der 1970er Jahre in der Bevölkerung der deutsch-französischen Oberrheinregion gegen ein dort vorgesehenes »zweites Ruhrgebiet« Widerstand aufbaute, der schließlich zur Entstehung einer neuen sozialen Bewegung führte, mischte sich Walter Moßmann aktiv ein. Er war Mitgründer einer der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen, plante, diskutierte und demonstrierte mit gegen die Industriegebietsvorboten: das Atomkraftwerk Fessenheim, das sich als französisch-schweizerisch-deutsches Projekt auf der französischen Rheinseite im Bau befand, die Bleichemiefabrik, die ein Münchner Unternehmen für das nahegelegene elsässische Marckolsheim plante, und das Atomkraftwerk Wyhl, das die baden-württembergische Landesregierung für die Kaiserstuhlgegend auf der deutschen Rheinseite angekündigt hatte. Nach gesanglich stilleren Jahren trat Walter Moßmann nun vor hunderten, dann tausenden von Menschen mit neuen Liedern auf, die durch die allmählich wachsende Umweltbewegung schließlich auch in anderen Regionen Verbreitung fanden, nicht zuletzt im niedersächsischen Wendland, wo er sich an den Protesten gegen das geplante Atommüll-Lager Gorleben beteiligte.


Er war Liedermacher, Journalist und nachhaltiger Aktivist. Von ihm stammte – in einer Zeit ohne die heutigen Vernetzungsmöglichkeiten durch Mobiltelefone und Internet – die Idee, für die soziale Bewegung ein unzensiertes freies Radio zu schaffen. Das 1977 eingerichtete Radio Verte Fessenheim, Vorbild für andere Bewegungsradios, sendete auf französisch, hochdeutsch und alemannisch von wechselnden hohen Standorten aus – meist von Vogesenbergen, weil die französische Grenze Schutz vor Verfolgung durch die deutsche Polizei bot und die französischen Behörden den Piratensender zeitweilig duldeten. Inzwischen ist daraus in Deutschland und Frankreich je ein amtlich zugelassener nichtkommerzieller Sender hervorgegangen: Radio Dreyeckland (Studio Freiburg) und Radio Dreyeckland libre (Studio Colmar). Und bei Wyhl erstreckt sich statt »zweitem Ruhrgebiet« ein Naturschutzgebiet.


»Bim kämpfe hämr glehrt, / daß ‘s Volk zämmeghert«, hat Walter Moßmann die von Land- und Stadtbevölkerung, Rechts- wie Linkswähler(inne)n, Menschen aus Baden, dem Elsaß und teilweise der Nordwestschweiz gemeinsam gemachte Erfahrung auf den Punkt gebracht. Denn mit »Volk« ist hier selbstverständlich nicht die Nation gemeint, sondern ganz unvölkisch und grenzüberschreitend das sogenannte einfache Volk – im Gegensatz zu den scheinbar darüber thronenden »Gesäßen aus Stein, / Ärschen mit Heiligenschein« (wie in dem oben im zweiten Absatz zitierten Lied besungen). Einen Teil seiner Ansichten und Lebenserfahrungen, zum Beispiel wie Berufspolitiker die Bedürfnisse ganzer Regionen mißachten, falls man sie läßt, hat Walter Moßmann 2009 in der skizzenhaften Autobiographie »realistisch sein: das unmögliche verlangen« zusammengefaßt.
Er hatte früh Kontakt zu politisch und künstlerisch ähnlich Gesinnten in Frankreich, Italien und Lateinamerika. In den 1990er Jahren begann er, inzwischen durch Kehlkopfkrebs am Singen gehindert, sich kulturell und publizistisch für Freiburgs ukrainische Partnerstadt Lwiw (Lemberg) einzusetzen, die nur einige hundert Kilometer entfernt von dem 1986 explodierten Atomkraftwerk Tschernobyl liegt. Mehrere Jahre lang wohnte Walter Moßmann abwechselnd in Lwiw und Freiburg.
Nur wenige Institutionen haben den undogmatischen Linken für preiswürdig erachtet, obwohl manche Fachleute einige seiner Werke zu den bedeutendsten deutschsprachigen Liedern und Chansons zählen (siehe etwa die WDR5-Liederbestenliste vom 7.6.2015). Immerhin wurde ihm 1981 der Deutsche Kleinkunstpreis in der Musikkategorie zuerkannt, sein daraufhin angestimmtes Preislied jedoch, das oben erwähnte »Lied für meine radikalen Freunde«, mochte der mitveranstaltende öffentlich-rechtliche Sender offenbar nicht übertragen. 1990 ehrte ihn seine Heimatstadt Freiburg mit dem Förderpreis des Reinhold-Schneider-Preises. Für sein Lebenswerk erhielt Walter Moßmann 2004 den Ehrenpreis des deutschen Weltmusikpreises (»Ehren-Ruth«).
Am 29. Mai ist er 73jährig im badischen Breisach gestorben. Mit der Gedenkfeier »Salü Walter« haben am 17. Juni im überfüllten großen Saal des Freiburger E-Werks hunderte von Freund(inn)en und Bekannten sowie Weggefährt(inn)en seines politischen, kulturellen, publizistischen und grenzübergreifenden Engagements von ihm Abschied genommen.

Tondokumente von, mit und über Walter Moßmann finden sich auf der Website von Radio Dreyeckland unter https://rdl.de/suche?text=Mossmann.