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Bemerkungen

Staatsterror in den Wolken
Eine kleine Geschichte, die den Realitätsverlust und die Ratlosigkeit der US-Imperialen illustriert: Am 20. Juli mußte der Flug 033 der mexikanischen Fluggesellschaft Aeroméxico auf dem Weg von Mexiko City nach Barcelona umkehren und in Monterrey (Mexiko) zwischenlanden. Die US-Regierung hatte den ungeliebten Schnurrbärten von nebenan die Nutzung ihres Luftraums wegen eines einzigen Fluggastes der vollbesetzten Boeing 767 versagt: wegen der Sozialwissenschaftlerin, Mathematikerin und Indigenistin Maria Raquel Gutiérrez Aguilar. Sie mußte das Flugzeug verlassen, »auf amerikanisches Geheiß«, wie man ihr mitteilte.

Mit ihrem Namen verknüpft sich die offene Diskussion der politischen Ziele und brutalen Praxis des US-inspirierten Drogenkriegs, der sich gegen die Autonomie und wirtschaftliche Existenz der indigenen Nationen Boliviens richtete. Raquel Gutiérrez hat mehr als 20 Jahre in Bolivien gelebt. Sie erlitt Verfolgung und Einkerkerung, bevor Evo Morales Präsident wurde. Mittlerweile ist die Gleichstellung der Indigenen durch die Verfassung des nunmehr pluralistischen Staates gewährleistet. Raquel Gutiérrez, der weißen »Elite« und ihren US-Vordenkern stets ein Stein im Schuh, steht deshalb auf der schwarzen Liste der US-Geheimdienste, die weltweit über Passagierdaten verfügen, auch derjenigen Flüge, die den hehren Luftraum der USA lediglich ohne Zwischenlandung passieren wollen.

Gutiérrez war unterwegs nach Italien, zu einer Vortragsreise, wohl ohne – das unterstellen wir ihr – die Absicht, mittels versteckten Fallschirms und wehender Röcke aus zehntausend Metern über God’s own country abzuspringen. Aber die master minds in Washington müssen irgend so etwas vermutet haben. Denn sonst müßten wir, was uns selbstverständlich widerstrebt, auf niederträchtige Schikane schließen.

Wolf Gauer


Schutzbomben
In Libyen setzt die NATO ihre Bombenangriffe ungehemmt fort. »Wir zeigen Durchhaltevermögen«, erklärte der französische Militärminister. Die Koalition der Willigen, in der sich Unwilligkeit über die Kriegsdauer regt, müsse sich auf einen verlängerten Zeitplan einstellen.

Die Ehrenbezeigungen, Finanzhilfen und Waffenlieferungen von NATO-Staaten haben den »Rebellen« in Bengasi nicht die erwünschte Offensivkraft beschert, inzwischen bekriegen sie sich untereinander. Nun ruft die NATO die Bevölkerung in Tripolis zum Aufstand gegen Gaddafi auf, und um mediale Lufthoheit zu gewinnen, zerbombte sie Einrichtungen des dortigen Fernsehens. Ungeniert behaupten die Sprecher der NATO, dies alles diene im Sinne der Resolution des UN-Sicherheitsrates allein dem Schutz der libyschen Zivilbevölkerung – in die inneren Verhältnisse Libyens mische man sich nicht ein. Also: Rette sich wer kann, wenn das nord-atlantische Militärbündnis einem Volk Rettung verspricht.
P. S.


Grüne Kaserne?
Die Bundestagsfraktion der Grünen hat die Bundesregierung aufgefordert, für diejenigen Bundeswehrkasernen, die Namenspatrone aus der Zeit des »Dritten Reiches« haben, andere zu suchen, zum Beispiel für die Generalfeldmarschall-Rommel-Kasernen.

Der Vorstoß nimmt sich sympathisch aus. Aber wie sollen die militärischen Heimstätten dann heißen? Ein Name drängt sich auf: Wie wäre es mit Joseph-Fischer-Kaserne? Es muß ja nicht der Name eines Soldaten sein. Als Außenminister hat Fischer seinerzeit wesentlich dazu beigetragen, daß im Kosovo die Zivilgesellschaft einkehrte – durch militärische Überzeugungskraft. Nicht einmal ein UN-Mandat war nötig, und die Bundeswehr konnte ihre Fähigkeiten nachweisen. Ein Bombenerfolg. Der Wüstenfuchs war, daran gemessen, ein Versager.
Marja Winken


Krisenpolitik
Wir haben wieder einmal eine Krise.
Das ist kein Grund für einen Trauerflor.
Die Politik verkündet die Devise:
Wir gehn aus Krisen stets gestärkt
                                                          hervor.

Noch schreibt die Krise traurige Kapitel.
Doch nach ihr sind wir stärker. Das
                                                   geschieht,
wenn man die Krise als ein
                                        Stärkungsmittel
und nicht als eine Art von Pleite sieht.

Drum soll man uns in neue Krisen
                                                      führen,
weil uns der brennend heiße Wunsch
                                                        beseelt,
daß wir aufs neue jene Stärke spüren,
die uns, wenn’s mal nicht kriselt,
                                    schmerzhaft fehlt.
Günter Krone


Bertelsmann übernimmt
Wie lassen sich SchülerInnen in den ersten Jahren nach dem Grundschulbesuch individuell fördern, damit sie den Einstieg in weiterführende Bildungswege schaffen? Zweifellos ein Problem, das bearbeitet werden muß. Und auf welche Weise kann man Lehrkräfte für diese Arbeit qualifizieren? Ebenfalls eine drängende Frage. Nun hat die zuständige Ministerin in der sozialdemokratisch-grünen Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen die Lösung gefunden: Die Bertelsmann-Stiftung übernimmt die Aufgabe per Kooperationsvertrag. Mit dieser »Public-Private-Partnership« ist gesichert, daß Pädagogen und Jugendliche, in der Lehrerfortbildung wie im Unterricht, dem Weltbild sich einfügen, das die Bertelsmänner »unternehmerisch« nennen. Auch wird sich diese Art von Fortbildung wiederum unternehmerisch nutzen lassen.

Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern als staatliche, demokratisch zu gestaltende Aufgabe? SPD und Grüne halten das offenbar für eine antiquierte Idee. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat vor einiger Zeit davor gewarnt, der Bertelsmann-Stiftung öffentliche Aufgaben zu übertragen. Aber ein solches Votum muß eine grüne Schulministerin nicht kümmern – Gütersloh lockt.

Ließe sich die Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung NRW und Bertelsmann, die sich schon unter der CDU-FDP-Koalition angebahnt hat, nicht administrativ rationalisieren? Die Güterloher könnten doch dem Schulministerium einen Fachmann ausleihen, der in Düsseldorf in der Funktion eines Staatssekretärs alles Notwendige erledigt, kostenfrei für das Land. Unternehmerisch ließen sich diese Ausgaben bei Bertelsmann in Gewinne verwandeln.
Marja Winken


Eurokratie
Geholfen wird dem Land, das schlingert,
damit es mit ihm aufwärts geht,
wenn man die Schuldenlast verringert,
indem man sie gezielt erhöht.

Die Wirklichkeit wird mit Krediten
und Eurobürgschaften gekirrt.
Zugleich liest man ihr die Leviten,
weil sie dadurch gesünder wird.

Die Geber nehmen es aus Steuern
(das Zahlungsmittel Bürger steht),
wobei sie hochgemut beteuern,
daß sonst Europa untergeht.

So hilft der Euro Schäden glätten,
die man mit ihm beheben muß,
weil wir sie ohne ihn nicht hätten.
Das ist der Weisheit letzter Schluß.
Günter Krone


Der Albtraum vom Eigenheim
Da sie ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können, werden täglich in Spanien mehr als 170 Wohnungsbesitzer von ihren Banken und Sparkassen vor die Tür gesetzt. Der Hintergrund ist allemal, daß in den Boomjahren um 2005/2006 Hypothekenkredite wie warme Semmeln ausgereicht wurden. So konnten viele Spanier ihren Traum von Eigenheim oder Eigentumswohnung verwirklichen – zeitweilig.

Die Immobilienkrise der USA im Frühjahr 2007 und der Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brother im September 2008 lösten eine weltweite Krise aus. Bald standen auch in Spanien Wohnungen leer, Bauaktien stürzten ab, Makler schlossen ihre Büros. Zwei Säulen der Volkswirtschaft, privater Konsum und Bauwesen, bröckelten und wankten.

Die Arbeitslosigkeit ist mit 21 Prozent eine der höchsten im Euro-Europa, unter den 19- bis 25-jährigen Spaniern beträgt sie sogar mehr als 45 Prozent. Selbst Hochschulabsolventen finden keine Arbeitsplätze. Eine Besserung ihrer Situation ist nicht in Sicht. Wie hierzulande wurde auch in Spanien das Rentenalter auf 67 Jahre hochgeschraubt – wodurch kein neuer Arbeitsplatz entsteht.

Werden die Hypothekenzinsen nicht mehr gezahlt, kommt es zur Zwangsräumung mit Versteigerung. Im Parlament wird derzeit ein Gesetz diskutiert, das das Überleben zahlungsunfähiger Familien sicher soll.

Die Protestbewegungen Movimento15-M und Democracia Real YA! beteiligen sich an der Verhinderung von Zwangsräumungen. Haben die meist jugendlichen Aktivisten Kenntnis von einem Termin, dann erscheinen sie zahlreich und stellen sich dem Gerichtsvollzieher entgegen. So bekommt der zahlungsunfähige Wohnungsbesitzer eine Frist. Für wie lange?
Karl-H. Walloch


Diese und jene Kriminalität
Das Gesetz ist gegenüber der Obrigkeit stets nachsichtig, dafür schonungslos gegenüber den Armen, erkannte der französische Schriftsteller Beaumarchais. Dieser Satz kam mir in den Sinn, als ich jüngst im Fernsehen folgende Meldung hörte: In einem Moskauer Kaufhaus wurde ein Mann auf frischer Tat ertappt. Er hatte sich neu eingekleidet. Seine alten Klamotten ließ er in der Anprobe liegen. Vergeblich versuchte er wegzulaufen. Der Wert des Diebesguts lag, wie in der Sendung berichtet wurde, unter 2000 Rubel. Dem Delinquenten drohen dafür bis zu zehn Jahre Knast.

Zur gleichen Zeit erfuhr die Öffentlichkeit eine andere Geschichte: Der Chef der Moskauer U-Bahn, Dmitrij Gajew, hat nach amtlichen Angaben den Fiskus um mehrere Dutzend Milliarden Rubel geschädigt und dabei kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet. Den hochrangigen Delinquenten ließ man freiwillig in Pension gehen. Vielleicht wird noch eine Untersuchung gegen Gajew eingeleitet, vielleicht auch nicht. Über sowas erfährt die Öffentlichkeit gewöhnlich nichts.

Die Literaturnaja Gaseta veröffentlichte eine Studie, die vom Korrespondierenden Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, Irina Jelissejewa, stammt. Danach hat die korruptive Wirtschaft in Rußland ein Ausmaß von 25 Billionen Rubel erreicht, das sind 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das »bereinigte Schatteneinkommen« der Beamtenschaft, der Steuerfahnder, Rechtsanwälte und Richter liege bei 4,6 bis 5,6 Billionen Rubel. Schade, daß Literaturnaja keine große Auflage hat.

Die meisten Bürger bekommen das Übel jedoch tagtäglich am eigenen Leibe zu spüren – zum Beispiel wenn Gewinne auf Kosten der Gesundheit der Bürger gemacht werden: mit faulen Lebensmitteln, die aus dem Westen eingeführt werden; woran sich Zollbeamte, Hygienekontrolleure, Händler bereichern. Oder mit gefälschten Arzneimitteln.

Die Preise und Tarife steigen ununterbrochen, vom Verkehrspolizisten bis zur Behördenschreibkraft. Wer eine Bescheinigung oder Erlaubnis rechtzeitig und ohne Schikanen bekommen will, muß eben zahlen.

Präsident Dmitrij Medwedew fordert jetzt zum schonungslosen Kampf gegen die Korruption auf. Er sagt die richtigen Worte, aber es sind und bleiben nur Worte. Sie machen die Schwäche und Unentschlossenheit der Regierenden deutlich. Bei der Bevölkerung lassen sie Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung aufkommen.
Sergej Guk


Weißrußland im Visier
Deutsche Schriftsteller haben zum Protest »gegen Unterdrückung und Zensur in Weißrußland« aufgerufen, wie der Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft mitteilt. In einem Brief an Präsident Alexander Lukaschenko rügen sie: »In der Republik Weißrußland kursieren derzeit Listen mit den Namen von Autorinnen und Künstlern, deren Werke willkürlich als ›jugendgefährdend‹ bezeichnet werden, um sie aus den Zeitungen und Journalen, aus den Sendungen von Radio und Fernsehen, von den Konzertbühnen und aus den Theatern zu verbannen.« Lukaschenko wird aufgefordert, der Verbreitung und Verwendung dieser Listen »unverzüglich Einhalt zu gebieten«. In einer Presseerklärung nennt VS-Vorsitzender Imre Török Weißrußland »eine Diktatur mitten in Europa«. So erklärt sich wohl das Ansinnen zu diktatorischem Durchgreifen. Török weiter: »Wir, die Künstler und Intellektuellen, gerade in Deutschland, haben für die demokratischen Freiheiten eine besondere Verantwortung.« Stark. Da wird der Diktator springen müssen.

Ich möchte nur anmerken, weil es vielleicht sonst niemand tut: Belarus war neben Serbien und Griechenland das Land mit der stärksten Partisanenbewegung gegen die Nazi-Besatzung. Kein Land hast 1941–1944 einen so großen Teil seiner Bevölkerung verloren wie Belarus. Mehr als 1000 Orte wurden von deutschen Truppen niedergebrannt. Die nächste Katastrophe war 1986 das Reaktorunglück von Tschernobyl. Das Atomkraftwerk steht in der Ukraine drei Kilometer vor der Grenze zu Belarus, wo der weitaus meiste radioaktive Staub und Regen niederging; ein großer Teil des Landes ist Sperrgebiet. Vom Zerfall der Sowjetunion war Belarus besonders betroffen, weil es über keine Bodenschätze verfügt. Kluge Menschen, zu denen mir Präsident Lukaschenko zu gehören scheint, haben verhindern können, daß Belarus wirtschaftlich und sozial so tief abstürzte wie andere ehemalige Sowjetrepubliken. Ich war mal als Wahlbeobachter dort. Ich rate zu Respekt.
E. S.


Walter Kaufmanns Lektüre
Es gilt, das Buch »Ostjuden in Duisburg« zu würdigen, ein in Deutschland wohl einmaliges Unterfangen: die Geschichte der Ostjuden in einer deutschen Stadt vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Auf eine derartige Studie vermag nur Duisburg zurückzugreifen, nirgendwo sonst fand sich einer wie Ludger J. Heid, dem dieses Thema – die Lebensverhältnisse und Schicksale der ostjüdischen Arbeiter und Kleinbürger, auf die 1933 überall in Deutschland die Treibjagd begann – Herzenssache ist. Er hat es gründlich erforscht und stets mit Anteilnahme geschrieben. Das Buch enthält einfühlsame Portraits, die detailgenaue Schilderung des Novemberpogroms 1938 und der Deportationen im gleichen Jahr. Wie in Goyas »Schrecken des Krieges« wird das Grauen des großen Judenmords heraufbeschworen und der Zerfall einer ostjüdischen Gemeinde. In keinem anderen Buch, so will mir scheinen, wird der administrative Antisemitismus zusammen mit den perfiden Gestapo-Methoden beim Verfolgen ihrer Opfer derart klar und eindringlich angeprangert. Eine einmalige, beispielhafte Arbeit. Ludger Heid hat nicht nur die Geschichte einer jüdischen Minderheit im Ruhrgebiet, sondern zugleich auch die Geschichte aller jüdischen Minderheiten in Deutschland verfaßt.
W. K.
Ludger J. Heid: »Ostjuden in Duisburg. Bürger, Kleinbürger, Proletarier. Geschichte einer jüdischen Minderheit im Ruhrgebiet«, Klartext Verlag, 716 Seiten, 39,95 €


Zwei, die entkamen
Die Bankiers vieler Jahrhunderte haben nicht anders als herausragende Köpfe der Politik noch stets ihre Biographen gefunden. Wer sich belesen will, steht vor der Qual der Wahl. Er kann sich für die Geschichte des Hoffaktors Joseph Süß Oppenheimer, der in den Diensten des württembergischen Herzogs stand, ebenso entscheiden wie für die des Schweizers Jacques Necker, Finanzminister des französischen Königs Ludwig XVI. Liegen deren Geschäfte ihm zu ferne, kann er über den als Bismarcks Bankier viel beschriebenen Gerson Bleichröder und über die US-amerikanische Familie Morgan leicht zu den Finanzgewaltigen des 20. Jahrhunderts gelangen, zu Hjalmar Schacht beispielsweise, Finanzminister des »Führers«, oder Hermann Joseph Abs, der schon auf seinem Karriereweg an die Spitze der Deutschen Bank AG auch ein wenig von der »Entjudung« des deutschen Bankwesens zu Zeiten eben dieses Führers profitiert hat.

Damit wären wir nahe bei der Biographie der Person, mit der sich die Historikerin Erika Schwarz über Jahre befaßt hat und die sie nun in einem Band vorstellt, dessen Druck eine Liechtensteiner Stiftung ermöglicht hat. Die sah einen Grund für ihren Beistand in der Tatsache, daß der Bankier, dessen Lebensweg nun erforscht ist, einige Jahre die Liechtensteiner Staatsbürgerschaft besaß. Die hatten er und seine Frau durch den von Schweizern bezeugten Nachweis ihrer Vermögenssituation und durch die Entrichtung der dafür geforderten Zahlungen erhalten. Das war 1938 geschehen. Da lebten – um endlich den Namen des Mannes zu nennen – der in Westpreußen in einer jüdischen Familie geborene Siegfried Bieber und seine aus dem slowakischen Teil der k.u.k. Monarchie stammende Frau bereits eine Zeitlang in der Schweiz, dem Lande, in dem sie via Niederlande rechtzeitig Zuflucht gefunden und am Luganer See eine noble Bleibe erworben hatten.

Auf die Rangstufe der großen Bankiers gehörte Bieber nicht. Und es ist auch nicht die auf die Geschichte der Berliner Handels-Gesellschaft beschränkte, in ihr allerdings bedeutende Rolle, die der Mann in der Finanzgeschichte gespielt hat, die das ihm nun zugewandte forschende Interesse gerechtfertigt haben dürfte. Beeindruckend und denkwürdig bleibt jedoch der Weg, der Bieber, dessen Arbeitsleben sich schon neigte, schließlich über Ecuador in die USA führte, wo er 1960 verstarb. Bieber besaß ein Gespür für Gefahren, die ihm und den Seinen drohten. 1934 verließ er zunächst das Bankunternehmen, im Jahr darauf Deutschland, seine Immobilien in Berlin und Brandenburg zurücklassend, und er kehrte Europa entschlossen den Rücken, als der Vorabend des Krieges erreicht war und ungewiß wurde, ob nicht auch die Schweiz für die Vereinnahmung in Großdeutschland schon vorbestimmt war. Ganz sorgenlos war dieser Weg für ihn und seine Frau in keinem Moment. Solange sich Wege finden ließen, suchten die beiden die verfolgten und »nach dem Osten« deportierten Angehörigen der Großfamilie zu unterstützen. Erika Schwarz hat auch deren Schicksal aufzuklären gesucht. So weitet sich das Buch zu einer Familiengeschichte, wenn auch nur deren Umrisse erkennbar gemacht werden konnten. Von den auf weiten Forscherwegen ermittelten 74 Verwandten der beiden litten 59 unter der Judenverfolgung. 34 Männer Frauen und Kinder wurden umgebracht, 25 haben sich durch die Flucht retten können.
Kurt Pätzold
Erika Schwarz: »... zu Lasten meines Conto’s. Siegfried Bieber. Jude – Bankier – Gutsbesitzer – Emigrant«, Hentrich+Hentrich, 176 Seiten, 29,90 €


So geht eine Liebe ...
A., das macht Barbara Honigmann dem auch nur wenig szenevertrauten Leser deutlich, das ist Adolf Dresen, der 2001 verstorbene Theaterregisseur. Sie und er haben sich bei einem Kleist-Projekt am Deutschen Theater Berlin kennen gelernt, hier begann eine fast dreißigjährige Beziehung. War es Liebe oder nur Inszenierung, so fragt sie sich im Nachhinein, denn sie will sich lösen aus einer Anziehungskraft, die der fünfzehn Jahre Ältere über all die Jahre auf sie hatte. Die unkonventionellen Regeln des Miteinanders bestimmte er. Die Welt, in der sie sich mit ihm verbunden fühlte, das waren Kleist, Caspar David Friedrich, Else Lasker Schüler, Wladimir Wyssotzky (kein Brecht?). Die DDR wurde beiden zu eng, A. inszenierte in Wien, Frankfurt am Main, London, Hamburg, Brüssel, sie lebte in Frankreich. Noch immer schrieben sie sich, aber immer weniger verstand einer den anderen. Er deutete ihre Hinwendung zum Judentum als Flucht vor der Realität, sie verstand nicht, warum er sich für sozialistische Mitmenschlichkeit engagierte.

Eine Liebesgeschichte mit allen Unwägbarkeiten gegenseitiger Anziehung und allen Verletzungen, Schönheiten und Seltsamkeiten, die zwei kreative und sensible Menschen sich antun können. Die Bilder von A. sind zwar vielfältig und von eigenem Reiz – der Radfahrer mit den langen Beinen, der Geliebte, der Regisseur, der Bergsteiger, der Flüchtende, der Verzweifelnde, zuletzt der Beleidigende. Aber von dem politischen und philosophischen Kopf, der Adolf Dresen war, hat B offenbar kein Bild. Der hat die frühere Geliebte später schon gar nicht interessiert. So geht eine Liebe ...
Christel Berger
Barbara Honigmann: »Bilder von A.«, Carl Hanser Verlag, 137 Seiten, 16,90 €


Ach, das Herz, der alte Rebell!
Wehmut und Resignation sind der Grundton dieser Lyrik, die der heute 65-jährige Ludwig Fels in seinem jüngsten, gediegen aufgemachten Gedichtband »Egal wo das Ende der Welt liegt« präsentiert. Alle Träume sind ausgeträumt, die »schöne, wilde, fremde Hoffnung« existiert nicht mehr, wie es in einem der faszinierenden lyrischen Gebilde heißt, das glückliche Momente von einst beschwört. An anderer Stelle aber enden Che Guevara gewidmete Verse mit der Zeile: »Wenn wir lesen können, werden wir nicht mehr blind sein.« Zuversicht also trotz allem? »Ach, das Herz, der alte Rebell!«

Viele der über hundert Gedichte sind Liebesgedichte, thematisieren aber auch Fels’ ureigenstes Metier, das Dichten. Schon im »Prolog« findet sich der Satz: »Ein Gedicht kann sein wie eine Waffe, die man gegen sich selbst richtet.«

Ludwig Fels stammt aus dem bayrischen Treuchtlingen, lebt heute in Regensburg und Wien. Wie tief er in seiner süddeutschen Heimat verwurzelt ist, spürt der Leser bei Gedichten wie »Donau« und »Fränkische Sinfonie«. Fels verleugnet auch nicht seinen Dialekt, aber in seinem Denken und seiner Imagination ist nichts von provinzieller Enge. Wenn er mit bewegenden Versen eines ums Leben gebrachten Afrikaners gedenkt, der kein Asyl erhielt (»Man hat ihn gefesselt ins Flugzeug geführt / hat ihm einen Knebel in den Mund gesteckt / die Lippen mit Klebeband fixiert. / Was sie zu ihm sagten, bis er tot war – wir / wissen es nicht«) sehe ich in einer Reihe mit den selten gewordenen Autoren, die sich an Georg Büchner orientieren.

An ihn erinnert er übrigens mit einem Gedicht, in das Worte des Dichter-Revolutionärs eingewoben sind: »Wieder eine Nacht herabgestiegen / in der wir ewig kämpfen, ohne je zu siegen / Auf das alte ew’ge Erdenrund / niemand ohne Kopf hält hier den Mund / Wieder eine Finsternis geworden / an geistzerblitzten, totgebellten Orten / in dem qualmerfüllten Kerkerschlund / scharrt der Dichter wie ein Hund.«
Dieter Götze
Ludwig Fels: »Egal wo das Ende der Welt liegt«, Gedichte, Verlag Jung und Jung, 152 Seiten, 20 €


Press-Kohl
Daß Fürst Albert II. von Monaco und seine Verlobte Charlene geheiratet haben, hat sich sogar bis in die Redaktionsbüros des Berliner Kurier herumgesprochen, der seinen treuen Lesern inzwischen versicherte: »Aber auch nach der Hochzeit ist Monaco eine Reise wert.« Das Blatt lieferte sogleich »Tips für den nur zwei Quadratmeter kleinen Stadtstaat«, in den selbst Fürst Albert II., obwohl er letztens nur wenig abgenommen hat, mitsamt seinen Orden und der hübschen Regentenmütze sowie seiner Braut und etwa zigtausend Hochzeitsgästen hineinpaßte. Denn der Stadtstaat Monaco ist nicht nur 2 m² klein, sondern auch 20.000 Kubikmeter oho.
*
Mit der mysteriösen Überschrift »Cottbus: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo« fragt uns die zuweilen rätselhafte Zeitung Berliner Kurier (»der von hier« aus dem Kölner Verlagshaus DuMont), ob uns ein Zug interessieren könne, der entweder nach Cottbus fährt oder nach Nirgendwo. Da ich von Nirgendwo nur weiß, wo es liegt, nämlich irgendwo, ziehe ich Cottbus vor: die attraktive Stadt mit dem attraktiven Theater und dem legendären Postkutscher, der dort auf zungenbrecherische Weise seinen Postkutschkasten putzt. Die Zugverbindung scheint jetzt günstiger zu sein, denn »seit zwei Jahren wird die Strecke zwischen Berlin über Lübbenau nach Cottbus für 130 Millionen Euro saniert. Nach Abschluß der Arbeiten können die Regionalzüge über die 98 km zwischen Königs Wusterhausen und Cottbus mit bis zu 160 km/h sausen. Dann brauchen die Reisenden für die Fahrt zwischen den beiden Städten nur noch eine gute Stunde, auf der alten Strecke waren sie 30 Minuten unterwegs.« Dieser Glücksfall ist allemal die 130 Millionen Sanierungskosten wert.
Felix Mantel