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Titel1416

Der Bürger als Geldsack  (Monika Köhler)

Er sieht uns an, ganz direkt, skeptisch, in seinen Pupillen spiegeln sich Fenster, das Gesicht ist verzerrt, die Nase gekräuselt, die Stirn gerunzelt. Und der Mund? Er beißt sich auf die Lippen. Darunter ein zottiger Bart. Eng um den Kopf geschmiegt, die Narrenkappe mit Eselsohren, Schellen und dem Hahnenkamm. Schön? Nein, aber ungewöhnlich für ein Werbeplakat zur Ausstellung: »Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch« im Hamburger Bucerius Kunst Forum (bis zum 11.9.). Achtzig Kupferstiche und fünfzehn Gemälde, aber kein Werk von Bosch selbst, dessen 500. Todestag gedacht wird. Bosch war bereits zu Lebzeiten so berühmt, dass es viele Künstler gab, die sich auf ihn beriefen oder Motive kopierten. Er wurde schon damals zur »Marke«. Es gab Musterblätter nach Bosch. Auch mit der Signatur nahm man es nicht so genau. Pieter Bruegel d. Ä., der neben Bosch bekannteste Künstler, schuf eine große Anzahl an Zeichnungen, die als Vorlage für Kupferstecher dienten, professionelle Handwerker führten sie aus – oft als Auftragswerke für Adlige und das aufstrebende Bürgertum.

 

Der »Kopf eines Narren« auf dem Werbeplakat wurde um 1560 von Philips Galle als Kupferstich geschaffen. Ein Narr lacht oder grinst, doch der hier schaut mürrisch, weil ihn ein Leiden quält, das damals – gewinnbringend – »behandelt« wurde: der »Stein« im Kopf. Vom Wahnsinn befreit wollten alle sein. Die diversen Steinschneider-Darstellungen zeugen davon – auch von Bosch gibt es ein Bild. Nicht nur Warzen auf der Haut, eine Beule an der Stirn – ein Zeichen für die Torheit des Narren? Im Katalog (240 Seiten, 29 Euro) wundert sich der Kurator Michael Philipp darüber, dass eine »Gestalt aus dem sozialen Abseits, die sonst kaum porträtwürdig erscheint, derart ins Zentrum eines Bildes« rückt. Gab es ein Vorbild, ein Individuum? Philipp nennt das Auftreten der »rederijkers«, der Rhetorikvereinigungen in diesem Zusammenhang. Dieser Narr sieht – in seinen Augen gespiegelt – die Torheit der Welt. Dass die »verkehrt« ist, sollen die Narren demonstrieren – dem Bürger, der diszipliniert und gesittet ist, ein Gegenbild geben. Nachdem Sebastian Brant 1494 sein »Narrenschiff« veröffentlicht hatte – von der Bibel abgesehen der größte deutsche Bucherfolg vor Goethes »Werther« –, bekam die Narrenliteratur Hochkonjunktur. Auch Hieronymus Bosch malte sein Narrenschiff. In der Hamburger Ausstellung ein 1559 von Pieter van der Heyden geschaffener Kupferstich »Die blaue Schute«, der auf einem Entwurf Boschs beruht. Dieses »Schiff der Sünde«, ein flacher Fischerkahn, steuert mit seinen betrunkenen, singenden Insassen dem Untergang zu. Der Steuermann: ein Trottel, den selbst die Vögel verspotten. Ein unbekannter Stecher nahm sich ebenfalls Bosch oder einen Nachfolger zum Vorbild für seine »Narrenfamilie« (um 1570/1600). Die campiert außerhalb der Stadt in einem Zelt, es sind Musiker mit Narrenkappe – ausgegrenzt wie Zigeuner. Die Mutter sitzt breitbeinig vor einem Korb mit drei winzigen Narrenkindern. Sind sie gerade ausgebrütet worden? Ein Begleittext nennt das Ei im Vordergrund: »Wie die Alten pfeifen und singen, tanzen auch diese jungen Narren über dem Ei, sehr leichten Gemütes.« Ein Sprichwort, das mir dazu einfällt: »Bös Vogel – bös Ei«. Ein Kupferstich nach Bruegel d. Ä. (nach 1570) »Das Narrenfest« von van der Heyden. Ein Wimmelbild voller Narren. Der Beitext deutet den Narr »Sottebol«, wobei »Bol« Kopf heißen kann sowie Ball. Hier fliegen die Bälle der Narren – Fußbälle sind es nicht. »Sottebollen« als Verb heißt herumalbern, Unsinn machen – wie Narren. Eingebaute Sprichwörter in Szene gesetzt: sich gegenseitig an die Nase fassen. Ein Maultrommel-Verkäufer – das ist ein Betrüger. Flöten und Pfeifen, die von Narren gespielt werden, stehen fürs Lügen. Ihre Musik ist verdächtig. Zwei Kupferstiche, wieder von van der Heyden nach Bruegel geschaffen: »Der heilige Jakobus und der Zauberer Hermogenes« und »Der Sturz des Zauberers« (1565). Der Heilige mit Pilgerstab ist umzingelt von einem Haufen von Monstern, Dämonen und Hexen, die ihn bedrohen, ein teuflisches Gewimmel. Gestalten aus dem Bosch-Musterkatalog? Artisten, Seiltänzer und Akrobaten gehören als außerhalb Stehende auch zu den Dämonen.

 

Im dunkelsten Raum der Ausstellung, dem Oktogon, sind »Die sieben Tugenden« und »Die sieben Todsünden« zu sehen – wenn man denn etwas erkennt. Diese Kupferstiche nach Bruegel von Philips Galle und van der Heyden entstanden um 1558/60. Etwas langweilig: die Tugenden. Viel lockender: die Laster, die stark an Boschs Welt erinnern.

 

Rundbilder, um 1568 von Johannes Wierix gestochen (nach Bruegel), die sich flämischen Sprichwörtern widmen, die als Text rundlaufen. »Eine Frau, die ohne Grund schimpft, macht nichts als Ärger im Haus.« Der Mann, in Frauenkleidern auf dem Stuhl, die böse Frau davor. In der Beischrift »erträgt der Mann in seiner großen Gelassenheit auch ein undichtes Dach und einen qualmenden Kamin«. Nur die Frau ist für alles zuständig! Ein anderes Sprichwort: »Man weiß nicht hineinzukommen, wie man gerne möchte, ins Loch desjenigen, der geben kann.« Einem hockenden Riesen, der vorn aus einem Geldsack Münzen fallen lässt, kriechen hinten Menschen in sein viereckiges Loch. Zeitlos.

 

Auch auf Bruegel zurückgehend der Stich »Kampf der Sparbüchsen und Geldkisten«, nach 1570 von van der Heyden ausgeführt. Ein Schlachtengewimmel, das keinen Raum lässt. Beschlagene Geldkisten, Säcke, aus denen Münzen fallen, Tonnen mit Gold gefüllt, Arme und Beine in Rüstungen, mit Säbeln, Lanzen, Speeren zustechend, einige Köpfe in Helmen. Das Banner mit dem Enterhaken als Feldzeichen. Wer hier gegen wen kämpft, wird nicht klar. Die Stadt Antwerpen hatte einen riesigen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Die Bürger identifizierten sich mit den Geldkisten, wurden eins mit ihnen, sie haben sich in sie verwandelt. Im Stich »Jedermann« (um 1558) wird diese Haltung, die Gier, sehr drastisch deutlich. An der Wand das Bild eines Narren, der in den Spiegel schaut. Mit dem Satz: »Niemand kennt sich selbst.« Jedermann sucht und sucht, sieht trotz Brille und Laterne nichts, kämpft mit sich selbst.

 

Die Redewendung »Die großen Fische fressen die kleinen«, als Kupferstich ebenso bekannt, geht nicht auf Bosch zurück, wie der Verleger Cock fälschlich verbreitet hatte. Der Stich wurde oft kopiert – einige Beispiele hängen in der Ausstellung. In der Bruegelschen Fassung von 1557 erklärt (»Ecce«) ein Vater seinem Sohn vom Boot aus, was da an Land passiert. Das Aufschneiden des Riesenfisches, aus dessen Bauch kleinere purzeln, die noch kleinere im Maul halten. Der Vater habe das schon lange gewusst, sagt ein Text. Heißt das Resignation ins Unvermeidliche? So war es immer. Oder ist das ein sanfter Aufruf, etwas anders zu machen?

 

Beim »Esel in der Schule« (auch 1557, wieder von Bruegel, gestochen von van der Heyden) soll sich die Erkenntnis herausfiltern, dass sich auch durch Erziehung »das Wesen eines Narren nicht verändern« würde. Nicht Bosch, Bruegel soll auf seinem Sterbebett seine Frau gebeten haben, einige Arbeiten, die Anstoß hätten erregen können, zu verbrennen.