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Titel15+1612

Verkopft  (Thomas Rothschild)

Die Sprache, wissen wir, verhält sich wie ein lebender Organismus: Sie verändert sich fortwährend, neue Wörter werden gebildet oder aus anderen Sprachen übernommen, Redewendungen kommen in Mode und sterben wieder aus. Deshalb ist es unproduktiv, sich über – gewiß nicht immer attraktive oder auch nur aussagekräftige – Ausdrücke und Formeln aufzuregen. Sie grassieren wie eine Epidemie, und wenn man Glück hat, gehen sie von selbst an Erschöpfung zugrunde.

Ihre Entstehung hat ja durchaus Ursachen. Sei es, daß eine nachwachsende Generation sich von den Älteren durch die Sprache, nicht anders als durch Musik, Frisur oder Kleidung, abheben, gegen diese, meist ziemlich äußerlich und hilflos, rebellieren will, sei es, daß sie einem von den Medien präsentierten Idol nacheifert, sei es, daß tatsächlich ein neues Phänomen nach einem neuen Begriff verlangt. Aber jedes neue Wort, jede neue Redensart hat auch ideologische Implikationen. Assoziationen und Nebenbedeutungen schwingen mit, sie verweisen auf eine Weltsicht und formen diese. Daß das nur sehr zögerlich und durch zahlreiche Umstände behindert geschieht, mußten die Feministinnen erfahren, die hofften, die Diskriminierung von Frauen durch bewußte sprachliche Manipulationen verändern zu können. Das Binnen-I hat leider nicht dazu geführt, daß Frauen für gleiche Arbeit gleichen Lohn erhalten wie Männer.

Ein Wort, das sich in der jüngsten Vergangenheit verbreitet hat wie der Schnupfen in den Wintermonaten, ist das Wort »verkopft«. Daß es ein schönes Wort sei, wird wohl kaum jemand behaupten. Früher sagte man stattdessen »intellektuell«, auch »abstrakt« oder »theoretisch«. Im Gegensatz aber zu diesen Synonymen enthält »verkopft« eine negative Wertung. Der Kopf – und er steht hier stellvertretend für das Gehirn, fürs Denken – hat schlechte Presse. Die positiven Gegenbegriffe zu »verkopft« lauten »gefühlvoll«, »emotional«. In einem Lied des kürzlich verstorbenen Franz Josef Degenhardt ist von den Töchtern die Rede, »die mit dem Herzen verstehn«. Wer dächte als Alternative zu »verkopft« an »hirnlos« oder einfach »deppert«?

So harmlos aber, wie das gemeint sein mag, ist die Diffamierung des »Verkopften« nicht. Die Bekämpfung der Intellektualität gehört zu den Topoi totalitärer Systeme – in der Geschichte wie in der Gegenwart. Mit ihr findet man schnell die Zustimmung derer, denen das Denken schwerfällt. Der Antiintellektualismus ist eine schlagkräftige Waffe des Populismus, und manchmal wird sie mit tödlicher Wirkung eingesetzt. Wie alle populistischen Instrumente kann die Intellektuellenfeindschaft auf einer realen Erfahrung aufbauen: auf der Erfahrung von Akademikerarroganz, dem Dünkel einer Bildungselite, die freilich nicht auf Verkopfung deutet, sondern auf Dummheit, auch wenn sie mit sprachlichem Imponiergehabe daherstolziert.

Die Brechung des Bildungsprivilegs ist nach wie vor und zunehmend wieder ein Desiderat, mehr noch: eine demokratische Notwendigkeit. Nicht die üble Nachrede für den Kopf wird das leisten, sondern die Forderung, daß jeder das Recht haben muß, ihn zu füllen. Dann wird auch das Wort »verkopft« verschwinden. Dann wird man einen klugen Menschen, eine durchdachte Theaterinszenierung, ein fundiertes Buch wieder »gescheit« nennen, ganz und gar positiv besetzt und keineswegs im Widerspruch zum Gefühl.

Von Woody Allen stammt die Bemerkung: »Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.« Man kann es ja immerhin versuchen.