Karl-Heinz Walloch, Filmdokumentarist, Ossietzky-Autor. – Anlässlich Ihres 80. Geburtstags verfuhren Sie nach dem Lehrsatz: »Körperliche Abwesenheit ist besser als Geistesgegenwart« – und flohen außer Landes. Den herzlichen Glückwünschen ihrer Freunde entgehen Sie aber trotzdem nicht, das ist mal sicher. Die entbehren nämlich nur ungern Ihres gelegentlichen Initialreizes zu politischer Hirngymnastik am frühen Morgen. Meist lesen Sie zu diesem Zweck am Telefon einen gepfefferten Zehnzeiler vor, den Sie gerade einem der üblichen Verdächtigen im Management der korporierten Massenmedien ins Poesiealbum gedengelt haben. So angebracht und wohlverdient, dass man sich zum Nachtun angeregt fühlt. Bewahren Sie sich Ihren kritischen Blick und Ihren Kampfgeist! Darauf werden wir anstoßen, denn auch für Flüchtige wie Sie gilt Herbert Wehners Lebensweisheit: Wer rausgeht, muss auch wieder heimkommen. Und dass Ossietzky-Leser sich auf Ihre von profunder Kenntnis von Land und Leuten zeugenden Texte über Spaniens Verhältnisse freuen, ist ebenfalls gesichert.
Wolf Gauer, Ossietzky-Lesern als Südamerika-Korrespondent bekannt. – Beim Besuch einer ländlichen Künstler-Kolonie hat es Sie nächtens böse erwischt: Eine Fledermaus hat Sie angefallen und ordentlich Blut abgezapft, ehe Sie das reizende Vieh vom Arm abreißen konnten. Schlimmere Folgen hatte die Attacke zwar angeblich nicht. Das wollen wir aber auch hoffen! Sie belegen allerdings Ihre wiederholten Versicherungen, das Leben in Brasiliens Natur sei wesentlich unproblematischer als das in Politik und Gesellschaft, mit Fotos von »äußerst friedlichen«, jedoch mehrere Meter langen Anacondas in Ihrem Garten – oder waren das Pythons? Bisher haben wir deshalb auf Ihre wiederholten Einladungen nach Sao Paulo etwas zurückhaltend reagiert. Wir begrüßen Sie lieber in Deutschland. Hier haben wir nämlich auch ordentlich was zu bieten: grässliche Vögel, besonders die im Berliner Reichstag heimischen. Viele bösartig und aggressiv, wahre Giftspritzen. Und es will nicht leicht gelingen, uns von ihnen zu befreien.
Edi Rama, Ministerpräsident Albaniens. – Asylzentren der EU wollen Sie in Ihrem Land nicht zulassen. Solche Lager, haben Sie erkannt, würden nur dazu dienen, »verzweifelte Menschen irgendwo abzuladen wie Giftmüll, den niemand will«. Ja, das Leid von Geflüchteten wird nicht mehr gebraucht, um Kriege zur Bekämpfung »humanitärer Katastrophen« zu rechtfertigen wie zum Beispiel 1999 den Kosovo-Krieg. Der CSU-Politiker Franz Neubauer damals als Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft: »Vertreibung wird heute als ein so schweres Verbrechen angesehen, dass man bereit ist, mit Waffengewalt dagegen vorzugehen.« Heute scheinen apokalyptische Bedrohungsszenarien besser geeignet, die Sicht der Bevölkerung auf Bundeswehreinsätze im Ausland günstig zu beeinflussen. Selbstmitleid statt Mitleid ist die Devise.
Angela Merkel, Horst Seehofer, zufrieden. – Nach erbittertem Kampf um zwei angeblich völlig entgegengesetzte Vorgehensweisen bei der Flüchtlingsabwehr haben Sie sich geeinigt. Sie, Frau Merkel, haben erreicht, was Sie »von Anfang an erreichen« wollten. Für Sie, Herr Seehofer, ist »das alles von A bis Z so, wie man sich das als zuständiger Minister wünscht«. Und selbst die SPD konnte zustimmen. Mit dem tschechischen Schriftsteller Karel Čapek (1890–1938; »Der Krieg mit den Molchen«) können wir bewundernd feststellen: »Solche Erfolche haben nur deutsche Molche.«
Ellen Ehni, die Frau mit der Glaskugel. – In den Tagesthemen vom 5. Juli verkündeten Sie die Antwort der Deutschen auf die Frage, welche Themen in der politischen Auseinandersetzung zu wenig Raum haben. Für 79 Prozent finde die Situation in der Pflege, für 73 Prozent die Schul- und Bildungspolitik und für 70 Prozent die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu wenig Beachtung. Man könnte daraus schließen, dass die massive Steigerung des Militärhaushalts auf entsprechende Ablehnung stößt. Darüber erfährt man leider nichts. Vielleicht spielt dieses Thema bei Ihnen – wie in der gesamten Berichterstattung über den neuen Bundeshaushalt – keine Rolle, und Sie haben gar nicht danach gefragt?
Österreichische Regierungsparteien, von vorgestern. – International »wettbewerbsfähig« wollen Sie Ihr Land halten und haben deshalb am 5. Juli durch ein geändertes Arbeitszeitgesetz mehr »Flexibilität« in der Arbeitswelt beschlossen. Den SPÖ-Antrag, in dieser Sache das Volk zu befragen, lehnten sie ab. Schließlich hatten schon fünf Tage vorher in Wien an die 100.000 Menschen öffentlich geäußert, was sie von Ihrer »Lösung« aus seligen Kaisers Zeiten halten: nichts! Diesen eindrücklichen Protest ignorierend, haben Sie durch Ihr Parlamentsvotum einen 12-Stunden-Arbeitstag und eine 60-Stunden-Arbeitswoche ermöglicht. Im Jahr 2018 hängen Sie noch immer im 19. Jahrhundert fest.