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Titel1416

Russland ist kein Nachbar  (Otto Köhler)

Irgendjemand muss die Russen überfallen haben. Heute, vor 75 Jahren, am 22. Juni. Aber wer nur, wer? In der Nachrichtensendung des Deutschlandfunks um 8.30 Uhr heißt es: »Der Bundestag erinnert heute in einer Debatte an den Überfall auf die Sowjetunion vor 75 Jahren.«

 

Wenige Minuten zuvor – während die Fußballdeppen trunken von ihrem Sieg am Vorabend mit ihren schwarzrotgeilen Standern am Kampffahrzeug zur Arbeit fahren – weiß Sabine Adler, die Politkommissarin der weißukrainischen Propagandakompanie im Deutschlandfunk, auch keinen Rat, wer damals, 1941, der Aggressor war. Deshalb fragt sie – zum Jahrestag – den russischen »Memorial«-Schriftsteller Sergej Lebedew. Doch der weiß nur: »Wir haben es mit einer total verfälschten Geschichte zu tun! Es ist jetzt nicht mehr möglich, sich damit noch einmal zu befassen. Unsere Geschichte ist in einem Schwarzen Loch verschwunden. Man kann jetzt nicht einzelne mehr oder weniger wichtige Ereignisse herausheben und nachträglich darstellen.«

 

Da freut sich die Dame vom Deutschlandfunk, und sie stellt zum Jahrestag des von wem auch immer begonnenen Krieges fest: »Einige Historiker meinen, dass man mit einer echten Geschichtsschreibung erst nach dem Zerfall der UdSSR habe beginnen können und seitdem nie richtig Zeit dafür gewesen sei.« Und da ist sie schon beim neuen Stalin: »Wie sehr kommt das dem Wunsch der heutigen Führung Russlands entgegen, sich lieber nicht so eingehend mit den dunklen Kapiteln der Geschichte zu befassen?« Der von Putin unterdrückte Russe versteht richtig und dankt: »Gute Frage« – keine Frage.

 

Nach 13 Uhr setzt Deutschlandfunk-Korrespondentin Sabine Adler, diesmal solo als Geschichtsdeuterin, ihr Werk zum 75. Jubiläum unseres Einmarschs in die Sowjetunion fort. Und ist damit sofort in der Gegenwart. Die Balten hätten wie die Polen »Angst vor Wiederholung«. Denn: »Für sie ist das, was Außenminister Steinmeier als Säbelrasseln bezeichnet, eine unverzichtbare Vergewisserung der eigenen Verteidigungsfähigkeit.«

 

Die baltischen Staaten vergewissern sich mit jährlichen Gedenkmärschen ihrer – von der Bundesrepublik verrenteten – SS-Veteranen. Zum Schutz der SS-Parade im März wurden deutsche Antifaschisten diesmal sogar von den lettischen Behörden aus Riga deportiert.

 

Zwecks solch baltischer Verteidigungsfähigkeit verlangte Sabine Adler am Jahrestag des deutschen Überfalls (auch durch SS-Mordkommandos) von Außenminister Steinmeier: »Wer sich in der aktuellen Politik von Deutschlands geschichtlicher Verantwortung leiten lässt, sollte die also gründlicher formulieren, um in Warschau, Kiew und Minsk nicht neue Wunden zu schlagen, und er sollte Russland nicht länger als Nachbarn Deutschlands bezeichnen.«

 

Tags darauf, nach 15 Uhr in der Sendung »Corso« gibt sich Klaus Pokatzky in seiner Doppelfunktion als Deutschlandfunk-Redakteur und Ehrenfeldwebel des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung antifaschistisch: »Beim Einsammeln der AfDler ist aber schon ein anderer Sozi sehr aktiv. Außenminister Frank-Walter Steinmeier stänkert gegen die NATO und wirft ihr ›Säbelrasseln und Kriegsgeheul‹ gegen Russland vor. Da haben die AfD und die Linke aber jubelnd aufgeheult, als der Steinmeier seinen russischen Säbelrassel-Kasatschok getanzt hat in Liebe zu Zar Wladimir, dem ersten Putin.«

 

War es nun Stalin oder Putin, der 1941 die Sowjetunion überfallen und 25 Millionen Russen umgebracht hat?