Der Wandtext einer Ausstellung in Hamburg: »Neben Vulkanausbrüchen galten Schiffbrüche im ausgehenden 18. Jahrhundert als die bevorzugten Motive für erhabene Wirkungen in der Kunst.« Der Flyer für »Entfesselte Natur – Das Bild der Katastrophe seit 1600« (bis 14. Oktober in der Kunsthalle) präsentiert einen Ausschnitt des Riesengemäldes (1865) von Eugène Isabey »Schiffbruch des Dreimasters Emily im Jahr 1823«. Dunkler, wolkenverhangener Himmel, die Wogen aufgepeitscht, Gischt, ein Wasserwirbel erzeugt zwei schwarze Löcher wie Augenhöhlen eines Totenschädels. Inmitten des Infernos das Schiff, kaum zu erkennen. Ein Mast, hoch aufragend, einem Galgen ähnelnd. Und Menschen, die sich verzweifelt an Bohlen klammern, übereinanderfallen, ein Tau zu fassen versuchen, Menschen, in den Wellen versinkend. Ein erhabener Anblick? Ja, von oben, von der Festung Europa aus.
Genauso der vom Untergang des Auswandererschiffes Austria am 13. September 1858, noch im selben Jahr gemalt von Josef Carl Berthold Püttner. Dieses Schiff steht in Flammen, die nicht vom Wasser gelöscht werden können. Dramatische Szenen – für Isabey war diese Katastrophe Anlass für ein neues Bild. Kein Segelschiff mehr, nun ein Dampfer, der über 300 Menschen den Tod brachte. Hier dominieren die Ertrinkenden – auch die Rettungsboote gehen unter. Die fremdländisch anmutenden Steilküsten (Wandtext) konnte ich nicht wahrnehmen. Das Gegenteil, Caspar David Friedrich mit »Das Eismeer« (1823/24), das nur ein extremer Eisgang auf der Elbe war.
Auf Johann Heinrich Füsslis düsterem Bild »Der gerächte Neger« (1806/07) ist ganz klein im Hintergrund ein Schiffsuntergang kaum wahrzunehmen. Auf einem Felsen, hoch in den Himmel ragend, ein Afrikaner, Riese, an den sich eine Frau im wehenden weißen Kleid klammert. Sie gibt Handzeichen. Blitze wie leuchtende Schlangen erleuchten ihr Gesicht. Füssli nahm das Gedicht »The Negro`s Complaint« von William Cowper, 1788 entstanden, als Vorlage. Cowper prangert darin die Sklaverei an, der Sturm beweise, dass Gottes Schöpfungswille mit der Zerstörung nicht zu vereinbaren sei. Füssli ging weiter, sah den verheerenden Sturm nicht als Strafe Gottes an, sondern als Aufruhr der Natur gegen die menschenverachtende Sklaverei.
Vom Wasser der Sintflut zum Feuer von Sodom und Gomorrha. Der zürnende Gott schenkt Bilder, antike Mythen ebenso. Katastrophen als Ausdruck gesellschaftlicher Umbrüche wie die Französische Revolution. Auch in der Karikatur. So bei einer Lithographie von 1833 von Auguste Desperet: Da speit ein Vulkan Feuer und das Wort Liberté. Der Vesuvausbruch, Pompeji und Herculaneum, in vielen Variationen und glühenden Farben dramatisch inszeniert. Vulkantouristen, die gab es auch. In sicherer Entfernung standen sie, katastrophengeil – europäische Gegenwart. Und die Zukunft? Ein Erdbeben, gesehen aus dem Jahr 2035. Das gefährdete Los Angeles, aus der Vogelperspektive dargestellt nach der Katastrophe, wie ein Relief wirkend, mit Schiefermehl und Marmorstaub auf Leinen. Aloys Rump schuf es 2018 für diese Ausstellung.
Gegenwart? »Das Floß der Medusa«, das berühmte Gemälde Théodore Gericaults von 1819 – es blieb im Louvre. Ein Bild genauso groß, übergroß, von Christian Jankowski (2016) überzeugt nicht. Jugendliche, die das dramatische Geschehen nachspielen, wohl in einer Schulklasse. Martin Kippenbergers sieben Lithographien von 1996 zum Floß der Medusa: Ich-bezogen. Nur das Video von Marcel Odenbach »Im Schiffbruch nicht schwimmen können« von 2011 versucht eine Annäherung an das Bild aus der Gegenwart gesehen. Drei Migranten vor dem Gericault-Gemälde im leeren Saal des Louvre, afrikanische Männer. Sie betrachten es genau, sagen kein Wort. Auch die Gesichter schweigen. Die grauenhafte Situation auf der Leinwand – keine Geschichte.
Katalog, Michael Imhof Verlag, 384 Seiten, im Museum 29 €