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Titel15+1611

Bernhard Heisig, Konfliktdenker  (Ulrike Krenzlin)

Wenn der Maler Bernhard Heisig (1925–2011) bei Atelierbesuchen mit Gästen redete, klang seine Stimme unprätentiös. Langsam und leise sprach er, mit dem schönen Timbre einer Baritonstimme. Ohne Nachdruck, ohne rhetorischen Aufwand entwickelte er stringent seine Gedanken, schnitt Nebenwege ab, um auf den scharfen Punkt einer unerbittlichen Feststellung hinzusteuern. Hoffnung auf etwas, das andere ins Spiel brachten, geriet schnell ins Lächerliche. Glaube an Besserung der Menschen in naher oder ferner Zukunft wies er zurück. Skepsis drang immer durch. Mir schien es so, als ob der Künstler nur dem Furor seiner Malerei traute, den Farbeffekten, dem stets an die Nerven rüttelnden Reiz ihrer Durchdringungen und Überlagerungen. Ausgehandelt hatte er sein malerisches Verfahren im Dialog mit Adolf von Menzel.

Heisig stopft und schichtet Menschenmassen im »Turmbau zu Babel«, in seinen Kriegs- und Epochen-Panoramen in enge Schachtelräume, die keine Auswege bieten. Klaustrophobische Atemnot des Handlungspersonals springt auf den Betrachter über. Heisigs Prinzip hat sich bis ins Regietheater durchgesetzt. Michael Thalheimer könnte es von Heisig abgeguckt haben, wenn er in seinen Inszenierungen von Gerhart Hauptmanns »Ratten« und Leo Tolstois »Macht der Finsternis« mit allergrößtem Erfolg Bühnenkästen mit Wegschneisen konstruiert, die eng wie Maulwurfgänge sind, in denen die Menschen ihr Elend mit aufgerissenen Mäulern nur gebückt verhandeln können. Geschrei, Würgen und Drängen, alle Qualen der Soldaten im Krieg in metaphorisch enge Räume gepreßt, zeigt Heisig schon ganz früh. In »1848 in Leipzig« (entstanden 1954/58), den »Geraer Arbeitern am 15. März 1920« (1960/1984) und in der »Pariser Commune« (1971/72) offenbart sich zunehmend, dass diese künstlerische Strategie keine Trennung von Siegern und Besiegten zuläßt. In der Darstellung von Revolutionen, Kriegen und Aufständen kann es bei Heisig keine Helden geben. Diese Ansicht perfektioniert der Maler leidenschaftlich. Er provoziert, ob gewollt oder ungewollt. So in den Varianten vom »Weihnachtstraum des unbelehrbaren Soldaten«, im Panorama-Bild »Zeit und Leben« (Cafeteria im Reichstag), zuletzt in »Menschen, Kriege, alter Maler« (2004 vollendet). Um seine Bilder in Ausstellungen oder bei Galeristen jederzeit unauffällig in diesem Sinn weiterentwickeln zu können, auch wenn sie längst verkauft waren, trug er Pinsel und Ölfarbe stets in Hosentaschen bei sich.

An der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig richtete er die erste Malklasse ein, die sich zur »Leipziger Schule« entwickelte Mit seiner Haltung des unklar definierten Feindbildes mußte er in Konflikt zu den Theorien des Sozialistischen Realismus geraten.. Zweimal wurde er zum Rektor berufen und abberufen. Seine DDR-Nationalpreise gab er 1989 zurück.

Was machte Heisig zum Konfliktdenker? Als Jugendlicher wurde er mit dem Krieg konfrontiert. Bekannt ist, daß er sich freiwillig zur Waffen-SS meldete und sich 1943 – da war er 18 – sogar für deren Panzerdivision entschied. Diese Tatsache verschwieg er nicht wie andere Künstler und Schriftsteller, sondern stellte die eigene Mittäterschaft lebenslang in seiner Kunst als schuldhaftes Versagen dar, verlangte aber ein Erinnern und Nachdenken über solche Täterschaft auch von den anderen. Darum schob er sie alle in die beängstigend engen Räume der Geschichte und Gegenwart hinein, eine Art modernes Fegefeuer. Dieses Thema blieb Agens seiner künstlerischen Reflexion. Das Lebensmotto, das ihn prägte, war das Ausgeliefertsein des Individuums im Krieg, der Kampf um Leben und Tod. So konnten ihm spätere Konflikte kaum etwas anhaben. Nach dem Krieg, in der DDR, kam dem Künstler diese harte Erfahrung zu gute. Politische Konflikte konnten ihm kaum etwas anhaben. Der Konfliktbewältiger gestaltete immer umfassendere Epochenbilder. Eduard Beaucamp nannte Heisig den Schöpfer einer »Katastrophen-Ikonographie«. Dabei sollte nicht an den Rand rücken, daß der Maler sich nicht nur mit Geschichte und Politik auseinandersetzte, sondern auch einen überragenden Sinn für andere Künste, für Musik und Literatur hatte, der zum Beispiel in feinnervigen Porträts der Dirigenten Vaclav Neumann und Kurt Masur zum Ausdruck kommt. Noch nicht ausreichend beachtet sind seine – oft wütend herausgeschleuderten – lithographischen Kommentare zur Literatur.

Er war einer der stärksten Künstler unserer Zeit. (Ob er ein Staatskünstler gewesen sei? Eine unergiebige Frage.)