Für Leute, die sich nach heftigem Streit immer wieder vertrugen, hatte der Volksmund früher ein Sprichwort parat: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Es muss eine böse Fee gewesen sein, die mir den Satz jetzt in Erinnerung rief, da in Berlin alles wieder seinen gewohnten Gang zu nehmen scheint. Um Missverständnissen vorzubeugen: Angela Merkel und Horst Seehofer gehören natürlich nicht zu jener Sorte von Leuten, die der Volksmund im Sinn hatte. Ebenso wenig Andrea Nahles, die den Unionsverantwortlichen wieder einmal die Hand unter den Allerwertesten hält. Dass die SPD dem Asylkompromiss zustimmen würde, war zu erwarten und ist angesichts des drohenden Absturzes bei Neuwahlen auch nicht ehrenrührig. Nur noch zwei Prozent trennen die Sozialdemokratische Partei jüngsten Umfragen zu Folge von den 16 Prozent der AfD.
Ähnliches gilt für die sich christlich nennenden Schwesterparteien. Sie können auf der rechten Überholspur nur gemeinsam überleben. Neuwahlen zum Bundestag würden der AfD aller Voraussicht nach einen weiteren Zuwachs bescheren. Deshalb auch die schlotternde Angst der CSU, sie könnte bei der bevorstehenden Landtagswahl die absolute Mehrheit verlieren und müsste die kürzlich in allen öffentlichen Amtsstuben aufgehängten Kreuze wieder abnehmen. Dass eine rechtspopulistische Partei ausgerechnet in Bayern, das sich auf seinen Reichtum und den Wohlstand seiner Bevölkerung einiges zugutehält, ihr bisher höchstes Wahlergebnis erreichte, muss einen besonderen Grund haben. Irrationale Ängste und die Sehnsucht nach einem starken Staat scheinen dort besser zu gedeihen als anderswo.
Nun gehört das Schüren von Ängsten seit jeher zu den beliebtesten Mitteln, die Privilegien der einen vor der vermeintlichen Begehrlichkeit der anderen zu schützen. Die Nazis machten Juden, Marxisten und Intellektuelle für das Elend nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt man die Menschen mit der Furcht vor einem drohenden Angriff aus dem Osten in Atem. Als das kommunistische Schreckgespenst ausgedient hatte, sahen sie sich dem internationalen Terrorismus als neuer Bedrohung gegenüber, das aus seiner anfänglichen Ohnmacht erwachte Russland nicht zu vergessen. Seit einiger Zeit müssen Asyl suchende Flüchtlinge als Popanz dafür herhalten, das Unvermögen oder besser gesagt den Unwillen der mächtigen Industriestaaten zu kaschieren, die Kluft zwischen Arm und Reich nicht immer größer werden zu lassen.
Nun wollte es das Schicksal, dass dieselben Leute, die anderen ständig Angst machen, selber von Angst befallen werden. Den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit vor Augen möchte die CSU die AfD jetzt rechts überholen. Um sich in Szene zu setzen, brach sie einen Streit vom Zaun, der für alle Beteiligten mit einer Blamage endete. Die Bundeskanzlerin musste sich von ihrer Politik der offenen Grenzen verabschieden, und Horst Seehofer fand nirgendwo ein offenes Ohr für die unerlässlichen Abschiebeabkommen mit den Nachbarn. Makulatur bleibt insofern auch der Kompromiss mit der SPD. Dass die sich damit zufrieden gab, die geplanten Transitzentren ihrem Wunsch entsprechend nicht so zu benennen, weil das Wort nicht im Koalitionsvertrag steht, spricht für sich. Rechts schwenkt, marsch, heißt es auch bei ihr.
Wer jemals als Betroffener oder Angehöriger in der überfüllten Notaufnahme eines Krankenhauses gesessen hat, wird andere Vorstellungen haben von den drängenden Problemen unseres Landes. Er fragt sich wahrscheinlich, wann dem Krankenhausnotstand endlich entschieden und mit dem nötigen Geld zu Leibe gerückt wird. Das ist es ja nicht allein. Wie lange soll es noch dauern, bis das Dahinvegetieren alter Menschen in unwürdigen Einrichtungen, bis also der Pflegenotstand, ein Ende hat? Wie lange sollen Alleinerziehende noch darum bangen, ob ihr Kind einen Kita-Platz bekommt, ohne den sie nicht für sich selbst sorgen können? Wann endlich wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen damit aufhören, immer wieder die gleichen Kaffeesatz-Leser zu Talkrunden über das Flüchtlingsproblem einzuladen, statt sich auch mal mit anderen drängenden Problemen zu befassen? Was Journalisten bedenken sollten, wusste schon Heinrich Heine: »Sind wir vielleicht selber so indifferenter Natur, dass wir, ohne sonderliche Vorneigung, mit allen Parteien beständig verkehren, so verwirrt uns die süffisante Sicherheit, die wir bei jeder Partei erblicken, und unser Urteil wird aufs unerquicklichste neutralisiert.« (»Französische Zustände«)