Die Justiz beklagt seit längerem einen Werteverfall, der besonders dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Achtung vor der Würde des Richters bei einem Teil der Bevölkerung abgenommen hat und sich dies mitunter auch durch das Verhalten von Angeklagten, aber auch Zeugen und Zuschauern in deutschen Gerichtssälen zeigt. Dazu hat auch manche »Gerichts-Show« auf privaten Fernsehsendern beigetragen. Was dort mitunter gewollt ist, um einen theatralischen Effekt beim Zuschauer zu erreichen, ist in der Realität meist der Sache mehr als abträglich. Nicht jeder scheint in der Lage, dies auch gewissenhaft unterscheiden zu können. Mancher Autoritätsverlust der Justiz ist allerdings auch »hausgemacht«. Wenn Verhandlungen bei manchem Richter mit geradezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stets unpünktlich und mitunter mit erheblichem Zeitverzug beginnen, so nagt dies bereits an der Vorstellung des einen oder anderen Mitbürgers von Gewissenhaftigkeit. Wenn man es mit der Pünktlichkeit aber schon nicht so genau nimmt, wie wird es dann mit der Klärung des anstehenden Rechtsproblems sein? Dies umso mehr, wenn die Verspätung in keiner Weise erklärt oder entschuldigt, sondern geradezu als selbstverständlich angesehen wird. Elementare Probleme dieser Art sind nur selten Gegenstand der Dienstaufsicht. Schnell und gern wird mit der »Unabhängigkeit des Richters« argumentiert, die sich aber gerade darauf nicht bezieht. Es kommt auf die Unabhängigkeit bei der Entscheidung in der Sache und ohne Einflussnahme von außen an. Dieser im Grundgesetz in Artikel 97 Abs. 1 festgeschriebene Grundsatz soll vor allem sicherstellen, dass der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist.
Vor kurzem hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Besorgnis der Befangenheit eines Richters beim Landgericht R. auseinanderzusetzen. Dort war eine Entscheidung in einer Strafsache ergangen gegen zwei Angeklagte, welchen unter anderem auch erpresserischer Menschenraub vorgeworfen worden war. Seitens der Verteidiger der Angeklagten wurde gegen die Verurteilung Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt und unter anderem beanstandet, dass an dem Urteil ein Richter mitgewirkt habe, »nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist«. Was war dem vorausgegangen? Noch während des laufenden Verfahrens hatte der Verteidiger des einen Angeklagten von dem Facebook-Account des Vorsitzenden der Strafkammer des Landgerichtes R. Kenntnis genommen. »Im öffentlich zugänglichen Bereich war auf der Profilseite ein Lichtbild des Vorsitzenden zu sehen, auf dem dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: ›Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA‹ bedruckt ist. Auf derselben Seite war vermerkt: ›2. Große Strafkammer beim Landgericht R.‹. In der Zeile darunter hieß es: ›1996 bis heute‹. Im Kommentarbereich befand sich ein Eintrag des Vorsitzenden, der wie folgt lautete: ›Das ist mein ‚Wenn du rauskommst, bin ich in Rente’-Blick.‹« (Beschluss vom 12.1.2016, Aktenzeichen 3 StR 482/15)
Am nächsten Verhandlungstag wurde ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt, der in seiner dienstlichen Stellungnahme dazu ausführte: »Zum weiteren Vorbringen im Ablehnungsgesuch gebe ich keine Stellungnahme ab. Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern.« Allein diese Stellungnahme ist bereits merkwürdig, wenn man bedenkt, dass in der Regel niemand als junger Jurist gleich an einem Landgericht eingesetzt wird und es in der Regel viele Jahre des Wirkens in einer Strafkammer bedarf, bevor man zum Vorsitzenden einer solchen ernannt wird. Hier hat jemand mit langjähriger Berufserfahrung gehandelt und doch so wenig Sensibilität entwickelt. Niemand hätte sich daran gestoßen, wenn in dem Facebook-Account der betreffende Richter über sein Hobby als Kaninchenzüchter oder seinen Faible für den Wassersport geschrieben hätte. Das ist privater Lebensbereich und berührt nicht seine richterliche Tätigkeit. Wenn aber ausdrücklich Begriffe wie JVA (Justizvollzugsanstalt) und noch der Hinweis auf die 2. Große Strafkammer beim Landgericht R. erfolgt, dann hat der Betreffende selbst den Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt.
Die zuständige Strafkammer hielt das Ablehnungsgesuch in Bezug auf den Richter für unbegründet und war gleichermaßen der Auffassung, der Internet-Auftritt betreffe nur den »persönlichen Lebensbereich und sei offensichtlich humoristisch geprägt«. Nun ist Humor bekanntermaßen, wenn man trotzdem lacht. Ist jemand aber des erpresserischen Menschenraubes angeklagt und droht ihm eine mehrjährige Freiheitsstrafe, so möchte er schon sicher sein, dass der über ihn entscheidende Richter die Dinge ernst nimmt. Der Bundesgerichtshof sah dies ebenso und wies zum wiederholten Male darauf hin, dass die Ablehnung eines Richters dann gerechtfertigt ist, »wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann«. Es müsste der Eindruck entstehen, dass der betreffende Richter »die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv [beurteilt], sondern Spaß habe an der Verhängung hoher Strafen und sich über die Angeklagten lustig [mache]«. Der BGH weiter: Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Vorsitzenden und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse. Die Befürchtung, »dem Vorsitzenden mangele es an der gebotenen Neutralität«, wurde für begründet erachtet, und das »Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden ist deshalb gerechtfertigt«. Die Entscheidung und der ihr zugrunde liegende Sachverhalt wurden jetzt in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht und in der Zeitschrift Strafverteidiger veröffentlicht. Man kann nur hoffen, dass sie von vielen mit der Strafrechtspflege Befassten gelesen wird. Der Außenstehende verbindet mit dem Beruf des Richters eine bestimmte Würde, geht aber auch von einem beruflich wie außerberuflich angemessenen Verhalten aus. Es ist bitter, wenn dieses zu Recht bestehende Richterbild in der dargestellten Weise erschüttert wird. Der BGH sagt dazu im konkreten Fall: »[Der] Internet-Auftritt ist insgesamt mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren.« Aber wie bereits eingangs dargelegt: Manches ist »hausgemacht«.