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Titel1417

Die Qual mit der Wahl?  (Gisela Notz)

»Die Frauen dürfen so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie warteten«, das schrieb August Bebel 1879 in seinem Buch »Die Frau und der Sozialismus«, obwohl er es war, der sich stets für Frauenrechte einsetzte.

 

Der Menschheit Hälfte blieb noch ohne Recht.

 

Clara Zetkin verdeutlichte auf dem Erfurter Parteitag der SPD 1891 die Position der proletarischen Frauen für die politische Gleichberechtigung. Für sie stellte die Unterdrückung der Frauen vor allem ein Klassenproblem dar. Ihr Emanzipationskampf war Teil des Kampfes der unterdrückten Klassen gegen die Herrschenden. Das Erfurter Programm forderte, was bei der Formulierung des Gothaer Programms von 1875 noch wenig Anklang gefunden hatte: »allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht […] aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts«. 1895 musste Bebel ertragen, dass die Männer aller Parteien, außer der SPD, einen durch ihn vorgetragenen Antrag für die Einführung des Frauenstimmrechts unter Gelächter ablehnten.

 

Für die proletarische Frauenbewegung stand das Frauenwahlrecht von Anbeginn an auf dem Programm. Die Klassenschranken bildeten die Grenzlinie zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung. Viele bürgerliche Frauen hielten die Forderung nach allgemeinem, gleichem Wahlrecht bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs hinein für verfrüht. Sie forderten für Frauen ein Drei-Klassen-Wahlrecht nach dem Vorbild der privilegierten Männer und kümmerten sich nicht darum, dass dabei die große Masse der Proletarierinnen in politischer Rechtlosigkeit gehalten würde.

 

Durch die Gründung der internationalen sozialistischen Frauenbewegung 1907 in Stuttgart erhofften sich die Genossinnen stärkere Durchsetzungskraft. Auf dem Kongress verpflichteten sich die sozialistischen Parteien aller Länder, sich für die Einführung des uneingeschränkten allgemeinen Frauenwahlrechts einzusetzen. Bei der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen wurde die Durchführung eines Internationalen Frauentags beschlossen, »der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht« dienen sollte. Der erste Frauentag 1911 wurde ein voller Erfolg.

 

Der Beginn des Ersten Weltkriegs führte zum Verbot der Internationalen Frauentage. Die Wahlrechtsfrage trat in den Hintergrund.

 

 

Erfolg durch die Revolution

Das nahende Kriegsende gab der Frauenstimmrechtsbewegung neuen Aufschwung. Das bürgerliche Lager begann, mit der sozialistischen Frauenbewegung zusammenzuarbeiten. Die Gesetzentwürfe der SPD wurden dennoch bis Juli 1918 abgelehnt. Für die Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im November 1918 überall formierten, gehörte die Forderung nach dem Frauenstimmrecht zu den Parolen der Revolution. In der Erklärung des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 hieß es: »Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht [...] für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.«

 

Am 19. Januar 1919 durften Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden. Die Wahlbeteiligung für die Nationalversammlung war mit 82,4 Prozent der wahlberechtigten Männer und 82,3 Prozent der Frauen hoch. 9,6 Prozent der Mitglieder der Nationalversammlung waren Frauen. 8,7 Prozent der Parlamentsmitglieder, die im Juni 1920 in den Reichstag einzogen, waren weiblich, sie gehörten mehrheitlich der SPD und der USPD an. Sie kämpften für soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Frieden und Ausbau der Demokratie.

 

15 Jahre lang, dann wurde Frauen unter dem Nazi-Faschismus das passive Wahlrecht faktisch entzogen: Nachdem andere Parteien als die NSDAP entweder verboten oder zur Selbstauflösung getrieben worden waren, existierte bei den wenigen Wahlen nach März 1933 jeweils eine Einheitsliste, für die keine Frauen aufgestellt wurden.

 

 

Keine Selbstverständlichkeit

Das Frauenwahlrecht, das uns heute selbstverständlich ist, musste sich gegen viele Vorurteile von Männern und Frauen durchsetzen. Es war wohl der größte Sieg, den Frauen in der Geschichte erreicht haben. Durch die Teilhabe an der Politik konnten etliche gesetzliche Verbesserungen im deutschen Reichstag (nicht nur) für Frauen durchgesetzt werden.

 

Immer weniger Frauen scheinen in den letzten Jahren von ihrem Recht Gebrauch gemacht zu haben. Bei der Bundestagswahl 2013 gingen nur 71,5 Prozent Frauen und Männer zur Urne. Bei den Landtagswahlen im Mai 2017 in Nordrhein-Westfalen waren es 65,2 Prozent; 2010 sogar nur 59,3 Prozent. Der Anstieg ist zu einem großen Teil auf die AfD zurückzuführen, der es gelang, bisherige Nichtwähler zu mobilisieren. Das trifft auch für andere Bundesländer zu. Die AfD geht mit einem extrem frauenfeindlichen Familienprogramm in die Bundestagswahl 2017.

 

Frauen sollten auf der Hut sein, wenn sie nicht wollen, dass das Rad der Zeit durch konservative und rechte Kräfte zurückgedreht wird. Damit die fortbestehende soziale und geschlechterspezifische Ungleichheit aufgehoben wird, braucht es Männer- und Frauenstimmen für emanzipatorische Bundes- und Landespolitik und vor allem auch außerparlamentarische Bewegungen.