Nachdem Egon Erwin Kisch dahintergekommen war, dass ein hoher Offizier der österreichischen Armee längere Zeit für Russland spioniert hat, hielt es die Redaktion seiner Zeitung Bohemia für geraten, die brisante Geschichte als Dementi in die Welt zu setzen. Auf der Titelseite meldete sie in Fettdruck: »Von hoher Stelle werden wir um Widerlegung der speziell in Militärkreisen aufgetauchten Gerüchte ersucht, dass der Generalstabschef des Prager Korps, Oberst Alfred Redl, der vorgestern in Wien Selbstmord verübte, einen Verrat militärischer Geheimnisse begangen und für Russland Spionage getrieben habe.«
Ähnlich ging die Süddeutsche Zeitung dieser Tage mit der Rede des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz auf dem Wahlparteitag der Sozialdemokraten in Dortmund um. Sie schrieb, der Kanzlerkandidat habe glaubhaft gemacht, dass er die Wahl noch nicht verloren gegeben habe.
In Wirklichkeit spricht alles dafür, dass Martin Schulz die Bundestagswahl wie seine beiden Vorgänger Steinbrück und Steinmeier verlieren wird, weil die Partei ihr Glaubwürdigkeitsproblem nicht abstreifen kann. Das verdankt sie dem Sündenfall, den sie mit der Agenda 2010 begangen hat. Ausgerechnet die Symbolfigur dieses Fehltritts, den einstigen Bundeskanzler Gerhard Schröder, als Wahlhelfer und Retter in der Not ins Boot zu holen, spricht für die Verzweiflung und die Orientierungslosigkeit der vormaligen Partei der sozial Benachteiligten. So lässt sich Vertrauen nicht zurückgewinnen.
Dasselbe gilt für die hirnrissige Idee, Angela Merkel mit einem Vorwurf zu konfrontieren, den nur ein politischer Insider, nicht aber ein normaler Wähler nachvollziehen kann. Ihr eine Strategie der »asymmetrischen Demobilisierung« zu unterstellen, die das Ziel habe, durch möglichst wenig konkrete Aussagen Wähler vom Wählen abzuhalten, eignet sich vielleicht als Stoff für ein politisches Proseminar, nicht aber für den Wahlkampf. Dann auch noch pathetisch hinzuzufügen, »Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie«, ist vollends überzogen. Dieser Vorwurf wird der SPD in den nächsten Wochen noch tausendmal als Bumerang um die Ohren fliegen.
Schon jetzt erntet die Partei angesichts der Großmäuligkeit ihres Kanzlerkandidaten bei anhaltend schlechten Umfragewerten Hohn und Spott. Eine Mischung aus Motivationsseminar, Traumatherapie, Hochamt und Werbesendung sei der Parteitag in Dortmund gewesen. In einer solchen Atmosphäre erzielen die drei Grundfragen, die Martin Schulz in den Mittelpunkt gestellt sehen möchte, nur einen geringen Widerhall: Die Gestaltung des technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts, die Schaffung von Sicherheit im Wandel der Zeiten und die Herstellung von Gerechtigkeit. Nicht zu vergessen die demokratische Stärkung Europas und die gesetzliche Absicherung der Ehe für alle.
Vom Hocker reißt das niemanden, zumal da Martin Schulz bisher offengelassen hat, mit welchen Partnern er eine Regierung bilden würde, sollte das Traumziel, stärkste Partei zu werden, doch noch als Geschenk vom Himmel fallen. Es war ein Fehler, den Mann vom Niederrhein wie einen Messias an die Spitze der SPD zu berufen. Damit noch einmal zurück zur Affäre Redl. Gerüchte, Manuela Schwesig werde nach der Bundestagwahl an die Stelle von Martin Schulz treten, werden von höchster Stelle entschieden dementiert.