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Titel1417

Neue Verpackung – alter Inhalt  (Ralph Hartmann)

Die Bundesrepublik Deutschland steht aller Wahrscheinlichkeit nach vor einem epochalen Ereignis. Wenn Gott und die Wähler es wollen, zieht eine Partei, die den bundesdeutschen Staat nahezu sieben Jahrzehnte mitgeprägt hat, wieder in den Bundestag ein: die Freie Demokratische Partei. Die Erwartungen und die Vorfreude der freiheitsliebenden, liberalen und neoliberalen Bürgerinnen und Bürger sind groß.

 

Leider fallen in den Vorfreudebecher einig Wermutstropfen. Unvergessene, hervorragende Persönlichkeiten der liberalen Partei werden dem höchsten Gremium unserer parlamentarischen Demokratie nicht wieder angehören. Wir werden sie vermissen: den einst so überaus erfolgreichen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, dessen Nuscheln Volksnähe verriet, großes Vertrauen in seine Regierungskunst einflößte und dem man allein schon deshalb seine Anzüglichkeiten gegenüber dem weiblichen Geschlecht verzieh; den Ex-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel, der mit seiner abgetragenen Militärmütze kundtat, wozu deutsche Entwicklungshilfe auch diente, und selbst Schwierigkeiten hatte, auf dem Teppich zu bleiben, weshalb er sich auf einer Dienstreise ein besonders wertvolles Stück afghanischer Webkunst beschaffte und es preisgünstig und zollfrei mit dem Dienstflugzeug des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes in die Heimat befördern ließ; den Augen- und Stabsarzt Philipp Rösler, der als FDP-Parteivorsitzender sowie als Gesundheits- und Wirtschaftsminister das rechte Augenmaß vermissen ließ; den Ex-Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Ex-Parteivorsitzenden und Ex-Außenminister Klaus Kinkel, der sich unter den Linken im Osten des Vaterlandes besonderer Zuneigung erfreute – ob seiner berühmten zwei Sätze auf dem Deutschen Richtertag 1991 in Köln »Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren.«

 

Die Genannten und viele andere werden fehlen, falls es die Liberalen schaffen, die Fünfprozenthürde zu überwinden. Aber wehmütiges Erinnern bringt sie nicht zurück, und außerdem: Wir haben doch jetzt den Christian Lindner. Er hat sich seit dem Debakel bei der Bundestagswahl 2013 und dem Ausscheiden aus dem Parlament abgerackert, um die am Boden liegende Partei wieder aufzurichten. Mittlerweile ist er Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, Parteichef und Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im September, und die FDP ist zur Lindner-Partei Deutschlands geworden, zur LPD, was irgendwie an die 1990 geschluckte LDPD (Liberal-Demokratische Partei Deutschlands) in der untergegangenen DDR erinnert. Doch ganz im Gegensatz zu dieser samt Vermögenswerten und Immobilien vereinnahmten liberalen Blockpartei im Osten feierte die FDP am 6. Januar des Jahres in der Stuttgarter Oper auf dem Dreikönigstreffen ihre Wiedergeburt. Und ihr Geburtshelfer ist Lindner, der auf diesem Treffen der FDP-Prominenz ohne Rednerpult und ohne Manuskript eine fulminante Rede hielt. Er hatte ganz offensichtlich lange geübt, um auswendig alles vorzutragen, was der Partei endlich wieder Stolz und Kampfesmut vermitteln soll.

 

Mehr als eine Stunde lang betete Lindner all die altbekannten liberalen und neoliberalen Leitsätze der FDP herunter. Zuvorderst selbstverständlich ging es ihm um die freiheitliche Wirtschaft. Wörtlich postulierte er: »Wer die Freiheit in der Gesellschaft will und gegen die Freiheit in der Wirtschaft ist, oder wer eine freie Wirtschaft, aber keine liberale Gesellschaft will, der wird am Ende beides verlieren.« Entschieden wendete er sich gegen jede Form der Umverteilung des Reichtums zugunsten der Armen, denn »es ist aber nicht liberal, die Vermögensverteilung ändern zu wollen, indem man unsere starken Familienunternehmen schwächt und das Geld in die klebrigen Hände des Staates gibt […]. Leistungsgerechtigkeit – das ist liberal […]. Die Freien Demokraten – das sind die Fortschrittsbeschleuniger der deutschen Politik!«

 

So aufgerichtet und ausgerüstet mit dieser Rede, war es ein Leichtes, den Entwurf des Wahlprogramms zu formulieren, den der Fortschrittsbeschleuniger Christian Lindner und FDP-Generalsekretärin Nicola Beer Ende März der Öffentlichkeit unterbreiteten. Auf 83 Seiten geduldigen Papiers werden unter der aufrüttelnden Überschrift »Schauen wir nicht länger zu!« die Thesen ausgewalzt, die der Parteichef auf dem Dreikönigstreffen vorgegeben hatte. Am interessantesten ist nicht das, was alles an politischen Zielen aufgelistet ist, sondern das, wozu sich die Lindner-Partei in Schweigen hüllt. Forscht man in diesem Dokument nach Aussagen zu Vermögensteuer, Reichensteuer, arm und reich, Milliardären, Managergehältern, Obdachlosigkeit, Umverteilung, gerechten Löhnen, gleichem Lohn für gleiche Arbeit, so ist das vergebliche Liebesmüh, die Suche bleibt völlig ergebnislos. Fündig wird man bei den sattsam bekannten liberalen Freiheitspostulaten. Summa summarum: Es ist weitgehend der alte Quark, aber frisch geschleudert.

 

Neu allerdings ist das Logo der Partei. Die bisherigen Farben blau und gelb reichten nicht mehr aus. Eine neue, die ins Auge springt, musste her. Rot wäre das Beste, aber die Farbe ist seit fast 200 Jahren besetzt und geht auf gar keinen Fall. In ihrer Not entschieden sich die liberalen Farbenfinder für die Hausmarke der Telekom, für Magenta, eine Mischung aus Rot und Blau. Und auf dem Dreikönigstreffen wurde das neue Logo vorgestellt: Auf gelbem Hintergrund prangen in blauen Buchstaben die Worte »Freie Demokraten«, und darunter der unveränderte Parteiname in unschuldigem Weiß auf Magenta »FDP«. Besonders schön sieht das wahrlich nicht aus, aber irgendetwas muss doch in der Lindner-Partei neu sein. Und wem selbst unter den Liberalen das neue Parteilogo nicht gefällt, der kann sich ja mit Marcus Tullius Cicero trösten: »Nichts was neu ist, ist vollkommen.«